Thüringer Kommunalordnung idF d. Bekanntm. v. 28.1.2003 (GVBl. S. 41), zuletzt geändert durch Gesetz v. 10.4.2018 (GVBl. S. 74).
Lit.: Rücker/Dieter/Schmidt ua , Komm. (Stand: 2018); Uckel/Hauth/Hoffmann/Noll , Kommunalrecht in Thüringen, Komm. (Stand: 2018); Leisner-Egensperger , in: Baldus/Knauff, Landesrecht Thüringen, 2019.
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Zudem impliziert die zunehmende Normierungsflutin nahezu allen von den Kommunen zu bewältigenden Aufgabenkreisen – kumulativ verantwortet von EU, Bund und Ländern – mit immer neu anbrandenden Wellen erhebliche Gefährdungen der kommunalen Selbstverwaltung[5]. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gem. Art. 28 II GG nicht zu den integrationsfesten Prinzipien iSv Art. 23 I iVm Art. 79 III GG zählt[6]. Immerhin haben es die kommunalen Spitzenverbände erreicht, dass im Zuge der Föderalismusreform 2006 ein Verbot der Übertragung neuer Aufgaben auf Gemeinden und Gemeindeverbände durch den Bund in das Grundgesetz aufgenommen worden ist[7].
Dieses Beispiel akzentuiert die zunehmende Bedeutung einer effizienten gemeinsamen Interessenvertretungvon Gemeinden und Gemeindeverbänden auf Landes- und Bundesebene.
Heute bestehen zur gemeinsamen Interessenvertretung der kommunalen Körperschaften auf Bundesebene Organisationen in der Rechtsform privatrechtlicher Vereine: der Deutsche Städtetag (Mitglieder: hauptsächlich kreisfreie Städte), der Deutsche Städte- und Gemeindebund (kreisangehörige Städte und Gemeinden) sowie der Deutsche Landkreistag (Landkreise), die in der „Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände“ zusammengeschlossen sind. Diese Bundes- und auch entsprechende Landesorganisationen – sie finden sich etwa in Art. 71 IV bd.wtt.Verf., Art. 83 VII bay.Verf., Art. 97 IV brandenb.Verf., Art. 57 VI nds.Verf., Art. 84 II sächs.Verf. und Art. 91 IV thür.Verf. ausdrücklich erwähnt – geben auch Zeitschriften heraus, die aktuelle kommunalrechtliche Fragen behandeln; so etwa „Städtetag“, „Städte- und Gemeinderat“, „Der Landkreis“ oder „Eildienst LKT NW“[8].
3. Kommunale Selbstverwaltung und Europarecht
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Die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung für eine effiziente und bürgernahe Verwaltungstätigkeit wird zunehmend auch auf europäischer Ebeneerkannt, ohne dass dieser Einsicht im derzeit geltenden Unionsrecht breiter Rechnung getragen worden wäre[9]. Dass Entscheidungen möglichst bürgernah[10] getroffen werden, ist immerhin ein Postulat, das in Art. 1 II des Vertrages über die Europäische Union (EUV) an prominenter Stelle verankert wurde. Ebenso wie schon im gescheiterten Vertrag über eine Verfassung für Europa (VVE)[11] ist seit dem Lissabonner Vertragin Art. 4 II 1 EUV die regionale und kommunale Selbstverwaltung als Element der grundlegenden politischen und verfassungsrechtlichen Struktur von Mitgliedstaaten anerkannt. In Art. 5 EUV, der Vorschrift über das mit Blick auf das gesamte Unionsrecht viel diskutierte Subsidiaritätsprinzip, wird die lokale Ebene ausdrücklich in Abs. III erwähnt (s. auch Rn 48). Hinzuweisen ist auch auf die Institutionalisierung eines Ausschusses der Regionengemäß Art. 300 AEUV[12].
Bei allen Vorhaben der Europäischen Union, was die Übertragung von Hoheitsrechten auf diese einschließt, ist gemäß § 10 I des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Unionvom 12.3.1993 (BGBl. I S. 313) das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände zur Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu wahren und ihre Belange zu schützen.
