164
Insb bei Investitionen zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet können sich Überschneidungen zur Gemeinschaftsaufgabedes Art. 91a Abs. 1 Nr 1 GG(Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur) ergeben. Vereinzelt wird ein Wahlrecht des Bundes zwischen den Instrumenten befürwortet[75]. Aufgrund der weiterreichenden Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundes und der konkreten Vorgaben des Art. 91a Abs. 3 Satz 1 GG zu den Finanzierungsanteilen hat Art. 91a Abs. 1 Nr 1 GG als speziellere Vorschrift allerdings Vorrang. Finanzzuschüsse des Bundes sind daher auf Grundlage des Art. 104b Abs. 1 Nr 2 GG unzulässig, soweit der Anwendungsbereich des Art. 91a Abs. 1 Nr 1 GG eröffnet ist[76].
165
Auch ohne Gesetzgebungsbefugnisse kann der Bund gem. Art. 104b Abs. 1 Satz 2 GG im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, finanzielle Unterstützung leisten.
166
Die Ausnahme von der Bindung an die Gesetzgebungskompetenz wurde erst im Zuge der Föderalismusreform II (2009) in Art. 104b GG aufgenommen[77] und bildet eine Parallele zu Art. 109 Abs. 3 Satz 2 und Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG (dazu Rn 456 ff). Damit soll sichergestellt werden, dass zur Bewältigung solcher Notsituationen erforderliche Programme zur Belebung der Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand mit Unterstützung des Bundes in allen Investitionsbereichen durchgeführt werden können[78]. Außergewöhnliche Notsituationen in diesem Sinne können unter anderem Unglücksfälle, menschliches Versagen oder terroristische Anschläge sein[79]. Vor allem auch die Wirtschafts- und Finanzkriseder Jahre 2007–2010 war nach der Vorstellung des Gesetzgebers eine solche Notsituation[80].
167
Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in Art. 104b Abs. 1 GG gewährt dem Bund eine Einschätzungsprärogative auf Tatbestandsebene[81]. Auf der Rechtsfolgenseite steht dem Bund grds ein Ermessenzu, ob und in welchem Umfang Finanzhilfen geleistet werden sollen. Allerdings kann sich die Option des Bundes in bestimmten Situationen auch zu einer Hilfeleistungspflicht verdichten[82].
168
Eingeschränkt wird der mögliche Umfang der finanziellen Unterstützung durch den Begriff „Finanzhilfen“. Daraus folgt zum einen, dass der Bund die Unterstützung nicht aufdrängenkann, die Länder diese mithin ablehnen dürfen und die Gewährung der Hilfe nicht von Einvernehmens-, Zustimmungs- oder Genehmigungsvorbehalten oder auch Einspruchsrechten im Einzelfall abhängig gemacht werden darf[83]. Zum anderen können Hilfen nur unterstützender Natur sein. In der Folge darf der Bund immer nur einen Teil der Investitionskostenübernehmen[84].
169
Die nähere Ausgestaltung der Finanzhilfen kann gem. Art. 104b Abs. 2 Satz 1 GG durch zustimmungspflichtiges Bundesgesetzoder auf Grund des Bundeshaushaltsgesetzes durch Verwaltungsvereinbarunggeregelt werden. Dies bedeutet aber keine Ermächtigung zu Regelungen, die dem Bund Verwaltungsbefugnisse einräumen[85]. Die Gewährung ist zu befristen, degressiv, dh im Zeitablauf mit fallenden Jahresbeiträgen, auszugestalten[86] und die Verwendung der Mittel in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen, Art. 104b Abs. 2 Sätze 5 und 6 GG. Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat sind auf Verlangen über die Durchführung der Maßnahmen und die erzielten Verbesserungen zu unterrichten, Art. 104b Abs. 3 GG[87].
170
Mit der Grundgesetzänderung vom Juli 2017[88] wurde die mit dem ursprünglichen Art. 104b GG angestrebte Entflechtung ( Rn 157) teilweise zurückgenommen. In Art. 104b Abs. 2 Satz 2, 3 GG ist nunmehr vorgesehen, dass durch Bundesgesetz (bzw die Verwaltungsvereinbarung) auch Bestimmungen über die Ausgestaltungder jeweiligen Länderprogramme getroffen werden können. In Satz 4 wurden Kontrollmöglichkeiten des Bundes eingeführt, zur Gewährleistung der zweckentsprechenden Mittelverwendung kann die Bundesregierung danach Bericht und Vorlage der Akten verlangen und Erhebungen bei allen Behörden durchführen.
