Das Unrecht setzt sich folglich aus den Komponenten des (Verletzungs-)Erfolgsunrechts und des Handlungsunrechts zusammen, welches seinerseits in die Elemente des Intentions- und Verhaltensunrechts (bzw. objektiven Handlungsunrechts) zerfällt. Wie bereits angemerkt, stehen die beiden Komponenten nicht beziehungslos nebeneinander, sondern es besteht zumindest in denjenigen Fällen, in denen man das Erfolgsunrecht für konstitutiv erachtet, eine innere Verknüpfung dahingehend, dass ein Handlungsunwert nur gegeben ist, wenn die Handlung auf einen Erfolgsunwert bezogen ist.[60]
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Der Wert dieser Aufteilung für die Verbrechenslehre liegt im schematischen Zugriff auf die Komponenten,[61] wonach nur das Vorliegen beider das „perfekte Delikt“ ausmacht. Fehlt das Erfolgsunrecht, kann dies – soweit ein Handlungsunrecht gegeben ist – je nach Art und Ausmaß des Handlungsunrechts eine Versuchsstrafbarkeit begründen, wobei man darüber diskutieren kann, in welchem Verhältnis Intentions- und objektives Handlungsunrecht stehen (vgl. noch Rn. 33 ff.). Fehlt es hingegen am Intentionsunrecht, kann das Handlungsunrecht in Form des Sorgfaltsmangelunrechts im Übrigen allenfalls eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit begründen, wenn ein Erfolgsunrecht gegeben ist[62] bzw. das objektive Handlungsunrecht für sich kriminalisiert wurde.[63] Insb. für schlichte Tätigkeitsdelikte bzw. abstrakte Gefährdungsdelikte gilt: Wo bereits das Handlungsunrecht allein konstitutiv wirkt, kann es keinen Wegfall des Erfolgsunwertes geben, sodass die Versuchsstrafbarkeit auch nicht hieran auszumachen ist, wie dies bei den Verletzungsdelikten gehandhabt wird. Geht man hingegen davon aus, dass bei den schlichten Tätigkeitsdelikten die „erfolgreiche Vornahme“ also die Tatbestandsverwirklichung eine gegenüber dem objektiven Handlungsunrecht erhöhte Wertwidrigkeit markiert, bleibt trotz erheblicher Einbußen an materiellem Gehalt des objektiven Handlungsunrechts einerseits und des Erfolgsunrechts andererseits eine Anknüpfung an beide Begrifflichkeiten möglich.
II. Unrechtskompensierende Elemente
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Dem Erfolgs- und Handlungsunrecht wird ebenso schematisch das aus Erlaubnissätzen ableitbare „Erfolgs-Recht“ bzw. „Handlungs-Recht“ gegenübergestellt.[64] Seien sowohl die objektiven wie auch die subjektiven Voraussetzungen eines Erlaubnissatzes erfüllt, führe dies zu einer Kompensation der Unrechtselemente, mithin zu einem Ausschluss des Unrechts, während das Fehlen einzelner Komponenten – je nachdem – zu einer Versuchs- oder Fahrlässigkeitsstrafbarkeit führe. Ein solches Vorgehen liegt nahe und führt auch zu vermittelbaren Ergebnissen, wenn etwa behauptet wird, dass dort, wo subjektiv „nichts Schlimmes intendiert“ sei, aber objektiv „Schlimmes“ passiere (so etwa bei der Putativnotwehr, vgl. sogleich 1.), allenfalls eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht zu ziehen sei, während ein Täter, der „etwas Böses wolle, aber objektiv im Recht handele“ (so im umgekehrten Fall des Fehlens eines Notwehr- oder Nothilfewillens, vgl. im Anschluss 2.), die Tat allenfalls versucht haben könne. Mit Blick darauf, dass selbst objektive Merkmale von Rechtfertigungstatbeständen zumindest nach verbreiteter Auffassung „subjektiv ermittelt“ werden müssen (etwa die Gegenwärtigkeit eines Angriffs i.S.d. § 32 StGB oder der Gefahr i.S.d. § 34 StGB), mag man auf den ersten Blick zweifeln, ob Erlaubnissätze derart unterteilt werden könnten.[65] Tatsächlich dürfte aber jedem Erlaubnissatz zumindest ein „harter, objektiver Kern“ zu entnehmen sein, der die Duldungspflicht des durch den Erlaubnissatz Beeinträchtigten legitimiert, und zumindest regelmäßig werden dem objektiv gerechtfertigten Täter auch die Umstände bewusst sein, die diesen objektiven Kern begründen. Insoweit ist dann nur noch zu überlegen, wie die Fälle zu behandeln sind, in denen objektives und subjektives Rechtfertigungselement doch auseinanderfallen. Das Wechselspiel zwischen Erfolgs- bzw. Handlungsunrecht und dessen kompensierenden Pendants steht somit in einem größeren Zusammenhang, der über seine (isoliert betrachtet wohlbekannten) Fallgruppen hinausweist.