Nachhaltigere Impulse als bislang sollten aber auch von der auf der Ebene des Europarats erarbeiteten und 1988 in Kraft getretenen Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltungvom 15.10.1985[13] ausgehen. Hierbei handelt es sich um einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag auf der Ebene des Europarats, der die Vertragsstaaten zur Anwendung von Grundregeln verpflichtet, welche die politische, verwaltungsmäßige und finanzielle Selbstständigkeit der Gemeinden gewährleisten sollen. Die in der Charta enthaltenen Grundsätze der kommunalen Selbstverwaltung entsprechen weitgehend dem Standard, der in Deutschland verfassungsrechtlich bereits durch Art. 28 II GG garantiert wird (dazu Rn 45 ff)[14].
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Umgekehrt erlangt auch das EU-Rechtauf kommunaler Ebene zunehmende Bedeutung, etwa bei der wirtschaftlichen Betätigung[15], bei der Auftragsvergabe[16], bei der Wirtschaftsförderung[17] sowie auf dem Personalsektor.[18] Dem wird immerhin durch Mitwirkung im Rahmen des vorgenannten beratenden, aus Vertretern der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften bestehenden Ausschusses der Regionen ansatzweise Rechnung getragen.
Die nachfolgende Darstellung von Schwerpunkten[19] des Kommunalrechts geht im Wesentlichen von den in Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern geltenden Bestimmungen aus, bezieht aber bei bedeutsamen Abweichungen regelmäßig auch die Besonderheiten des Kommunalrechts der übrigen Flächenstaaten, insbesondere Baden-Württembergs und Sachsens, mit ein.
Teil I Kommunalrecht› § 1 Das Kommunalrecht und die kommunalen Rechtssubjekte› II. Die kommunalen Rechtssubjekte
II. Die kommunalen Rechtssubjekte
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Fall 1: „Das unerwünschte Müllheizkraftwerk“
Das Entsorgungsunternehmen E beabsichtigt, in Einklang mit diesbezüglichen Vorstellungen der Landesregierung NRW, auf einem 180 ha großen Gelände am Niederrhein im Gebiet der kreisangehörigen Gemeinde G ein Müllheizkraftwerk zu errichten. Im Rahmen des notwendigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens (vgl § 35 I KrWG) machen der Kreis K und die benachbarte, in der Luftlinie 10 km vom vorgesehenen Standort entfernte kreisfreie Stadt S, nicht aber die Gemeinde G Einwendungen geltend. Dessen ungeachtet wird eine erste Teilgenehmigung erteilt. Besteht eine Klagebefugnis der kommunalen Körperschaften G, K und S? Rn 38
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Unmittelbare Regelungsgegenstände des Kommunalrechts sind die lokalen Gebietskörperschaften, welche regelmäßig unter dem Oberbegriff der Kommune zusammengefasst werden.[20] Als kommunale Rechtssubjektebegegnen uns in den bundesdeutschen Flächenstaaten durchgängig kreisangehörige Gemeinden, Landkreiseund kreisfreie Städte. Darüber hinaus gibt es in einigen Bundesländern noch höherstufige Gemeindeverbände, so in NRW die Landschaftsverbände und in Bayern die Bezirke (s. Rn 26). Außerdem nehmen vielfach Kommunen einzelne ihrer Aufgaben gemeinsam wahr, dies häufig in der verselbstständigten Rechtsform des kommunalen Zweckverbandes( Rn 29 ff).
Auch in Bremen existieren kommunale Körperschaften (vgl Art. 143 brem.Verf.: „Stadt Bremen“ und „Stadt Bremerhaven“). In Hamburg hingegen gibt es keine Kommunen im Rechtssinne[21]. In Berlin bilden die Bezirke keine selbstständigen Gebietskörperschaften, sondern Selbstverwaltungseinheiten Berlins ohne Rechtspersönlichkeit[22].
Daneben hat die Verwaltungsinstitution der „Ämter“ in den neuen Ländern eine Wiederbelebung erfahren (vgl unten Rn 27 f).
Das Kommunalrecht wird vor diesem Hintergrund zumeist in Gemeinderecht – dies steht gängigerweise im Vordergrund des Interesses – und Kommunalverbandsrecht gegliedert[23]. In modernen Kommunalgesetzen wird mitunter der Terminus „Kommune“ als Sammelbezeichnung für Gemeinden und Gemeindeverbände benutzt, so etwa in dem seit 2011 geltenden Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz,[24] das unter dem Oberbegriff „Kommunen“ alle Landkreise und Gemeinden, alle Samtgemeinden sowie die Region Hannover zusammenfasst (vgl § 1 I NKomVG). Entsprechend verfährt auch das Kommunalverfassungsgesetz Sachsen-Anhalt(vgl § 1 I KVG-LSA).
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