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In den Fällen, in denen der Schuldspruch mit der Verhängung einer Freiheitsstrafeeinhergeht, dürfte daher stetseine existentielle Betroffenheitdes Beschwerdeführers zu bejahensein. Das bringt das Gericht angesichts der erheblichen Anzahl der das materielle Strafrecht betreffenden Verfahren[32] in eine etwas prekäre Lage. In diesen Fällen wird eine Korrektur über die Erfolgsaussichten des Begehrens im Rahmen des Annahmeverfahrens – wohl mit Recht – für unumgänglich gehalten. Jedenfalls bei Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde könne dem Beschwerdeführer danach schon kein besonders schwerer Nachteil entstehen. Gerade in Strafsachen erweisen sich damit streng gehandhabte Zulässigkeitsvoraussetzungen als leicht zu öffnendes, aber bei Überlast auch geräuschlos wieder zu schließendes Steuerungsventil der Arbeitslastdes Gerichts.
Teil 1 Die Aufgaben des Strafverteidigers im Verfassungsbeschwerdeverfahren› B. Weitere verfahrensrelevante Gesichtspunkte› II. Allgemeines Register (AR), Verfahrensregister (BvR) und weiterer Verfahrensgang
II. Allgemeines Register (AR), Verfahrensregister (BvR) und weiterer Verfahrensgang
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Eingaben an das Gericht , mit denen der Absender weder einen bestimmten Antrag verfolgt noch ein Anliegen geltend macht, für das eine Zuständigkeit des BVerfG besteht, werden im Allgemeinen Register(AR) erfasst. Sie werden als Justizverwaltungsangelegenheiten bearbeitet. Im AR können aber auch Verfassungsbeschwerden registriert werden, bei denen eine Annahme zur Entscheidung nicht in Betracht kommt, weil sie offensichtlich unzulässigsind oder unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichts offensichtlich keinen Erfolg haben können. In den letzten Jahren wurden nur zwischen 22 % (1999) und 58 % (2013) der im AR eingetragenen Verfassungsbeschwerden gem. § 61 Abs. 2 GOBVerfG später in das Verfahrensregister übertragen; weit über die Hälfte aller Eingaben scheiterndemnach bereits an dieser Stelle.[33] Konkret heißt das, dass z.B. im Jahr 2010 insgesamt 4.847 Eingaben erledigt wurden, ohne dass ein Richter der Kammern sie je zu Gesicht bekommen hätte.[34] Begehrt der Einsender nach Unterrichtung über die Rechtslage dennoch die richterliche Entscheidung, wird die Beschwerde in das Verfahrensregister übertragen und weiterbehandelt (§ 61 Abs. 2 GOBVerfG).
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Ist die Verfassungsbeschwerde ordnungsgemäß eingelegt, so erhält sie ein BvR-Aktenzeichen. Da dies schon die Vorprüfung durch den/die zuständige(n) Präsidialrat/-rätin (§ 60 Abs. 1 GOBVerfG) voraussetzt, können darüber bis zu zwei Wochenvergehen. Nach der Mitteilung des Aktenzeichens hört der Beschwerdeführer von der Sache in aller Regel für längere Zeit nichts mehr. Zutreffend lakonisch heißt es bei Zuck [35]: „ Schriftwechsel ist unüblich. Wenn das Gericht etwas wissen will, fragt es danach.“ Die Kammer – in der Praxis also zunächst der zuständige Wissenschaftliche Mitarbeiter mit anschließender Vorlage an den Dezernenten und, im Falle der Zustimmung, Umlauf bei den beiden anderen Kammermitgliedern[36] – prüft nun die Annahmevoraussetzungen nach § 93a BVerfGG. Hieraus erwächst nicht nur eine der Tätigkeit in einem amtsrichterlichen Dezernat nahekommende Selbständigkeit in der Verwaltung des intern zugewiesenen Aktenbestandes, sondern durch die eigenständige Erstellung von Sachbericht und Votum in Verbindung mit der dem richterlichen Dezernenten zur Verfügung stehenden Jahresarbeitszeit ein ganz erheblicher Einfluss auf den Rechtsfindungsvorgang in Kammersachen.[37] In einem Zeitraum zwischen einigen Monaten und einigen Jahren ergeht dann eine Entscheidung, ob die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen wird.[38] Wird sie, die Statistik dementierend, zur Entscheidung angenommen, kann die Kammer der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie offensichtlich begründet ist und das Gericht die maßgebliche Frage bereits entschieden hat. Hat die Kammer weder abgelehnt noch stattgegeben, so wird die Verfassungsbeschwerde zugestellt (§ 22 GOBVerfG) und der Senat entscheidet über die Annahme. Das Senatsverfahren dauert nun im Allgemeinen zwischen zwei und fünf Jahren.
