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Dauerschuldverhältnissesind dagegen auf ein Bündel von Rechten und Pflichten ausgerichtet, die über einen längeren Zeitraumfortdauern bzw ständig neu entstehen. Sie erschöpfen sich nicht in einem einzelnen Leistungsaustausch, sondern führen zu langfristigen Bindungenmit immer wieder neu konkretisierten Rechten und Pflichten zwischen den Vertragsparteien. Typische Beispiele sind Mietverträge, Arbeitsverträge oder auch Darlehensverträge. Bei Dauerschuldverhältnissen kennen die Parteien den konkret geschuldeten Leistungsumfang regelmäßig nicht von Anfang an, auch besteht oft ein größeres Näheverhältnis zwischen den Vertragsparteien.[50] Daher können bei Dauerschuldverhältnissen beispielsweise weitergehende und umfangreichere Nebenpflichten iSd § 241 Abs. 2bestehen als bei Zielschuldverhältnissen.[51]
92
Auch Rahmenverträgesind Dauerschuldverhältnisse. Sie bestimmen gewisse Grundlagen und Modalitäten innerhalb derer dann fortlaufend neue Verträge– beispielsweise über die Lieferung von Waren – geschlossen werden. Auf die Beendigung des Rahmenvertrags ist § 314 anwendbar.[52] Der Rahmenvertrag ist von den einzelnen Austauschverträgen zu unterscheiden. Wenn bei einer einzelnen Lieferung etwas „schief läuft“ – also etwa der Verkäufer mangelhafte Ware liefert, ist der einzelne Kaufvertrag der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die Käuferrechte.[53] Der Käufer kann dann etwa wegen mangelhafter Leistung gem. §§ 437 Nr 1, 439 Nacherfüllung vom Verkäufer verlangen.
93
Bei Sukzessivlieferungsverträgenzieht sich die Lieferung über längere Zeit hinweg. Möglich ist zum einen, dass die Lieferung ratenweise durch Teilleistungen erbracht wird.[54] So liegt es beispielsweise bei einem Kaufvertrag über 60 Weinkisten, von denen 20 am 1.1., 20 am 1.3. und weitere 20 am 1.5. geliefert werden sollen. Solche Verträge nennt man auch Ratenlieferungsverträge. Zum anderen liegt ein Sukzessivlieferungsvertrag vor, wenn die Parteien vereinbaren, dass einzelne Lieferungen je nach Bedarf auf Abruf bis zu einer bestimmten Höchstmenge erfolgen sollen. § 266ist bei ihnen ausdrücklich oder konkludent abbedungen, so dass der Schuldner ausnahmsweise zu Teilleistungenberechtigt (und sogar verpflichtet!) ist. Sukzessivlieferungsverträge sind nach hM keine DauerschuldverhältnisseiSd § 314.[55]
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Bei Bezugsverträgenvereinbaren die Parteien, dass die konkrete Liefermenge erst später bestimmt wird. Dazu gehören Versorgungsverträgeüber Energie oder Wasser. Auch in der Gastronomie sind solche Bezugsverträge etwa bei Bier üblich (Bierlieferungsvertrag):[56] Die Wirtin ist zum Bezug des Biers bei einer bestimmten Brauerei (die oft den Betrieb der Gaststätte durch Darlehen oder Sachleistungen mitfinanziert) verpflichtet; die konkrete Abnahmemenge steht aber noch nicht fest, vielmehr ruft die Wirtin die jeweils benötigte Menge Bier nach Bedarf ab. Bezugsverträge werden nach hM als Dauerschuldverhältnissevon § 314 erfasst.[57] Das lässt sich damit begründen, dass im Gegensatz zu Ratenlieferungsverträgen bei Bezugsverträgen der konkrete Leistungsumfang noch nicht von Anfang an feststeht.[58]
[1]
Als „Schuldner“ und „Gläubiger“ bezeichne ich im Folgenden stets alle Geschlechtsidentitäten.
[2]
Näher zu den Hintergründen und zur Entstehung der Norm MünchKomm/ Bachmann , BGB 8, § 241 Rn 1.
[3]
Hohfeld , Fundamental Legal Conceptions as Applied in Judicial Reasoning and other Legal Essays (1923), S. 38.
[4]
Näher dazu oben Rn 49 ff.
[5]
Dazu oben Rn 51 ff.
[6]
MünchKomm/ Bachmann , BGB 8, § 241 Rn 4; krit. zum Begriff des Schuldverhältnisses i.e.S. PWW/ Schmidt-Kessel/Kramme , BGB 13, § 241 Rn 4.
