252
Unproblematischsind dabei zunächst Fälle, in denen der Gesetzgeber eine neue Steuer einführt, diese sich aber unter eine in Art. 106 GG genannte Steuerartsubsumieren lässt (Bsp: 1999 wurde die Stromsteuer neu eingeführt, die eine Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr 2 GG darstellt[36]; die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgte damit aus Art. 105 Abs. 2 Alt. 1 GG).
253
Problematischsind die Fälle, in denen sich eine neue Steuer unter keine in Art. 106 GG genannte Steuer oder Steuerartsubsumieren lässt, eine Steuer also keinem der in Art. 106 GG genannten Steuertypen entspricht. Die Frage hatte das BVerfG nunmehr erstmals zu entscheiden, da es der Kernbrennstoffsteuer die Eigenschaft als Verbrauchssteuer iSd Art. 106 Abs. 1 Nr 2 GG absprach.[37]
254
Richtiger Ansicht nach ist eine Steuer, deren Aufkommensverteilung das Grundgesetz nichtselbst (in Art. 106) regelt, von vornherein verfassungswidrig. Die hM[38] sieht die Aufzählung der Ertragszuweisung einzelner Steuern und Steuerarten mit Recht als abschließendan mit der Folge, dass Bund und Ländern keine Steuererfindungsrechteaußerhalb der vom Grundgesetz genannten Steuern und Steuerarten zukommen. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes enthält einen Numerus clausus der zulässigen Steuern oder Steuerarten. Sie ist auf Formenklarheit und Formenbindung angelegt.[39] Indem sie einen festen Rahmen vorgibt, fördert und entlastet sie den politischen Prozess.[40]
255
Diese Funktion wäre in Frage gestellt, wenn unklarwäre, wem das Aufkommenaus Steuern zufließen soll, die vom Grundgesetz nicht explizit vorgesehen sind. Auch kann bei Einführung einer dem Grundgesetz unbekannten Steuer durch den einfachen Gesetzgeber nicht der verfassungsändernde Gesetzgeber verpflichtet sein, die entstandene Regelungslücke durch Ergänzung des Art. 106 GG zu schließen.[41] Könnte der einfache Gesetzgeber den verfassungsändernden Gesetzgeber, der qualifizierte Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat benötigt, zu einer Änderung des rechtlichen Rahmens, der Spielregeln, zwingen, würde das in Art. 79 Abs. 2 GG verankerte Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat unterlaufen.
256
Andere Gegner eines Numerus claususwollen die Ertragshoheit einer von Art. 106 GG nicht erfassten Steuer demjenigen zuweisen, der sie erfindet[42], oder sehen von der Gesetzgebungskompetenz aus Art. 105 Abs. 2 GG für das Steuerrecht auch die Zuweisung der Ertragshoheit umfasst, soweit nicht Art. 106 GG selbst Regeln trifft, an die der einfache Gesetzgeber gebunden ist.[43] Mit der Formenstrenge der Finanzverfassung, die die Spielregeln vorab festlegen muss, um den politischen Prozess entlasten zu können, erscheint das nicht vereinbar. Dies wird auch daran deutlich, dass unklar ist, wie bei „potentiell“ den Ländern zustehenden frei erfundenen Steuern das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates (Art. 105 Abs. 3 GG) gehandhabt werden soll – für einen Analogieschluss[44] erscheint wiederum im Hinblick auf die Formenstrenge der Finanzverfassung (Rn 747) kein Raum.
257
Der sorgfältigen Regelung der Ertragsverteilungist zu entnehmen, dass die Verfassung die Verteilung des Steueraufkommens abschließend selbst vornehmen will. Eine Lückenfüllung durch Analogieschlüsse oder teleologische Reduktionen ist im Finanzverfassungsrecht nicht zulässig.[45] Allerdings sind die in Art. 106 genannten Steuerarten so umfassend, dass praktisch fast jede „neue“ Steuer in eine der dort genannten Kategorien einzusortieren sein sollte. Übrige SteuerniSd Art. 105 Abs. 2 GG sind also nur solche Steuern, deren Ertrag das Grundgesetz selbst nach Art. 106 GG verteilt. Die Einführung einer dem Grundgesetz unbekannten Steuer(-art) setzt damit eine vorherige Verfassungsänderung voraus.
