III. Erfolgsunrecht
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Ein Erfolgsunrecht ist – nach hier vertretener Auffassung – in erster Linie bei Verletzungen oder konkreten Gefährdungen des Handlungsobjekts gegeben, indem der Achtungsanspruch des rechtlich schützenswerten Interesses realen Ausdruck findet,[75] mithin bei schädlichen Folgen für mögliche Gegenstände subjektiver Rechte.[76] Hierzu zählen etwa die Tötung, die Gesundheitsschädigung, die Zerstörung bzw. Beschädigung von Sachen, deren Wegnahme oder Unterdrückung oder der Eintritt eines Vermögensnachteils. Auch bei einer „Beinahe-Verletzung“ bzw. Schädigung als manifestierter bzw. spürbarer Beeinträchtigung des Achtungsanspruchs lässt sich ein Erfolgsunrecht bejahen. Das Erfolgsunrecht kann auch verschiedene „Stufen“ durchlaufen, und ggf. kann ein zusammengesetztes Delikt zwei auseinandergehende Erfolgsunrechtskomponenten aufweisen (so etwa bei der an § 306 StGB knüpfenden Brandstiftung mit Todesfolge nach § 306c StGB[77]). Die Anknüpfung an reale Lebenssachverhalte macht insofern auch eine Quantifizierung des Unrechtsurteils möglich, was v.a. bei der Strafzumessung (vgl. Rn. 45 ff.) eine Rolle spielt (Art und Ausmaß der Verletzungen, Höhe des Schadens etc.). Wie bereits dargelegt, kann man – ohne erhebliche Auswirkungen – auch schlichten Tätigkeitsdelikten bzw. abstrakten Gefährdungsdelikten (die ggf. auch durch Außenwelterfolge begrenzt werden) einen Erfolgsunrechtsbestandteil zuschreiben, doch macht dies nur Sinn, wenn und soweit dieser bzw. die erfolgreiche Vornahme einer schlichten Tätigkeit eine unterschiedliche Behandlung zum objektiven Handlungsunrecht (in Form der objektiven Manifestation des Intentionsunwerts) rechtfertigt.
2. Erfolgsunrecht und Verbrechenslehre
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Es wird sich v.a. im Rahmen des objektiven Handlungsunrechts noch zeigen, dass viele „außertatbestandliche“ Fragen bzw. Ausprägungen der modernen Zurechnungslehre mit der Unrechtslehre eng zusammenhängen. Beim Erfolgsunrecht tritt dies v.a. zum Vorschein, wenn ein Verletzungserfolg eintritt, aber nicht als das Werk des Täters angesehen werden kann, weil er auf einem atypischen Kausalverlauf beruht. Auch entfällt das Erfolgsunrecht, wenn die Verletzung nicht vom Täter ausgeht, mithin nicht in dessen Verantwortungsbereich liegt. Angesprochen ist damit nicht nur die Straflosigkeit der Beteiligung an einem Suizid,[78] sondern auch die Lehre von der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung (wobei es in diesen Fällen bereits am Handlungsunrecht fehlen kann[79]). Der terminologischen Abgrenzung zwischen rechtfertigender Einwilligung und einverständlicher Fremdgefährdung, die nach dem Handlungsvollzug und dem Grad der in Kauf genommenen Rechtsgutsbeeinträchtigung vorzunehmen ist, kommt hier keine Indizwirkung dergestalt zu, als nur in letzteren Fällen (erst) das Erfolgsunrecht entfiele.
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Was die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Straftat angeht, so wurde bereits angedeutet, dass das Erfolgsunrecht etwa bei den „klassischen Fahrlässigkeitsdelikten“ der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung (§§ 222, 229 StGB) zumindest mitkonstitutiv wirkt, während bei schlichten Tätigkeitsdelikten, deren fahrlässige Begehung pönalisiert wird (z.B. § 316 Abs. 2 StGB), darauf verzichtet wird. Was den Versuch angeht, so muss man davon ausgehen, dass im derzeitigen Konzept eines „gemischt subjektiv-objektiven“-Ansatzes, bei dem es für die Versuchsstrafbarkeit nicht auf die tatsächliche auch nur Gefährdung eines Rechtsguts ankommt, das Erfolgsunrecht nicht konstitutiv sein kann (vgl bereits Rn. 23).[80] Denn die unrechtsbegründende Manifestation des Tatentschlusses stellt das objektive Handlungsunrecht dar,[81] welches nicht durch ein Erfolgsunrecht in Form der „Erschütterung der Rechtsgemeinschaft“ ergänzt wird.[82]
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Das Handlungsunrecht setzt sich, wie bereits angedeutet, grundsätzlich aus tatbezogenen und täterbezogenen (personalen) Elementen zusammen.[83] Der Gegenstand und das Beziehungsverhältnis dieser beiden Teilelemente zueinander gibt v.a. den Maßstab für die Reichweite der Vorsatz- und Fahrlässigkeitshaftung vor. Dabei stellt sich insb. die umstrittene Frage, inwiefern auf dieser Ebene wiederum beide Elemente kumulativ vorliegen müssen oder auch ein isoliertes Handlungsunrecht in Form des Intentionsunrechts genügen kann.
