275
Während es nach zutreffender Auffassung kein Steuererfindungsrecht des Gesetzgebers gibt, der Kanon der vom Grundgesetz in Art. 105 Abs. 1, 2 GG geregelten Steuern also abschließend ist ( Rn 251 ff), ist für die nicht-steuerlichen Abgaben geklärt, dass es keinen Numerus clausus zulässiger Abgabetypengibt.[69] Die Gesetzgebungskompetenzfür nicht-steuerliche Abgaben und damit auch für Gebühren und Beiträge richtet sich nach den Sachgesetzgebungskompetenzen(Art. 70 ff GG).[70]
276
Allein die Bezeichnung einer Abgabedurch den Gesetzgeber ist jedenfalls für deren Qualifikation nicht entscheidend; maßgeblich ist allein der jeweilige materielle Gehalt.[71] Konkretisierende Definitionen und Maßstäbe für die Bemessung von Gebühren und Beiträgen im Zuständigkeitsbereich der Länder finden sich häufig in den Kommunalabgabengesetzen der Länder (zB Art. 5–8 BayKAG, §§ 7–13 KAG RP).
2. Gebühren- und Beitragszwecke
277
Das BVerfG prüft in seiner neueren Rspr zur Verfassungsmäßigkeit von Abgaben im Rahmen der Gesetzgebungskompetenz nur, ob die Abgabe insgesamt dem Typus(Charakter) der jeweiligen Abgabeentspricht.[72] Widersprechen nur einzelne Regelungselemente eines Abgabentatbestands dem Charakter einer bestimmten Abgabe, so fehlt es insoweit nicht an der Gesetzgebungskompetenz für diese Abgabe, sondern an deren materieller Verfassungsmäßigkeit. Soweit also eine als Vorzugslast konzipierte Abgabe nicht mehr von einem zulässigen Gebühren- oder Beitragszweck gedeckt ist, ist diese wegen überhöhter Bemessung materiell verfassungswidrig.
278
Das BVerfG formuliert:
„Als sachliche Gründe, die die Bemessung der Gebühr rechtfertigen können, sind neben dem Zweck der Kostendeckung auch Zwecke des Vorteilsausgleichs, der Verhaltenslenkung sowie soziale Zwecke anerkannt.“[73]
279
Der Aussage, dass auch der Gebühren- und Beitragsgesetzgeber Lenkungszieleund soziale Zweckeverfolgen darf, ist zuzustimmen. Freilich können für die Rechtfertigung einer Gebühr oder eines Beitrags dem Grundenach nur die Kostendeckung und der Vorteilsausgleich in Betracht kommen, da sonst der begriffliche Konnex zur Entgeltlichkeit (Gegenleistungsbezug) gelöst würde.[74] Für die Rechtfertigung der Höhe nachdürfen hingegen auch soziale Zwecke und Lenkungsziele berücksichtigt werden. Nur wenn der für die Vorzugslasten charakteristische Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung erhalten bleibt, bleibt eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Vorzugslasten einerseits und Steuern andererseits möglich.[75]
280
Klassischer Gebühren- und Beitragszweck ist zunächst die Kostendeckung. Sie kann die Gebühren- und Beitragserhebung dem Grunde nach rechtfertigen. Dementsprechend hat das BVerfG den Zweck der Kostendeckung auch als den „Normalfall des Abgabetypus der Gebühr“ bezeichnet.[76]
281
Der Zweck der Kostendeckungwird häufig auch in den Formulierungen des BVerfG gegenüber den anderen Zwecken besonders hervorgehoben.[77] Es sollen Einnahmen erzielt werden, um besondere Kosten der individuell zurechenbaren Leistung ganz oder teilweise zu decken.[78] Diese „Leistung“ muss nicht notwendigerweise in einem „Vorteil“ bestehen,[79] so dass Gebühren zulässigerweise auch etwa erhoben werden können bei einer Verurteilung im Strafverfahren oder bei Ablehnung eines Antrags.
