d) Personelle Legitimation
103
Die personelle demokratische Legitimation der Verwaltung wird über die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament hergestellt. Über die insoweit demokratisch legitimierte Exekutivspitze wird die Legitimation dadurch weitergegeben, dass (1) eine ununterbrochene Weisungskette vom jeweiligen Ressortminister zum entscheidenden Amtswalter besteht und (2) die einzelnen Amtswalter, die legitimationsbedürftige Hoheitsgewalt ausüben, zudem von einem seinerseits legitimierten Beamten ernannt worden sind (Modell der Legitimationskette).[451] Eine Unterbrechung der Legitimationskette ist nur in besonders zu begründenden Ausnahmefällen zulässig, namentlich in Sonderbereichen ministerialfreier Verwaltung (z.B. Bundesbank) und im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung, die sich zusätzlich auf autonome Legitimationsstränge stützen kann.
3. Weitere Instrumente
a) Direkte Demokratie und bürgerschaftliche Beteiligung
104
Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG nennt neben den Wahlen auch „Abstimmungen“ als eine Form der Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk, ohne dass zwischen den Formen der repräsentativen (mittelbaren) und der direkten (unmittelbaren) Demokratie ein Vorrang- oder Nachrangverhältnis bestünde. Gleichwohl kennt das Grundgesetz de constitutione lata keine Beispiele für „Abstimmungen“. Die in diesem Zusammenhang häufig genannten Territorialplebiszite der Art. 29, 118, 118a GG stellen richtigerweise ebenso wenig einen Anwendungsfall von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG dar wie die in Art. 28 Abs. 1 Satz 4 GG geregelte Möglichkeit von „Gemeindeversammlungen“[452], von der die Kommunalordnungen der Länder ohnehin keinen Gebrauch mehr machen.[453] Das Grundgesetz ist damit prononciert antiplebiszitär;[454] Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG läuft im Ergebnis weitgehend leer.
105
De constitutione ferenda dürften Formen direkt-demokratischer Entscheidung jedoch durch den verfassungsändernden Gesetzgeber (Art. 79 Abs. 2 GG) eingeführt werden.[455] Die (noch) überwiegende Staatsrechtslehre steht einer solchen Einführung gleichwohl aus historischen und verfassungspolitischen Gründen ablehnend gegenüber;[456] auch unter den Parteien hat sich bislang hierfür keine Mehrheit finden lassen.[457] Neuerdings mehren sich jedoch die Stimmen, die, nicht zuletzt inspiriert durch positive Erfahrungen anderer Länder (z.B. Schweiz)[458], – mit Recht – für eine behutsame und punktuelle Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch Elemente der Volksgesetzgebung (Volksbegehren, Volksentscheid) eintreten.[459]
106
Eine bunte Palette direkt-demokratischer Instrumente besteht in unterschiedlich weitem Umfang und gekoppelt an unterschiedlich strenge Voraussetzungen sowohl mit Blick auf Verfassungsänderungen als auch auf Volksgesetzgebung auf der Ebene des Landesverfassungsrechts.[460] Die Länder halten sich damit auch im Rahmen des Homogenitätsgebots (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG), solange sie sich auf die Wahrnehmung ihrer eigenen Kompetenzen beschränken.[461]
107
Eine große Rolle spielen plebiszitäre Instrumente auf der kommunalen Ebene. In zahlreichen Gemeindeordnungen bestehen hierzu umfangreiche Regelungen,[462] die sich gleichfalls innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens (Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG) halten. Kernelement ist dabei das auf die Herbeiführung eines Bürgerentscheids gerichtete Bürgerbegehren[463], das den Gemeindebürgern wichtige Spielräume der politischen Gestaltung ihrer örtlichen Lebensverhältnisse („Schule der Demokratie“) eröffnet und damit der grassierenden Politikverdrossenheit entgegenwirkt. Weitere plebiszitäre Elemente auf lokaler Ebene sind die Bürgerversammlung[464], der Bürgerantrag und die konsultative Bürgerbefragung.[465]
108
Nicht zu den plebiszitären Instrumenten im rechtlichen Sinne, aber in deren thematisch-funktionalen Kontext gehören die vielfältigen Rechte bürgerschaftlicher Beteiligung (Partizipation). Sie reichen von informellen Maßnahmen wie bloßen Beschwerden als Ausprägung des – auch gegenüber der Gemeinde oder dem Landkreis bestehenden – Petitionsrechts (Art. 17 GG)[466] bis hin zum Zusammenschluss von Bürgern und Vereinigungen zu Bürgerinitiativen in Ausübung des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG). Auch andere Kommunikationsgrundrechte wie die Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) oder die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) können mit Blick auf kommunalpolitische Anliegen aktiviert werden.
