Auch auf diese Schuldverhältnisse außerhalb des zweiten Buchsdes BGB finden die Normen des Schuldrechts grundsätzlich Anwendung.[17] Teilweise wird dagegen angenommen, § 241 Abs. 1 meine nur ein Tun oder Unterlassen in Gestalt einer „Leistung“, nicht aber (wie § 194 Abs. 1) jedes Tun oder Unterlassen. In § 241 Abs. 1 seien daher nur schuldrechtliche Ansprüche aus dem zweiten Buch des BGB angesprochen; die Normen des Allgemeinen Schuldrechts seien nur dann auf Ansprüche außerhalb des zweiten Buchs des BGB anzuwenden, wenn sie im Einzelfall passen.[18] Diese Unterscheidung, die vor allem für „dingliche“ Ansprüche herangezogen wird, überzeugt allerdings kaum:[19] Auch dingliche Ansprüche (etwa aus § 985) bestehen innerhalb eines rechtlichen Bandes zwischen zwei konkreten Personen – nämlich dem Eigentümer und dem Besitzer. Dass der Anspruch aus dem als Bündel verschiedener Rechtspositionen konstruierten umfassenden Eigentumsrecht gegenüber jedermann folgt, ändert daran nichts. Vielmehr liegt es hier ebenso wie bei deliktischen Ansprüchen aus § 823 Abs. 1: Vor Verwirklichung eines deliktischen Tatbestands liegt ebenso wenig ein Schuldverhältnis vor wie vor Entstehung eines Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses iSd §§ 985, 986 Abs. 1. Im Moment der Entstehung resultiert indes eine besonders enge Verbindung zwischen Eigentümer und Besitzer – ebenso wie in den Fällen, in denen der Tatbestand des § 823 Abs. 1 erfüllt ist.
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Freilich kann es besondere Regelungsregimegeben, die in ihrem Anwendungsbereich den Rückgriff auf das allgemeine Leistungsstörungsrecht verhindern oder modifizieren. Ein wichtiges Beispiel bieten die §§ 987 ff(Eigentümer-Besitzer-Verhältnis). Daneben kann es im Einzelfall – insbesondere wegen sachenrechtlicher Besonderheiten – erforderlich sein, schuldrechtliche Regeln teleologisch zu reduzieren.[20]
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So hat der BGH zu Recht entschieden, dass die §§ 280, 281auf den Herausgabeanspruch des Eigentümers aus § 985 Anwendungfinden.[21] Dabei sind allerdings sachenrechtliche Besonderheiten zu berücksichtigen, nämlich die Wertungen der §§ 987 ff. Danach muss der nicht berechtigte Besitzer einer Sache dem Eigentümer nur dann Schadensersatz leisten, wenn er verschärft haftet – wenn er also bösgläubig oder verklagt ist. Diese Wertung ist bei der Anwendung der §§ 280, 281 zu berücksichtigen, so dass der Eigentümer Schadensersatz gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 nur dann verlangen kann, wenn der Besitzer, der seine Herausgabepflicht aus § 985 verletzt, bösgläubig oder verklagt ist. So sichert der BGH dem Eigentümer eine einfache Möglichkeit, vom Herausgabeverlangen auf ein Schadensersatzverlangen überzugehen. Dafür besteht auch ein praktisches Bedürfnis.[22]
In Fall 6kommen vertragliche und deliktische Ansprüche von A und B gegen C in Frage.[23] Dingliche Ansprüche kommen hingegen nicht in Betracht, weil A und B nicht etwa den Lottoschein von C herausverlangen oder C unzulässig das Eigentum von A oder B beeinträchtigt. Auch hat C nichts Vermögenswertes erlangt, so dass A und B keine bereicherungsrechtlichen Ansprüche gegen C haben werden. Die drei Personen stehen ebenso nicht in einer familien- oder erbrechtlich relevanten Beziehung.