[7]
Näher zur Pflicht, Ersatzteile vorzuhalten, etwa MünchKomm/ Ernst , BGB 8, § 280 Rn 118; BeckOK/ Sutschet , BGB 51, § 241 Rn 102; Hk/ Saenger , BGB 10, § 433 Rn 11; Nietsch JZ 2014, 229.
[8]
Vgl MünchKomm/ Ernst , BGB 8, § 280 Rn 118; BeckOK/ Sutschet , BGB 51, § 241 Rn 102; zum Rückruf bereits vermarkteter Produkte MünchKomm/ Wagner , BGB 7, § 823 Rn 846 ff.
[9]
Vgl etwa BGHZ 80, 186, 191 = NJW 1981, 1603 (Derosal); BGHZ 80, 199, 202 = NJW 1981, 1606 (Benomyl).
[10]
Näher dazu Droste CCZ 2015, 105; aus der Rechtsprechung vgl etwa BGHZ 99, 167 (Honda).
[11]
Dazu oben Rn 59 f.
[12]
Arnold , Vertrag und Verteilung (2014), S. 7-11.
[13]
Einzelheiten zum Schadensrecht werden in den §§ 13 und 14 behandelt.
[14]
Dazu näher unten Rn 836.
[15]
Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 (BGBl. I S. 3138).
[16]
Einzelheiten der culpa in contrahendo werden in § 11 behandelt.
[17]
Staudinger/ Olzen , BGB (2015), Einl vor § 241 Rn 12 ff; Lieder JuS 2011, 874, 875; Gernhuber , Das Schuldverhältnis (1989), § 1 I 4 (S. 3); beispielsweise ist der Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 nach der Rechtsprechung des BGH auf den Herausgabeanspruch des § 985 anwendbar, vgl BGH NJW 2016, 3235.
[18]
MünchKomm/ Bachmann , BGB 8, § 241 Rn 6; Medicus/Lorenz , SR AT 21, Rn 6; Picker , FG 50 Jahre BGH (2000) 693, 718 ff.
[19]
Eingehend Riehm , Der Grundsatz der Naturalerfüllung (2015), S. 404 ff.
[20]
Riehm , Der Grundsatz der Naturalerfüllung (2015), S. 405.
[21]
BGH NJW 2016, 3235.
[22]
Kaiser NJW 2016, 3239.
[23]
Zu diesen Ansprüchen unten Rn 82 f.
[24]
BGH NJW 1956, 1313, 1313; Daßbach JA 2018, 575, 575; Paulus JuS 2015, 496, 497.
[25]
BGH BeckRS 2012, 14989 Rn 13 ff; MünchKomm/ Bachmann , BGB 8, § 241 Rn 165.
[26]
BGH NJW 2015, 2880, 2880; Daßbach JA 2018, 575, 578 f; vgl auch BGH NJW 1974, 1705, 1706.
[27]
BGH NJW 1956, 1313, 1313; BGH NJW 2009, 1141, 1142; OLG Hamm NJW-RR 1987, 1109, 1110; Staudinger/ Olzen , BGB (2015), § 241 Rn 81; Paulus JuS 2015, 496, 497.
[28]
BGH NJW 1956, 1313, 1313.
[29]
BGH NJW 1956, 1313, 1313 f; BGH NJW 2009, 1141, 1142; OLG Hamm, NJW-RR 1987, 1109, 1110; Erman/ Westermann , BGB 15, Einl vor § 241 Rn 14.
[30]
Vgl MünchKomm/ Bachmann , BGB 8, § 241 Rn 171.
[31]
BGH NJW 1974, 1705, 1706; BGH, NJW 2015, 2880, 2880; dazu Mäsch JuS 2016, 70, 71.
[32]
BGH NJW 1956, 1313, 1313; OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 622, 623; Staudinger/ Olzen , BGB (2015), § 241 Rn 85.
[33]
Für Beispiele aus der Rechtsprechung s. Palandt/ Grüneberg , BGB 78, Einl vor § 241 Rn 9; Staudinger/ Olzen , BGB (2015), § 241 Rn 87.
[34]
BGH NJW-RR 2017, 272, 273; s. auch LG Mainz, NJW 1988, 2116, 2117.
[35]
BGH NJW-RR 2017, 272, 273 f.
[36]
Der „verlorene“ Lottogewinn tritt an die Stelle der zu erbringenden Leistung, so dass es um Schadensersatz statt der Leistung (hier: §§ 280 Abs. 3, 283) geht. Zur Abgrenzung der Schadensarten näher unten Rn 408 ff.
[37]
Denkbar ist auch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts.
[38]
BGH NJW 1974, 1705, 1706.
[39]
So Säcker NJW 2017, 3080, 3081.
[40]
Zur Frage, ob dieser auch die Haftung für grob fahrlässiges Verhalten umfasst Säcker NJW 2017, 3080, 3081.
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