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An dieser Ausgangslage orientiert, sollen im folgenden zweiten Teil[39] zunächst abstrakt die Zulässigkeitsvoraussetzungender Verfassungsbeschwerde in Strafsachen erläutert werden. Der Rechtsanwalt, der von seinem Mandanten mit der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde beauftragt wurde, sollte sich so darüber klar werden, ob es überhaupt (ggf.: noch oder schon) Sinn macht, mit seinem Begehren vor das höchste deutsche Gericht zu ziehen. In einem dritten Teil[40] werden zum Abschluss die konkreten Anforderungen an das Verfassen einer Beschwerdeschriftund Einhaltung der Subsidiaritätsanforderungenbehandelt. Die Ausführungen sollen als Hilfestellung dienen, aber auch daran erinnern, dass im Einzelfall durchaus eingehende Überlegungen zu der Frage angestellt werden sollten, ob der nicht auf Straf(prozess)verfassungsrecht spezialisierte Rechtsanwalt der ehrenvollen, aber schwierigen Aufgabe angesichts der nicht immer gastfreundlichen Karlsruher Spruchpraxis in jeder Hinsicht gewachsen ist.
Teil 1 Die Aufgaben des Strafverteidigers im Verfassungsbeschwerdeverfahren› B. Weitere verfahrensrelevante Gesichtspunkte› III. Rechtskraft eines Nichtannahmebeschlusses
III. Rechtskraft eines Nichtannahmebeschlusses
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Grundsätzlich ist ein Nichtannahmebeschluss nach § 93d Abs. 1 S. 2 BVerfGG nichtmehr anfechtbar.[41] Dies kann auch von – je nach Betrachterstandpunkt – besonders findigen oder hartnäckig querulatorischen Beschwerdeführern nicht dadurch umgangen werden, dass im Rahmen einer Gegenvorstellung die Verfassungswidrigkeit der § 93a ff. BVerfGG gerügt wird.[42] Von diesem Grundsatz macht das Gericht [43] allerdings dann eine höchst seltene Ausnahme, wenn der Nichtannahmebeschluss auf einem Fehler in der Sphäre des Gerichts beruht, etwa bei im Gericht außer Kontrolle geratenen Schriftstücken. Ist der Beschwerdeführer in Ansehung der Begründung des Nichtannahmebeschlusses sicher,[44] dass ein solcher Fall gegeben ist, kann ausnahmsweise eine Gegenvorstellungerhoben werden.
[1]
Umbach u. a. (Hrsg.), Das wahre Verfassungsrecht – zwischen Lust und Leistung –, GS Nagelmann, 1984. Siehe dazu Rossi DÖV 2016, 732; Zankl Irrwitziges aus der Wissenschaft, 2008, S. 225 ff.
[2]
Soeben Rn. 41.
[3]
Die Lehrbücher des Strafprozessrechts gehen daher auf die Verfassungsbeschwerde bestenfalls kursorisch ein, vgl. Beulke Strafprozessrecht, 13. Aufl. 2016, Rn. 506, 533; Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht, 29. Aufl. 2017, § 3 Rn. 5; Hellmann Strafprozessrecht, 2. Aufl. 2006, Rn. 856; Kindhäuser Strafprozessrecht, 4. Aufl. 2016, § 3 Rn. 13 und Heghmanns Strafverfahren, 2014, Rn. 1239; anders allein Schroeder/Verrel Strafprozessrecht, 7. Aufl. 2017, Rn. 324 f.
[4]
Barczak AL 2013, 314 (315); Lübbe-Wolff AnwBl. 2005, 509 (512); a.A. wohl B. Peters/Markus JuS 2013, 887 (890); Muckel JA 2010, 557.
[5]
So – aus rechtssoziologischer Perspektive – H. A. Hesse in: van Ooyen/Möllers, S. 137 (149).
[6]
Sauer AöR 138 (2013), 294.
[7]
Vgl. www.bundesverfassungsgericht.de/organisation. Eingehende (ältere) statistische Angaben und Auswertungen bei Blankenburg ZfRSoz 1998, 37; Jestaedt in: Jestaedt/Lepsius u.a., S. 77 (114 f.).
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