4. Gefälligkeiten
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Im täglichen Leben werden oft Gefälligkeiten ohne Entgelterbracht: Nachbarn gießen Ihren Garten zur Urlaubszeit, Kommilitonen nehmen uns im Auto zur Uni mit, befreundete Architekten können uns bei der Planung unseres Hausbaus unterstützen, wir passen für ein paar Stunden auf den fünfjährigen Sohn unserer Vermieterin auf. Nicht immer führen Abreden über solche Gefälligkeiten zu einem Vertrag. Manchmal wird es den Interessen der Beteiligten eher entsprechen, wenn keine rechtliche Sonderverbindung resultiert. Entscheidendist dabei in erster Linie, ob mit Blick auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls den Erklärungen ein Rechtsbindungswilleentnommen werden kann.[24] Wenn ein solcher Rechtsbindungswille vorliegt, ist ein Vertrag und damit ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis entstanden.[25]
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Liegt kein Rechtsbindungswillevor, liegt auch kein Schuldverhältnisvor. Dann entstehen auch keine vertraglichen Erfüllungsansprüche. Je nach Einzelfall kann es zu einem deliktischen Schuldverhältniskommen. So ist der Nachbar, der während des Gießens eine wertvolle Gartenskulptur grob fahrlässig beschädigt, aus § 823 Abs. 1 zum Schadensersatz verpflichtet – unabhängig vom Vorliegen eines vertraglichen Schuldverhältnisses. Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag sind zwar denkbar, allerdings bei Gefälligkeiten des täglichen Lebens in der Regel abzulehnen, um diese nicht zu stark zu verrechtlichen und Wertungswidersprüche zu vermeiden.[26]
b) Die maßgeblichen Auslegungskriterien
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Um zu ermitteln, ob ein Rechtsbindungswille – und damit ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis – vorliegt, müssen wir die Erklärungen gem. §§ 133, 157 auslegen, uns also fragen, wie sie aus Sicht eines redlichen Erklärungsempfängers objektiv verstanden werden durften.[27] Aus dem fehlenden Entgeltfür Gefälligkeiten allein darf man nicht herleiten, dass kein Rechtsbindungswille besteht.[28] Denn das BGB hat eine ganze Reihe von Vertragstypen eigens geregelt, bei denen Leistungen ohne Entgelt erbracht werden. Dazu zählen die Schenkung (§ 516), die Leihe (§ 598), der Auftrag (§ 662) und die unentgeltliche Verwahrung (§ 690). All diese Verträge begründen ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis, bei ihrem Abschluss lag der Rechtsbindungswille also trotz des fehlenden Entgelts vor.
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Für die Auslegung der Erklärungen sind die Einzelfallumständeund die jeweilige Interessenlageausschlaggebend.[29] Schön sagt man, dass ein „bunter Strauß an Indizien“ in Betracht kommt: Welcher Natur ist die Gefälligkeit, welchen Zweck verfolgt sie, in welcher Sphäre wird sie erbracht? Im engen Familienbereich oder zwischen engen Freunden wird man höhere Anforderungen an den Rechtsbindungswillen stellen können.[30] Der Rechtsbindungswille liegt andererseits umso näher, je höher die wirtschaftlichen Werte sind, um die es geht.[31] Auch erhebliche Gefahren oder Schäden, die drohen, wenn die Leistung nicht oder fehlerhaft erbracht wird, sprechen eher für einen Rechtsbindungswillen.[32] Andererseits muss das Haftungsrisiko für den Gefälligen auch zumutbar sein. In Prüfungsarbeitenmüssen die jeweiligen Sachverhaltsangaben sorgsam berücksichtigt und für die Begründung fruchtbar gemacht werden.[33]
c) Abgrenzung und Folgefragen anhand der Beispielsfälle
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Die Abgrenzungund einige Folgefragen lassen sich anhand von Fall 5veranschaulichen: Der Regressanspruch der Gebäudeversicherung besteht nur dann, wenn Nachbar N Hauseigentümer E zum Schadensersatz verpflichtet ist. Ein vertraglicher Schadensersatzanspruch wäre auf § 280 Abs. 1 zu stützen. Allerdings fehlt es schon an einem Schuldverhältnis (hier wohl denkbar in Form eines Auftrags iSd § 662) zwischen E und N. Ihrer Natur nach entspricht die Gartenbewässerung unter Nachbarn sozial üblichen Gefälligkeiten, bei denen es der Interessenlage am ehesten entspricht, kein umfassendes Pflichtenprogramm iSd § 241 anzunehmen. N haftet allerdings aus § 823 Abs. 1. N hat den Tatbestand des § 823 Abs. 1 erfüllt, insbesondere handelte er fahrlässig. Gesetzliche Haftungsbeschränkungen (wie in §§ 521, 599 oder 690 normiert) sind auf die deliktische Haftung bei unentgeltlicher Nachbarschaftshilfenicht anwendbar, der BGH lehnt insoweit auch eine Analogie ab.[34] In Betracht kommt ein konkludentvereinbarter bzw im Wege der ergänzenden Vertragsauslegungkonstruierter Haftungsausschluss. Dafür ist die Antwort auf folgende hypothetische Frage entscheidend: Hätte E billigerweise zustimmen müssen, wenn N vorab einen Haftungsverzicht gefordert hätte? Der BGH verneint die Frage: Regelmäßig würde der Geschädigte nicht zustimmen, wenn der Schädiger (also hier N) haftpflichtversichert ist. Denn die Entlastung des Haftpflichtversicherers entspreche in der Regel nicht dem Willen der Beteiligten. Davon will der BGH auch bei alltäglichen unentgeltlichen Gefälligkeiten unter Nachbarn nicht abrücken.[35]
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