1. Erlaubnistatbestandsirrtum (Wegfall des Handlungs- bzw. Intentionsunrechts?)
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Eine ausführliche Abhandlung des Meinungsstreits über den Erlaubnistatbestandsirrtum würde hier zwar ihren Platz finden, soweit man ihn auch als Streit über das Unrechtskonzept versteht – sie erfolgt aber traditionellen Gliederungskonzepten folgend an anderer Stelle in diesem Werk.[66] Hier daher nur so viel: Unabhängig davon, ob man einen Verteidigungswillen (im Sinne eines umgekehrten Intentionsunrechts) bei Erlaubnissätzen zwingend verlangt, liegt die Annahme nahe, dass sich jedenfalls sein positives Vorliegen unmittelbar auf das Intentionsunrecht in Gestalt seiner Aufhebung bzw. Kompensation auswirkt.
2. Umgekehrter Erlaubnistatbestandsirrtum (Wegfall des Erfolgsunrechts?)
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Was das Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements angeht, hat sich in jüngerer Zeit Gropp gegen die doch seit Längerem vorherrschende sog. „Versuchslösung“ ausgesprochen,[67] welche das Erfolgsunrecht als kompensiert betrachtet und an das Handlungsunrecht im Übrigen knüpfend (nur) zur Versuchsstrafbarkeit gelangt.[68] Diese vermittelnd anmutende Lösung lehnt Gropp ab, da ein Täter, der objektiv im Recht handle, begriffslogisch nicht mit Handlungsunrecht agiere, sodass auch der Anknüpfungspunkt für den Versuch wegfalle. Auch wenn Gropp vorsichtig formuliert, dass diese Einordnung „keine Abschaffung des subjektiven Rechtfertigungselements als Bestandteil der personalen Unrechtslehre“[69] bedeuten soll, so läuft diese Lösung letztlich zumindest im Rahmen des § 32 StGB auf einen vollständigen Verzicht des Notwehr- bzw. Nothilfewillens hinaus.
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Innerhalb der Unrechtslehre kann man die Streitfrage in das Zusammenspiel von objektivem Handlungsunrecht und Intentionsunwert integrieren und daran ausmachen, ob der Intentionsunwert letztlich den Handlungsvollzug – ähnlich wie beim untauglichen Versuch – „einfärbt“.[70] Die Argumentation, wonach eine unterschiedliche Behandlung zwischen diesen beiden Fällen dadurch legitimiert sei, dass der Täter beim untauglichen Versuch schon nach außen hin nicht „rechtskonform“ agiere (während beim umgekehrten Erlaubnistatbestandsirrtum das Verhalten des Täters dem Recht entspreche),[71] vermengt untauglichen und fehlgeschlagenen Versuch: Denn davon abgesehen, dass sich der untaugliche Versuch ohnehin nur schwierig in das geltende Unrechtskonzept integrieren lässt (und daher als Vergleichsmaßstab vielleicht nur bedingt geeignet ist), kann gerade auch dieser sich in objektiv sozialadäquaten Handlungen manifestieren (Überlassung von Nusskuchen an einen nur vermeintlichen Nussallergiker; Beischlaf mit einem nur vermeintlich erst 14-jährigen, tatsächlich aber schon 17-jährigen jungen Mädchen). Hingegen läuft die rigorose Ansicht der frühen Rechtsprechung,[72] die in diesen Fällen den Täter wegen Vollendung bestrafen will, auf eine umgekehrt monistisch-subjektive Lehre hinaus, die sowohl das kompensierte Erfolgs- als auch das objektive Handlungsunrecht nicht berücksichtigt. Zuzugeben ist den Kritikern der Versuchslösung, dass das zugrunde gelegte Schema von unrechtsbegründenden- und unrechtskompensierenden Elementen nicht kaschieren kann, dass die Notwendigkeit eines Verteidigungswillens keine Selbstverständlichkeit ist, mag auch der Wortlaut des § 32 StGB („um“) Gegenteiliges vermuten lassen.[73] Dies wird umso deutlicher, als bei der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit ein Intentionsunrecht fehlt und somit kein Bezugspunkt existiert, der durch einen subjektives „Intentionsrecht“ kompensiert werden müsste.[74]
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