258
Gem. Art. 105 Abs. 3 GG bedürfen Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) ganz oder zum Teil zufließt, der Zustimmung des Bundesrates.
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Zustimmungsfrei sind also nur Steuergesetze, die Steuern im Sinne des Art. 106 Abs. 1 GG betreffen, weil deren Aufkommen allein dem Bund zufließt. Es handelt sich insoweit um sog Einspruchsgesetze, bei denen die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich ist und bei denen ein etwaiger Einspruch des Bundesrates durch den Bundestag überstimmt werden kann (vgl Art. 78 GG). Das Grundgesetz hält die Länder für schutzbedürftig, soweit die Steuergesetze Einfluss auf die Länderhaushalte haben – selbst dann, wenn es zu Aufkommenserhöhungen käme, etwa durch Streichung von Steuervergünstigungen.[46]
4. Materiell-verfassungsrechtliche Anforderungen an Steuern
260
Die Freiheitsrechtehalten für Steuergesetze idR kaum Maßstäbe bereit. Für den Vermögensentzugals sog. klassischen Grundrechtseingriff ist zwar – je nach Sichtweise – Art. 14 Abs. 1 GG oder zumindest Art. 2 Abs. 1 GG tatbestandlich einschlägig, allerdings wird die Rechtfertigung des Eingriffs idR gelingen. Die Besteuerung ist idR verhältnismäßig.
261
Verfolgen Steuergesetze allein einen Fiskalzweck, so ist – abgesehen vom Sonderfall der sog. Erdrosselungssteuer ( Rn 218) – die Steuer stets geeignet und erforderlich, den legitimen Zweck der staatlichen Einnahmeerzielung zu fördern. Auch die Angemessenheit der Belastungshöhe wird kaum justitiablen Grenzen unterliegen. Nachdem das BVerfG ursprünglich den sog. Halbteilungsgrundsatzaus Art. 14 GG hergeleitet hatte und eine Höchstgrenzeder steuerlichen Belastung bei der Hälfte des Sollertrags angenommen hatte[47], nimmt es eine unangemessene steuerliche Belastung jetzt erst deutlich später an, aber schon unterhalb der Schwelle der Erdrosselung.[48]
262
Überschreiten Steuergesetze hinsichtlich der freiheitsbeschränkenden Verhaltenslenkung die Eingriffsschwelleund beeinflussen sie mittelbar-faktisch das Verhalten des Steuerpflichtigen durch die bloße „Androhung“ der Steuer, indem der potentielle Steuerpflichtige auf das besteuerte Verhalten verzichtet, so wird auch dieser Eingriff idR zu rechtfertigen sein.
263
Zentrale Maßstabsnormfür Steuergesetze ist daher idR Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser ist bereichsspezifisch anzuwenden: Bei der Findung des Steuergegenstands und der Gestaltung des Steuertarifs verfügt der Gesetzgeber über einen großen Gestaltungsspielraum. Die Bemessungsgrundlage muss er jedoch folgerichtigim Sinne der einmal getroffenen Belastungsentscheidung ausgestalten.[49]
264
Im Übrigen dominiert das Leistungsfähigkeitsprinzip[50] die bereichsspezifische Anwendungdes Gleichheitssatzes im Steuerrecht: Gleich Leistungsfähige sind bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich zu besteuern, sofern nicht ein rechtfertigender Grund (insb Lenkungszwecke) die Ungleichbehandlung rechtfertigt; ungleich Leistungsfähige sind ihrer ungleichen Leistungsfähigkeit entsprechend ungleich zu behandeln.[51]
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Wo keine Leistungsfähigkeit besteht, dürfen jedenfalls direkte Steuern nicht zugreifen.[52] Aus diesem Grund muss das eigene und ggf das familiäre Existenzminimumeinkommensteuerlich verschont werden. Es geht bei der materiellen Rechtfertigungder Steuern also nicht um Vorteilsausgleich oder Kostendeckung, sondern um Leistungsfähigkeit, nach der die voraussetzungslos erhobene Steuer zu bemessen ist.
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