2. Die Neuerungen im Vertragstext von Lissabon[85]
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Hinweis
Die in den folgenden Teilen gewählte Darstellung basiert auf den Änderungen des am 1.12.2009in Kraft getretenen Lissabon-Vertrages. Es wird daher hier von einer Zusammenfassung der Änderungen abgesehen.[86]
3. Maßnahmen zur Koordinierung und Überwachung der Haushaltsdisziplin in den EURO-Staaten[87]
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Aufgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit von Griechenland Ende 2009, Anfang 2010 war die Stabilität des Euros in Gefahr. Im Mai 2010 wurde gem. Art. 122 AEUV ein 750 Mrd. € umfassender Finanzstabilisierungsmechanismus von den Ratsmitgliedern beschlossen,[88]die den EURO als Zahlungsmittel eingeführt haben. Sofern ein Mitgliedstaat der EURO-Zone nicht mehr in der Lage sein sollte, zu vertretbaren Konditionen am Finanzmarkt Kredite zu erhalten, soll dieser einen Kredit nach den Bedingungen des Finanzstabilisierungsmechanismus beantragen können.[89] Der Finanzstabilisierungsmechanismus wird auch EURO-Rettungsschirm genannt. Der Rettungsschirm setzt sich aus von der Kommission gewährten Krediten der EU, einer Kreditlinie des Internationalen Währungsfonds und Krediten der Mitgliedstaaten[90] zusammen. Die EURO-Staaten haben am 7.6.2010 die sog. European Financial Stability Facility[91] (EFSF) in der Form einer Luxemburgischen AG gegründet. Gesellschafter wurden alle EURO-Staaten. Die EFSF sollte als Provisorium bis zum 30.6.2013 in Kraft bleiben. Jeglicher Hilfe musste ein einstimmiger Beschluss des Direktoriums, also aller Mitgliedstaaten der Euro-Staaten, vorausgehen. Die Kreditbedingungen, zu denen die EFSF die Kredite an die betroffenen Mitgliedstaaten weitergab, wurden von der Europäischen Kommission ausgearbeitet.
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Gegen das Stabilisierungsmechanismusgesetz, durch das die Beteiligung an der EFSF in Deutschland beschlossen worden war, wurden in Deutschland mehrere Klagen vor dem BVerfG erhoben. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden u.a. von dem CSU-Politiker Peter Gauweiler gegen die Umsetzung des Europäischen Rettungsschirms durch das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus am 7.9.2011 zurückgewiesen.[92] Das BVerfG begründete dies damit, dass es die Einschätzung des Gesetzgebers bezüglich der Tragfähigkeit des Bundeshaushalts und des wirtschaftlichen Leistungsvermögens der Bundesrepublik Deutschlands zu respektieren habe. Die Haushaltsautonomie des Deutschen Bundestages liefe nicht völlig leer. Künftige Rettungspakete bedürften jedoch der Zustimmung des Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags.
Der EFSF folgte ab dem 1.7.2013 der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM).[93] Der ESM ist auf Dauer angelegt. Er ist primärrechtlich in einem neuen Absatz 3 des Art. 136 AEUV verankert.[94]
Art. 122 (2) AEUV sieht die Möglichkeit von finanziellen Hilfen der Union für einzelne Mitgliedstaaten nur vor, wenn diese aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich ihrer Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht sind.
Gem. Art. 123 AEUV ist es der EZB und nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten verboten, den Mitgliedstaaten Kreditfazilitäten zu gewähren oder gar direkt Schuldtitel von diesen zu erwerben. Eine weit verbreitete Ansicht legt diese Regelung dahingehend aus, dass der Erwerb von Schuldtiteln über den Ankauf am Markt zulässig sei.[95]
Gem. Art. 125 (1) AEUV[96] haften weder die EU noch die Mitgliedstaaten für die Verbindlichkeiten eines Mitgliedstaates. Teilweise wird zur Rechtfertigung des EFSF sowie des ESM dazu argumentiert, dass Art. 125 (1) AEUV die freiwillige Übernahme von Verbindlichkeiten nicht ausschließen wolle. Außerdem werde die Unterstützung nicht unmittelbar, sondern über die EFSF bzw. später die ESM geleistet.[97]
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Aufgrund der Finanz- und Staatsschuldenkrise in den Jahren 2007 und 2008 wurde vom Europäischen Rat ein einheitlicher Aufsichtsmechanismus für Banken (Single Supervisory Mechanism – SSM) geschaffen. Als Rechtsgrundlage dafür wurde Art. 127 (6) AEUV herangezogen. Danach ist durch einstimmigen Beschluss des Rates nach Anhörung des Europäischen Parlaments die Übertragung „besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute und sonstige Finanzinstitute mit Ausnahme von Versicherungsunternehmen“ an die EZB zulässig. Die Übertragung dieser Aufsichtskompetenz erfolgt auf die EZB durch die VO 1024/2013[99]. Der EZB-Aufsicht sind alle Banken in den Mitgliedstaaten unterstellt, die eine Bilanzsumme von über 30 Mrd. Euro haben und alle „systemrelevanten“ Banken.