171
Weil die Verwaltungsvereinbarung nur mit allen betroffenen Ländern zugleich abgeschlossen werden darf bzw das konkretisierende Bundesgesetz der Zustimmung des Bundesrates bedarf (Art. 104b Abs. 2 Satz 1 GG), haben die Länderbei der Frage, ob und was gefördert werden soll, gewisse Mitwirkungsrechte[89]. Auch die Festlegung der Kriterien zur Ausgestaltung der jeweiligen Länderprogramme muss im Einvernehmen mit den betroffenen Ländern erfolgen. In einem zweiten Schritt entscheiden die Länder dann über die konkrete Umsetzung. Diese zweistufige Vorgehensweise[90] trägt der Rechtsprechung des BVerfG Rechnung, nach der „die Entscheidung darüber, welches Investitionsvorhaben gefördert werden soll, allein dem betreffenden Land“ zusteht[91].
b) Finanzhilfen im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur (Art. 104c GG)
172
Der im Juli 2017 eingefügte Art. 104c GG[92] ermöglicht es dem Bund, den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der finanzschwachen Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur(allgemein- und berufsbildende Schulen sowie Kinderbetreuungseinrichtungen)[93] zu gewähren. Im Vergleich zur Regelung in Art. 104b Abs. 1 GG ist der Zweck der Finanzhilfen also deutlich bestimmter und auch enger gefasst. Gleichzeitig ist die Schulsanierungshilfe aber (noch) auf Sachinvestitionen finanzschwacher Gemeinden beschränkt[94] – eine Einschränkung, die sich an die einfach-gesetzliche Regelung des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes (KInvFG) anlehnt[95], aber zu erheblichen Umsetzungsschwierigkeiten geführt hat und daher aufgehoben werden soll[96].
173
Anders als Art. 104b Abs. 1 GG setzt Art. 104c Satz 1 GG keine Gesetzgebungskompetenzdes Bundes voraus, vielmehr greift Art. 104c GG mit der Anknüpfung an Schulen in ein klassisches „Hausgut“ der Länder und Gemeinden über. Dennoch verweist Art. 104c Satz 2 GG für die nähere Ausgestaltung auf Art. 104b Abs. 2 und 3 GG, so dass der Bund auch hier die Arten der zu fördernden Investitionen und die Kriterien für die Ausgestaltung der Länderprogramme bestimmen sowie die Mittelverwendung bei allen Behörden überprüfen kann ( Rn 170)[97]. Wie im Fall des Art. 104b GG sind die Finanzhilfen nach Art. 104c GG zu befristen und degressiv auszugestalten; die Verwendung der Mittel ist auch hier in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen ( Rn 169).
174
Investitionen in kommunale Bildungsinfrastruktursind insb der Neubau und die Sanierung bzw Modernisierung von Gebäuden (einschließlich notwendiger Einrichtung und Ausstattung) sowie die Errichtung einer bildungsbezogenen digitalen Infrastruktur (schnelle Internetverbindungen und IT-technische Systeme)[98]. Die Formulierung „gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen“scheint zwar auf einen strengen Maßstab hinzudeuten[99] und wirft die Frage auf, ob „eine einzelne – zumal finanzschwache – Kommune“ überhaupt eine „gesamtstaatlich bedeutsame Investition tätigen“ kann[100]. Letztlich ist mit dem Bezug auf die gesamtstaatliche Bedeutung aber keine tatbestandliche Einschränkung bezweckt, sondern es soll wohl nur die hohe Bedeutung von Bildung und der zu Grunde liegenden Bildungsinfrastruktur – gewissermaßen als in den Verfassungstext übernommene politische Rechtfertigung für diesen Sondertatbestand – betont werden.
c) Finanzhilfen im Bereich des sozialen Wohnungsbaus (Art. 104d GG)
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