282
Grund und Grenzeder Gebühren- und Beitragserhebung ist grds die Deckung der dem Staat entstandenen Kosten. Entsprechend konstatiert auch das BVerfG, dass bei Gebühren und Beiträgen „die Rechtfertigung und die Höhe der Abgabe gerade durch den öffentlichen Aufwand vorgegeben“ werden.[80]
283
Nach wohl hM kann auch eine Abgabe, der keinerlei staatlicher Aufwand gegenübersteht, unter bestimmten Voraussetzungen als Vorzugslast gerechtfertigt werden, wenn ein seitens des Staats gewährter Vorteilganz oder teilweise abgeschöpftwerden soll.[81] Das BVerfG lässt dem Gesetzgeber bisweilen auch in den Formulierungen sehr große Spielräume.[82]
284
Der sog. doppelgliedrige Gebührenbegriff[83] stellt für Grund und Höhe der Gebührenpflicht nicht allein auf die dem Staat entstandenen Kosten (Kostendeckung) ab, sondern hält alternativ auch die Vorteilsabschöpfungfür gerechtfertigt, falls dem Staat keine Kosten entstanden sind. Danach können Gebühren sowohl dann erhoben werden, wenn die staatliche Leistung dem Staat zwar keine Kosten verursacht, wohl aber dem Abgabepflichtigen Vorteile gebracht hat, als auch dann, wenn dem Abgabepflichtigen kein Vorteil, wohl aber dem Staat Kosten entstanden sind.[84] Jedenfalls dann, wenn dem Staat ein Aufwand entstanden ist, ist aber auch eine primäre Orientierung am Wert der Verwaltungsleistung für den Steuerpflichtigen verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Zu denken ist etwa an sog. Wertgebühren, die sich am Gegenstandwert orientieren, zB die Gebühr für die verbindliche Auskunft durch Finanzbehörden (§ 89 Abs. 4, 5 AO).[85]
285
Die zulässige Höchsthöhe bestimmt sich dann nach dem Wert der zugeflossenen Vorteileoder der dem Hoheitsträger entstandenen Kosten(einschließlich der sog. Gemeinkosten). Maßgebliche Obergrenze für den Gesetzgeber ist der höhere Wert von beiden.[86] Diesen doppelgliedrigen Gebührenbegriff vertrat der Sache nach auch das BVerfG, ohne dass zunächst andere Gebührenzwecke als solche der Kostendeckung oder des Vorteilsausgleichs benannt wurden.[87]
286
Erbringt der Staat eine Gegenleistung oder bietet er diese bevorzugt an und entstehen ihm dadurch Kosten oder dem Abgabepflichtigen Vorteile, so kommen für die Bemessung der Gebühroder des Beitrags der Höhe nach auch die weiteren vom BVerfG genannten Kriterien in Betracht. Sie rechtfertigen vor dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) Abweichungen von der reinen Bemessung der Abgaben nach der anteiligen Kostenverursachung.
287
Soziale Zweckehat das BVerfG zutreffend für berücksichtigungsfähig bei der Gebührenbemessung erachtet. Soziale Gründe allein können allerdings richtiger Ansicht nach ( Rn 279) nicht die Erhebung einer Gebühr oder eines Beitrags als solche (das „Ob“ der Abgabe) eigenständig rechtfertigen,[88] sondern nur eine ggf differenzierende Ausgestaltungder Gebühren- bzw Beitragstatbestände (das „Wie“ der Abgabe).
288
Eine Staffelung der Kindergartengebühren nach dem Elterneinkommenist demgemäß zulässig, „jedenfalls“ solange selbst die Höchstgebühr die anteiligen tatsächlichen rechnerischen Kosten der Einrichtung nicht übersteigt und in einem angemessenen Verhältnis zu der damit abgegoltenen Verwaltungsleistung steht.[89]
289
Es spricht vieles dafür, die Obergrenze für die Höchstgebührim Regelfall tatsächlich dort zu ziehen, wo diese die anteiligen rechnerischen Kosten übersteigen würde, da sonst der Gegenleistungszusammenhang für die finanzstärkere Gruppe von Abgabepflichtigen gelöst würde.[90] Gleichheitsrechtlich unproblematisch erscheint hingegen eine Gebührenermäßigungaus sozialen Gründen für finanzschwächere Gruppen von Abgabepflichtigen.[91] Dabei darf der Gesetzgeber auch typisieren, sofern er den typischen Fall realitätsgerecht erfasst und abgrenzt.
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