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Ferner können dem Steuerstaatsprinzip jedenfalls auch keine quantitativen Grenzenfür die Erhebung nicht-steuerlicher Abgaben entnommen werden.[6] Dies folgt schon aus dem gewaltigen Volumen der Sozialversicherungsbeiträge, die dem Verfassungsgeber ebenfalls bekannt waren und die er hingenommen und explizit geregelt hat (Art. 74 Abs. 1 Nr 12, Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG). Zudem ist in der Rechtswirklichkeit auf die kommunalen Haushalte ( Rn 946 ff) hinzuweisen, deren Steueranteil nur bei ca. 40 % liegt und deren Finanzierung durch Steuern seitens der Kommunalabgabengesetze der Länder teilweise explizit für subsidiär erklärt wird.
Erster Teil Staatliche Ebene: Bund und Länder› § 4 Staatliche Einnahmen› II. Klassifizierung der Abgaben und deren Bedeutung
II. Klassifizierung der Abgaben und deren Bedeutung
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Der begrifflichen Einordnung einer Abgabe kommt zum einen Bedeutung für die Bestimmung der jeweiligen Kompetenzen, insb der Gesetzgebungs- bzw Regelungskompetenz und die Ertrags- und Verwaltungskompetenzen, zum anderen für die materiell-rechtlichen Maßstäbehinsichtlich Ausgestaltung und Bemessung der jeweiligen Abgabe.
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Die wichtigsten Abgabensind in allererster Linie die Steuern, daneben treten die Vorzugslasten (Gebühren und Beiträge), die Sozialversicherungsbeiträge sowie die verfassungsrechtlich nicht explizit geregelten Sonderabgaben.
210
Nach der Rspr des BVerfG kennt das Grundgesetz keinen Numerus clausus der zulässigen Abgabenarten.[7] Schon die Sonderabgabe ist verfassungsrechtlich nicht geregelt; daneben gibt es noch weitere Abgaben sui generis , die nicht unter einen herkömmlichen Abgabentypus gefasst werden können..
Erster Teil Staatliche Ebene: Bund und Länder› § 4 Staatliche Einnahmen› III. Steuern
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Fall 6:
H ist Halter des Rottweilerhundes Rudi. Er lebt in der bayerischen Gemeinde G, die ihre Hundesteuersatzung wie folgt geändert hat: Je Hund wird eine jährliche Hundesteuer in Höhe von 75 € erhoben (§ 1), für einen Kampfhund jedoch 2000 € jährlich (§ 2). Rottweilerhunde sind als sog. Kampfhunde eingestuft. H ist Millionär und hält Rudi weiterhin die Treue. Gegen den Kampfhundesteuerbescheid klagt er jedoch vor dem VG. Ist die Klage begründet? Rn 266
1. Begriff der Steuer und Bedeutung für die Kompetenzen
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Will der Gesetzgeber eine Steuer einführen, so richtet sich die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 GG, die Ertragskompetenz nach Art. 106 GG und die Verwaltungskompetenz nach Art. 108 GG. Diese Normen gelten freilich nur für Steuern, so dass zunächst in einem ersten Schritt begrifflich geprüft werden muss, ob überhaupt eine Steuer vorliegt( Rn 213 ff). Ist das der Fall, richtet sich die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 Abs. 2 und 2a GG; in einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, was unter dem Begriff der „übrigen Steuern“ zu verstehen ist (Art. 105 Abs. 2 GG; dazu Rn 251 ff) bzw ob eine örtliche Verbrauch- oder Aufwandsteuer iSd Art. 105 Abs. 2a GG vorliegt (dazu Rn 239, 247).
