175
Der geplante Art. 104d GG[101] führt einen weiteren Mischfinanzierungstatbestand ein und soll es dem Bund ermöglichen, den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich des sozialen Wohnungsbauszu gewähren. Nach Aufhebung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das „Wohnungswesen“ in Art. 74 Abs. 1 Nr 18 GG[102] konnten entsprechende Finanzhilfen nicht mehr auf Art. 104b GG gestützt werden. Ziel der jetzt geplanten Regelung ist es, deutlich mehr Sozialwohnungen zu bauen, um dem in zahlreichen Städten und Regionen bestehenden Mangel an bezahlbarem Wohnraum entgegenzuwirken und Versorgungsschwierigkeiten von einkommens- und sozial-schwächeren Haushalten entgegenzuwirken[103].
Gesamtstaatlich bedeutsamsollen Investitionen sein, die in ihrer Gesamtheit von erheblichem Gewicht für die Gewährleistung eines ausreichenden Angebotes an bezahlbarem Wohnraum sind und von den Ländern und Gemeinden nicht allein finanziert werden können[104].
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Wegen der näheren Ausgestaltung der Finanzhilfen, der Kontrolle der zweckentsprechenden Verwendung und der Unterrichtungsrechte von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung nimmt Art. 104d Satz 2 GG (wie Art. 104c Satz 2 GG) grds auf Art. 104b Abs. 2 und 3 GG Bezug. Allerdings ist (anders als im Fall des Art. 104c Satz 2 GG) nicht auch auf Art. 104b Abs. 2 Satz 5 und 6 GG verwiesen. Auf die Vorgabe einer Befristung(Art. 104b Abs. 2 Satz 5) und degressiven Ausgestaltungder Finanzhilfen (Satz 6) wird verzichtet. Der Bund könnte daher, wenn entsprechende Mittel im Haushalt bereitgestellt werden, auch langfristig mit Finanzhilfen den sozialen Wohnungsbau fördern.
5. Kriegsfolge- und Sozialversicherungslasten (Art. 120 GG)
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Eine weitere Sonderregelung zum Konnexitätsprinzip beinhaltet Art. 120 Abs. 1 GG. Danach trägt der Bund die Kriegsfolgelastenund die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherungmit Einschluss der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe.
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Kriegsfolgelastenmeinen nur Folgelasten des Zweiten Weltkrieges. In den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen insb Wiederaufbaukosten, Versorgungsleistungen an Angehörige der Wehrmacht und ihre Familien sowie Wiedergutmachungsleistungen, wie etwa Entschädigungszahlungen für erlittene Kriegsgefangenschaft[105]. Mit zunehmendem zeitlichem Abstand verlieren die Kriegsfolgelasten im Verhältnis zu den Sozialversicherungslasten immer mehr an Bedeutung.
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Sozialversicherungen finanzieren sich nicht nur aus Beiträgen der Versicherten(dazu Rn 313), sondern auch über Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln, die gem. Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG vom Bund getragen werden[106]. Die Aufteilung der Verwaltungskompetenz zwischen Bund und Ländern ist durch die Verfassung nicht klar definiert, sondern von der jeweiligen Ausgestaltung abhängig, Art. 87 Abs. 2 GG. Soweit die Ausführung landesunmittelbaren Körperschaften obliegt, ist Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG eine Ausnahme zu Art. 104a Abs. 1 GG.
6. Ausgleichsbetrag für den öffentlichen Personennahverkehr (Art. 106a GG)
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Die Aufgabenverantwortung für den Schienenpersonennahverkehr[107] ist gem. Art. 87e, 143a Abs. 3 GG den Ländern übertragen. Zum Ausgleich von Finanzierungsdefiziten gewährt der Bund den Ländern auf Grundlage von Art. 106a GGeinen Ausgleichsbetrag für den öffentlichen Personennahverkehr.
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Die Stellung des Art. 106a GGinmitten der Vorschriften zum Länderfinanzausgleich ist systematisch verfehlt. Die gewährten Mittel unterliegen einer Zweckbindung, so dass es sich bei Art. 106a GG um eine vom Konnexitätsgrundsatz abweichende Ausgabe-und nicht um eine Einnahmeregelung handelt. Dementsprechend ist der Betrag bei der Bemessung der Finanzkraft im Länderfinanzausgleich nicht zu berücksichtigen[108]. Anders verhält es sich demgegenüber mit Art. 106b GG, der den Ländern einen Betrag aus dem Steueraufkommen des Bundes gewährt. Damit wird nicht die Ausgabenlast einer konkreten Ausgabe gedeckt, sondern Mindereinnahmen aus der Übertragung der Kfz-Steuer auf den Bund kompensiert. In der Folge gehen die Einnahmen vollumfänglich in den Länderfinanzausgleich ein[109].
