Gem. Art. 19 Abs. 2 GG darf in keinem Fall ein – durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes – eingeschränktes Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden. Diese Wesensgehaltsgarantiegilt auch für das soldatische Dienstrecht.
Absolute Grenze für jegliche Eingriffe in Rechte der Soldaten ist die Menschenwürde, die unangetastet bleiben muss (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG), deren Achtung und Schutz Verpflichtung auch innerhalb der Streitkräfte ist (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) und an der die Gehorsamspflicht endet (§ 11 Abs. 1 Satz 3).
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Auch unterhalb dieser Grenze müssen Beschränkungen von Rechten auf gesetzl. oder untergesetzl. Ebene – also aufgrund eines Gesetzes – sich ungeachtet der verfassungsrechtl. Bedeutung der Verteidigungsbereitschaft stets am Grundsatz der Verhältnismäßigkeitmessen lassen.[21] „Erfordernisse des militärischen Dienstes“i.S.v. § 6 Satz 2oder die von der Rspr. entwickelte Formel von der „Funktionsfähigkeit der Bundeswehr“[22] können als Interpretationshilfebei der Prüfung des Grds. der Verhältnismäßigkeit herangezogen werden.[23]
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Über allg., für jedermann geltende Gesetzesvorbehalte der Verfassung hinaus können nach Art. 17a Abs. 1 GG „Gesetze über [den] Wehrdienst“[24] für die Zeit des Wehrdienstes – also für Soldaten–
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das Grundrecht, die Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 GG), |
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das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und |
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das Petitionsrecht (Art. 17 GG), soweit es das Recht betrifft, Bitten oder Beschwerden in Gemeinschaft mit anderen vorzubringen, |
einschränken. So ist bspw. das im Distanzverhältnis unbeschränkte Versammlungsrecht des Art. 8 Abs. 1 GG mittels Art. 17a GG durch § 15 Abs. 1und 2 SG im Näheverhältnis verkürzt.
Gem. Art. 17a Abs. 2 GG schließlich können „Gesetze, die der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung dienen“ gegenüber jedermann(somit auch gegenüber Soldaten) die Grundrechte der
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Freizügigkeit (Art. 11 GG) und der |
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Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) |
einschränken.
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Die Einschränkungsvorbehalte des Art. 17a GG treten kumulativ und enumerativ[25] neben die allg. Vorbehalte, die für bestimmte Grundrechte ohnehin gelten.[26] Allerdings hat die Norm auf verfassungsrechtl. Ebene eine dem § 6vergleichbare Funktion. Sie soll verdeutlichen, dass auch Soldaten grds. vollen Grundrechtsschutz genießen.[27] Andererseits kann Art. 17a Abs. 1 GG entnommen werden, dass Soldaten bezogen auf den Wehrdienst intensivere Beschränkungen ihrer Meinungsfreiheit zu dulden haben.[28]
Aus Art. 17a GG ergibt sich kein Zitiergebot im Hinblick auf Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Denn auch wenn Art. 17a GG nach Auffassung des BVerwG lex specialis für Beschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung im Wehrdienstverhältnis ist,[29] käme ein Zitiergebot nur in Betracht, wenn es bei dem Grundrecht auch sonst erforderlich wäre.[30] Der besondere Vorbehalt des Art 5 Abs. 2 GG hins. der Meinungsfreiheit(„Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze“) ersetzt die Notwendigkeit einer Zitierung. Die sich insbes. aus § 8, § 10 Abs. 6, § 15und § 17 Abs. 1und 2 ergebenden Einschränkungen des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sind daher formell nicht zu beanstanden.[31]
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Expressis verbis hat der Gesetzgeber im SGnur an drei Stellen Grundrechtseinschränkungen ausdrücklich genannt:
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Einschränkung des Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch die Verpflichtung zur Duldung bestimmter Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit zur Gesunderhaltung ( § 17a Abs. 2 Satz 2). |
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Dienstleistungspflichtige[32] haben sich im Rahmen der Dienstleistungsüberwachung zur Verhütung übertragbarer Krankheiten impfen zu lassen ( § 77 Abs. 4 Nr. 6 Halbs. 2). |
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Einschränkung des Grundrechts aus Art. 13 GG durch die Befugnis der Polizei, zum Zweck der Vorführung oder Zuführung eines Dienstleistungspflichtigen dessen Wohnung zu betreten; ( § 79 Abs. 3 Satz 9). Die verfassungsrechtl. Ermächtigung für diese Regelung folgt aus Art. 17a Abs. 2 GG. |
2. Rechtspolitische und forensische Bedeutung des § 6; Staatsbürger in Uniform
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§ 6ist primär vor dem Hintergrund der polit. Debatten um die Wiederbewaffnung Deutschlandsund der wesentlich durch Graf Baudissin begründeten Konzeption der Inneren Führungzu begreifen. § 6drückt mit dem Gedanken des Soldaten der Bw als „Staatsbürger in Uniform“[33], der dem Grds. nach Träger aller (Grund-)Rechte des GG ist, eine staatspolit. Wertentscheidung für das seinerzeit neue soldatische Leitbildaus.[34] Nach heutigem Verständnis fordert dieses Leitbild vom Soldaten, „eine freie Persönlichkeit zu sein, als verantwortungsbewusster Staatsbürger zu handeln, sich für den Auftrag einsatzbereit zu halten“.[35]
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In zahlreichen Schriften zur Inneren Führung aus den Aufbaujahren der Bw ist § 6als gesetzl. Verankerung der Konzeptionder Inneren Führung zit. worden. Diese Konzeption ist zunehmend verrechtlichtworden.[36] So stellt auch die ZDv A-2600/1, Nr. 306, fest: „Die Bundeswehr ist insbesondere durch das Völkerrecht, das Grundgesetz und weitere Gesetze, vor allem durch die Wehrgesetze, in einen umfassenden rechtlichen Rahmeneingebunden. Als Grundlage der Inneren Führung legt er die Stellung der Bundeswehr im Staatsowie die Stellung der Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr fest …“.
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Die Bedeutung des § 6ist rechtspolit. Natur. Die Norm stellt insoweit eine rechtshistorischeund wehrpolit. Quelledar. So scheint dies auch die Judikativezu verstehen. Auffallend oft wird in Entsch. zwar in der jew. Kopfleiste der amtl. Veröffentlichung u.a. § 6zit.; in den Gründen wird dieses Zitat aber weder wiederholt noch wird darauf näher eingegangen.[37]
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Der Gesetzeswortlaut darf nicht zu eng ausgelegt werden. Soweit Satz 1ohne Regelungscharakter klarstellt, dass der Soldat „die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger“ hat, schließt das natürlich auch die über bloße Bürgerrechte hinausgehenden Rechte nach dem GGein, insbes. die Grundrechte und die grundrechtsgleichen Rechte.[38] Denn die Bindung der vollziehenden Gewalt an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG schließt die SK als Teil der Exekutive ein.[39]
20
Satz 1räumt Soldaten keine zusätzlichen, eigenständigen Rechteein, die für andere Staatsbürger nicht bestehen.[40]
4. Satz 2
a) „Erfordernisse des militärischen Dienstes“
21
Wie bereits oben (zu Rn. 12) ausgeführt, ist dieser unbest. Gesetzesbegriff als Interpretationshilfefür den Rechtsanwender bei der stets gebotenen Prüfung zu begreifen, ob ein Handlungs- oder Unterlassungsgebot sachlich notwendig und gerechtfertigt ist. Er ist damit eine gesetzl. Ausformung des auch ohne die Norm zu beachtenden Grds. der Verhältnismäßigkeitund des Willkürverbots.[41]
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