213
Eine einfach-rechtliche Definitiondes Begriffs der Steuer enthält § 3 Abs. 1 AO, der wie folgt lautet:
„Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.“
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Diese Legaldefinitionist verbindlich für die Auslegung des einfachen Rechts, kann aber als gegenüber der Verfassung rangniedrigeres Recht nicht deren Auslegung (insb hinsichtlich Art. 105, 106, 108 GG) verbindlich vorgeben.[8] Allerdings ist heute weitgehend anerkannt, dass § 3 Abs. 1 AO in seiner derzeitigen Fassung auch den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff zutreffend abbildet[9], zumal der Verfassungsgeber bzw der verfassungsändernde Gesetzgeber den einfachrechtlichen Steuerbegriff schon so vorgefunden hatten und daher davon auszugehen ist, dass sich das Grundgesetz insoweit an diesem orientiert hat. In der Literatur wird § 3 Abs. 1 AO auch als „zentrale Auslegungshilfe“ bezeichnet.[10]
215
Steuern sind nur Geldleistungspflichten. Natural- oder Dienstleistungspflichten (früher zB die Wehrpflicht oder Feuerwehrdienstpflichten) sind keine Steuern.
b) Auferlegung durch ein öffentlich-rechtliches Gemeinwesen
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Auferlegung bedeutet, dass die Abgabe ohne Rücksicht auf den Willen des Abgabepflichtigen, dh einseitig, einer ertragsberechtigten Körperschaft zugeführt wird. Nach richtiger Ansicht ist für das auferlegende Gemeinwesen nicht auf das gesetzgebende oder vollziehende Gemeinwesen abzustellen, sondern auf das ertragsberechtigte. Dies können neben Bund und Ländern sowie Gemeinden und Gemeindeverbänden (vgl Art. 106 Abs. 1–3, 6 GG) auch diejenigen Religionsgemeinschaften sein, die Körperschaften öffentlichen Rechts sind (Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 6 WRV).
c) Zweck der Einnahmeerzielung
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Das Erfordernis des Zwecks der Einnahmeerzielungist ein zentrales Merkmal, das verschiedene Abgrenzungsfunktionen erfüllt:
aa) Lenkungszwecke zulässig, aber nicht Erdrosselung
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Jeder Steuer kommen auch Wirkungen über den Vermögensentzug hinaus zu, nahezu jede Steuer lenkt auch das Verhaltender Steuerpflichtigen bzw derjenigen, die wegen der Steuerbelastung auf ein bestimmtes Verhalten verzichten oder wegen einer Steuervergünstigung ein bestimmtes Verhalten wählen. Führt die „Androhung“ der Steuerbelastung dazu, dass der Bürger auf das besteuerte Verhalten ganz verzichtet, entsteht keine Steuer, die bloße Existenz des Steuergesetzes hat aber mittelbar-faktisch das Verhalten des potentiellen Steuerpflichtigen beeinflusst.
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Dass ein Gesetz mit einer Abgabe auch Lenkungszweckeverfolgt (etwa das Ziel, durch Erhebung besonderer Verbrauchsteuern ein gesundheitsschädliches oder energieintensives Verhalten zu verteuern und damit zwar nicht zu verbieten, aber „einzudämmen“), steht der begrifflichen Einordnung der Abgabe als Steuernicht entgegen, wie § 3 Abs. 1 HS 2 AO klarstellt. Erforderlich ist jedoch, dass das Gesetz überhaupt zu einem Aufkommen führen soll, also nichtauf „Erdrosselung“(Verhinderung) des besteuerten Verhaltens angelegt ist.
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Zielt die Norm in Wahrheit auf ein Nullaufkommenim öffentlichen Haushalt, so handelt es sich begrifflich nicht mehr um eine Steuer, sondern um ein in das „Gewand eines Steuergesetzes“ [11] gekleidetes Verbot. Die Regelungskompetenz kann dann nicht aus Art. 105 GG abgeleitet werden. Ein Rückgriff auf die Sachgesetzgebungskompetenz (Art. 70 ff GG) scheidet im Hinblick auf das Gebot der Normenwahrheit[12] aus.
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Eine erdrosselnde Wirkungist anzunehmen, wenn die Regelung für einen „durchschnittlichen Steuerpflichtigen“ einem faktischen Verbot nahekommt.[13] Nicht entscheidend ist, ob im Einzelfall die Leistungsfähigkeit eines konkreten Steuerpflichtigen überschritten wird, der sich das besteuerte Verhalten nicht mehr leisten kann. Auch kommt es nicht darauf an, ob ein einzelner Steuerpflichtiger ein außergewöhnlich hoch besteuertes Verhalten noch fortsetzt. Eine Erdrosselungssteuer ist also nicht erst bei einem Nullaufkommen im jeweiligen Haushalt anzunehmen.
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