7. Sonderbelastungsausgleich (Art. 106 Abs. 8 GG)
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Einen weiteren Ausnahmetatbestand enthält Art. 106 Abs. 8 GG. Der sog. Sonderbelastungsausgleichgewährt einzelnen Ländern und Gemeinden einen Anspruch gegenüber dem Bund, wenn durch besondere Einrichtungen(zB militärische Standorte) Mehrausgaben oder Mindereinnahmen verursacht werden[110]. Erfasst werden Sonderbelastungen der Höhe nach nur soweit, wie es der betroffenen Körperschaft nicht zugemutet werden kann, diese selbst zu tragen. Entschädigungsleistungen Dritter – ebenso wie finanzielle Vorteile – sind bei dem Ausgleich zu berücksichtigen. Hauptstadtbedingte SonderlastenBerlins werden inzwischen durch Art. 22 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst[111].
8. Ungeschriebene Finanzierungskompetenzen
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Ohne ausdrückliche Ermächtigungfinanziert der Bund Länderaufgaben unter anderem in den Bereichen der Kunst-, Kultur-, Sport-, sektoralen Wirtschafts- und Forschungsförderung in beträchtlicher Höhe[112]. Dem liegen keine ungeschriebenen Finanzierungskompetenzen zu Grunde, solche gibt es nicht. Vielmehr muss es sich um Fälle handeln, in denen der Bund eine Aufgabeaufgrund einer ungeschriebenen Kompetenz wahrnimmt (kraft Sachzusammenhangs, Natur der Sache oder Annexkompetenz)[113]. In diesen Fällen folgt die Finanzierungsverantwortung bereits aus Art. 104a Abs. 1 GG. Außerhalb der verfassungsrechtlich geregelten Tatbestände sind Mischfinanzierungen nicht zulässig.
Erster Teil Staatliche Ebene: Bund und Länder› § 3 Staatliche Ausgaben› III. Ausgaben im Zusammenhang mit der Europäischen Union (Art. 104a Abs. 6 GG)
III. Ausgaben im Zusammenhang mit der Europäischen Union (Art. 104a Abs. 6 GG)
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Die Mitgliedschaft in der Europäischen Unionhat Folgen für die innerstaatlich wahrzunehmenden Aufgaben. Einerseits bestehen Finanzierungsverpflichtungen gegenüber der Union (s. Rn 808), andererseits müssen nicht nur Bundes- und Landesgesetze, sondern auch Gesetzgebungsakte der Europäischen Union vollzogen werden. Auch stellt sich die Frage nach der Lastentragung bei Verstößen gegen Unionsrecht. Die Verpflichtung des Bundes im Außenverhältnis (Art. 23 Abs. 1 GG) muss im Innenverhältnis der föderalen Struktur entsprechend weitergeleitet werden.
1. Vollzug und Finanzierung von Rechtsetzungsakten der Europäischen Union
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Rechtsetzungsakte der Europäischen Union sind Richtlinien und Verordnungen. Verordnungenrichten sich an sämtliche Mitgliedstaaten und stellen unmittelbar anwendbares Recht dar, Art. 288 Abs. 2 AEUV. Richtlinienkönnen demgegenüber auch an ausgewählte Staaten gerichtet sein und sind grds nicht unmittelbar anwendbar, sondern bedürfen eines nationalen Umsetzungsaktes, Art. 288 Abs. 3 AEUV. Aufgrund der Notwendigkeit eines nationalen Gesetzes ist die Kompetenzzuweisung für den Gesetzesvollzug und die Finanzierung unproblematisch; hier finden die allgemeinen Regelungen der Art. 83 ff GG sowie Art. 104a GG Anwendung[114].
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Schwieriger gestaltet sich demgegenüber die Kompetenzverteilung beim Vollzug von Verordnungen, wenn diese nicht durch die EU-Kommission vollzogen werden. Dem Wortlaut nach erfassen die Art. 83 ff GG nur den Vollzug von Bundesgesetzen. Rechtsetzungsmaßnahmen der Europäischen Union sind nicht vom Anwendungsbereich der Bestimmungen erfasst. Aufgrund von Art. 30 GG wären die Länder vollumfänglich für die Ausführung der Verordnungen zuständig.
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