[1]
Politik des leeren Stuhls.
[2]
Arndt/Fischer/Fetzer Europarecht S. 8.
[3]
Streinz Europarecht Rn. 363–365.
[4]
Thiele spricht in Thiele Europarecht S. 16 sogar von einer „toten Zeit“ oder von einer „Eurosklerose“.
[5]
Ohne das Gründungsmitglied Italien.
[6]
Sart. II Nr. 280.
[7]
Streinz Europarecht Rn. 813.
[8]
Auch Schengen-Staaten genannt.
[9]
Siehe Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes.
[10]
ABl. 1987 Nr. L 169/1.
[11]
Die Verzögerung beruhte auf der Anfechtung des irischen Zustimmungsgesetzes in Irland.
[12]
Heute in Art. 26 AEUV geregelt.
[13]
Art. 30 EEA.
[14]
In Kraft getreten am 1.11.1993 nach dem Urteil des BVerfG über die Verfassungsbeschwerden gegen das deutsche Zustimmungsgesetz ( BVerfGE 89, 155).
[15]
ABl. Nr. C 191, 1.
[16]
Die Fassung des EUV vor dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages wird im Folgenden als EUV alte Fassung (a.F.) bezeichnet.
[17]
Eine entsprechende Regelung gibt es heute im EUV nicht mehr.
[18]
Heute Art. 267 AEUV.
[19]
Heute Art. 24 EUV.
[20]
Heute Art. 24 Abs. 3 EUV.
[21]
Unionssekundärrecht.
[22]
Heute Art. 25 EUV.
[23]
Heute Art. 32 EUV.
[24]
Heute Art. 87–89 AEUV.
[25]
Eine entsprechende Regelung gibt es heute im EUV nicht mehr.
[26]
Heute Art. 120 ff. AEUV.
[27]
Heute Art. 140 Abs. 1 S. 3 AEUV.
[28]
Maastricht-Vertrag, Protokoll Nr. 21, BGBl. 1992 II, 1309.
[29]
Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien.
[30]
Griechenland hatte tatsächlich die Konvergenzkriterien nicht alle erfüllt.
[31]
Heute Art. 129 AEUV.
[32]
Heute Art. 140 Abs. 1 S. 3 AEUV.
[33]
FreizügigkeitsRL 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen.
[34]
Die Bindung an eine Erwerbstätigkeit war zuvor bereits durch die Rechtsprechung des EuGH zur „passiven Dienstleistungsfreiheit“ aufgehoben worden, EuGH Rs.186/87, Cowan/Trésor public, Slg 1989, 195.
[35]
Heute Art. 20 ff. AEUV.
[36]
Arndt/Fischer/Fetzer Europarecht S. 9.
[37]
Art. 21 Abs. 1 AEUV wurde durch die allgemeine FreizügigkeitsRL 2004/38/EG sekundärrechtlich ausgestaltet.
[38]
Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 2 der FreizügigkeitsRL 2004/38/EG.
[39]
Art. 6 Abs. 1 der FreizügkeitsRL 2004/38/EG.
[40]
Art. 7 Abs. 1 der FreizügigkeitsRL 2004/38/EG.
[41]
Art. 16 Abs. 3 und Abs. 4 der FreizügigkeitsRL 2004/38/EG.
[42]
EuGH Rs. C-456/02, Michel Trojani/Centre public d´aide sociale de Bruxelles (CPAS), Slg 2004, I-7573; Streinz Europarecht S. 1016.
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