1. Vorsatz als Intentionsunrecht
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Als Kern des Handlungsunrechts beim Vorsatzdelikt bezeichnet die neuere Lehre den Vorsatz .[84] Dabei erscheint es im Ergebnis überzeugend, den Vorsatz auch als unrechtskonstituierend zu betrachten:[85] Zum einen wird ein Geschehen durch die unterschiedliche subjektive Einstellung des Täters wohl schon bei intuitivem Zugriff qualitativ abweichend geprägt; zum anderen besteht auch strafrechtstheoretisch eine Beziehung zwischen Rechtswidrigkeit und Willen des Täters:[86] Strafnormen sind – jedenfalls nach moderneren präventiven Strafzweckkonzeptionen – darauf ausgerichtet, den Willen des Täters in Richtung auf die Nichtverletzung von Rechtsgütern zu prägen. Wo dies nicht gelingt und eine Willensbetätigung stattfindet, die sich bewusst gegen diese Rechtsnormen entscheidet, muss das Rechtswidrigkeitsurteil als Bewertung des Geschehens auch die innere Tatseite erfassen.[87] Fehlt es am Vorsatz, kann der Handlungsunwert durch ein „Sorgfaltsmangelunrecht“[88] begründet werden, das ebenso wie das Intentionsunrecht in einem („Pflichtwidrigkeits“-)Zusammenhang zu dem, im Tatbestand beschriebenen Anforderungen an das täterschaftliche Verhalten liegenden, Erfolgsunrecht steht.[89]
2. Objektives Handlungsunrecht
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In beiden Fällen wird aber das Handlungsunrecht aber auch durch objektive Bestandteile geprägt bzw. sogar erst begründet. Dies sind zunächst und leicht einsehbar – soweit im Tatbestand enthalten – besondere Verhaltensformen, sei es bei den schlichten Tätigkeitsdelikten, sei es in Gestalt von besonderen Verhaltensmodalitäten zur Herbeiführung des Erfolges (vgl. bereits Rn. 3).[90] Darüber hinaus gibt es aber offenbar noch Merkmale, die auch bei reinen, nicht i.e.S. verhaltensgeprägten Erfolgsdelikten neben die verursachende Handlung und den Vorsatz treten müssen. Dies zeigt die Vielzahl von Fällen, in denen es zum Erfolg kommt und auch der Vorsatz in Form von „Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung“ bejaht werden könnte, gleichwohl aber nach verbreiteter Ansicht kein tatbestandsmäßiges Verhalten angenommen wird. Rudolphi hebt in diesem Zusammenhang drei Aspekte hervor, die das objektive Handlungsunrecht begründeten: die Schutzbedürftigkeit des Opfers, die Pflichtenbindung des Täters und die Gefährlichkeit des Handelns des Angriffs für das Rechtsgut.[91] Dies abstrahiert er dann, indem er diese Handlungsfelder abgeleitet von konkretisierten Erfolgsdelikten auf allgemeine Erfolgsdelikte überträgt. Da bei diesen das Handlungsunrecht nicht konkretisiert scheint, verlangt er ein sozialschädliches Verhalten bzw. hebt umgekehrt hervor, dass ein Handlungsunrecht jedenfalls dann verneint werden müsse, wenn die Erfolgsherbeiführung auf ein sozialadäquates Verhalten zurückzuführen sei.[92] In Systematik und Terminologie der h.L. handelt es sich dabei vor allem Fälle, in denen die sog. objektive Zurechnung zu verneinen sein soll.[93]
a) Konkretisierung des objektiven Handlungsunrechts über die Dogmatik der objektiven Zurechnung
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Das terminologische Abstellen auf „objektive Zurechnung“ darf dabei für unsere Frage nach der Konturierung des Handlungsunrechts nicht etwa zu der Annahme verleiten, es handle sich in Wahrheit gar nicht um ein Problem des Handlungs -, sondern um eines des Erfolgs unrechts, da die „Zurechnung des Erfolges“ in Frage stehe. Insbesondere Frisch hat mit großer Klarheit und systembildender Kraft dargelegt,[94] dass wohl sogar in der größeren Zahl der Fallgruppen, die üblicherweise unter dem Stichwort der „objektiven Zurechnung“ diskutiert werden, gar nicht die Erfolgs zurechnung i.e.S. (d.h. der Zusammenhang zwischen einem deliktischen Verhalten und dem Erfolgseintritt) betroffen ist, sondern dass die Lösung derartiger Fälle an sich bereits an einer präzisen „Lehre vom tatbestandsmäßigen Verhalten “ ansetzen muss.[95]
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