109
Die Öffentlichkeit des Verwaltungshandelns ist für sich gesehen kein Instrument, unmittelbar Verwaltungshandeln zu legitimieren. Eine lediglich kraft Betroffenheit situativ entstehende Öffentlichkeit ist von vornherein kein taugliches Legitimationssubjekt („Volk“ im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG). Öffentlichkeit kann aber Transparenz herstellen und hierdurch die Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung insgesamt unterstützen.[467] Die Öffentlichkeit erfüllt hierbei Kontrollfunktionen,[468] die ihrerseits den rechtmäßigen und effektiven Gesetzesvollzug stabilisieren, was wiederum die Wirksamkeit demokratisch gesetzten Rechts befördert. Insoweit kommt der Öffentlichkeit also eine mittelbare demokratische Gewährleistungsfunktion zu.[469]
110
Besonderen Ausdruck findet dies in – teilweise erst durch unionsrechtliche Impulse veranlassten[470] oder jedenfalls erweiterten – Instituten wie der umfänglichen, auch der Repräsentationsergänzung dienenden[471], Öffentlichkeitsbeteiligung in komplexen Verwaltungsverfahren (z.B. § 73 VwVfG, § 3 BauGB, §§ 9, 14i UVPG, § 10 Abs. 3 BImSchG, § 17a FStrG)[472], dem Anspruch auf Akteneinsicht (§ 29 VwVfG) und den verselbständigten Informationszugangsansprüchen (§ 1 IFG, § 3 UIG, Landesinformationsfreiheitsgesetze)[473]. An einer (bundes-)verfassungsrechtlichen Verbürgung dieser Rechte fehlt es im Unterschied zu Frankreich[474] in Deutschland jedoch; lediglich einzelne Landesverfassungen kennen entsprechende Regelungen.
c) Funktionale Selbstverwaltung als Betroffenenbeteiligung
111
Funktionale Selbstverwaltungsträger beziehen ihre Legitimation zum einen aus dem Parlamentsgesetz, das die Aufgaben überträgt, zum anderen von den Betroffenen als dem personalen Substrat des Selbstverwaltungsträgers.[475] Etwa die Hochschulselbstverwaltung beruht auf einer wissenschaftlich-autonomen Legitimation (Art. 5 Abs. 3 GG).[476] Jenseits grundrechtlicher Selbstverwaltung ist die erforderliche Dichte (personeller wie materieller) demokratischer Legitimation umstritten.[477] Die Rechtsprechung hat hier erhebliche Abstriche gebilligt, soweit insgesamt ein hinreichendes Legitimationsniveau verbleibt[478] und die Verselbständigung der Wirksamkeit demokratischen Rechts dient.[479]
4. Anpassungsstrategien und -probleme mit Blick auf die Europäisierung
a) Gesetzmäßigkeitsprinzip
112
Unionsrecht ist von Verwaltung und Gerichten zu beachtendes Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) und genießt Anwendungsvorrang (nicht Geltungsvorrang) vor dem gesamten nationalen Recht, das Verfassungsrecht eingeschlossen.[480] Grundsätzlich folgt hieraus die Pflicht, das nationale Recht zur Vermeidung von Konflikten unionsrechtskonform auszulegen.[481] Ergibt sich im Einzelfall ein hierdurch nicht auflösbarer Konflikt zwischen nationalem Recht und Unionssrecht, so ist der Vorrang des Unionsrechts gegebenenfalls dadurch sicherzustellen, dass nationales Recht inzident verworfen wird und damit unangewendet bleibt. Jedenfalls deutsche Gerichte haben daher ein Prüfungs- und Verwerfungsrecht,[482] nach zutreffender Ansicht gleichermaßen aber auch Verwaltungsbehörden, jedenfalls bei manifesten Unionsrechtsverstößen.[483]
Читать дальше