ee) Einbeziehung Dritter in das Verfahren
165
Die Einbeziehung Dritter in das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erfolgt im deutschen Verwaltungsprozess nur in geringem Umfang. Dies ist nicht sonderlich überraschend. Mit der Konzentration auf den Individualrechtsschutz verbindet sich im Ausgangspunkt eher nicht das Anliegen, weitere nicht betroffene Akteure in irgendeiner Form am Verfahren zu beteiligen.
166
Die Figur des amicus curiae [242] ist dem deutschen Prozessrecht insgesamt fremd. Beiträge von Interessensgruppen, NGOs oder Bürgerinitiativen haben daher keine festgelegte formale Rolle als „Freunde des Gerichts“. Allenfalls im Umweltrecht haben sich über europarechtlich induzierte Verbandsklageinstrumente hier Einwirkungsmöglichkeiten ergeben.
167
Dritte können im Wege der Beiladung nach § 65 VwGO in ein Verfahren einbezogen werden. Die einfache Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO stellt ein relativ flexibles Instrument dar. Das Gericht kann danach, solange das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen oder in höherer Instanz anhängig ist, von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beiladen. Das Filterkriterium sind dabei die „rechtlichen Interessen“, die durch die Entscheidung „berührt“ werden. Ein allgemeines politisches, faktisches oder nicht näher begründetes Interesse reicht demnach nicht aus.
168
Die notwendige Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO hat eine andere rechtliche Tragweite. Sind an dem im Prozess streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so sind sie beizuladen.
169
Dritte können ferner als Sachverständige oder Zeugen am Verwaltungsprozess teilnehmen. Nach § 98 VwGO gelten dazu die Vorschriften der ZPO über die Beweisaufnahme entsprechend.
170
Das deutsche Verwaltungsprozessrecht sieht auch einen sog. „Vertreter des öffentlichen Interesses“[243] als Verfahrensbeteiligten vor, § 63 Nr. 4 VwGO. Der Vertreter des öffentlichen Interesses kann sich grundsätzlich an allen anhängigen Verfahren beteiligen. Als Verfahrensbeteiligter i.S.v. § 63 Nr. 4 VwGO hat der Vertreter des öffentlichen Interesses alle Rechte eines Beteiligten, kann also auch Anträge stellen oder nach den allgemeinen Voraussetzungen Rechtsmittel einlegen.[244]
ff) Öffentlichkeit des Verfahrens und Öffentlichkeit der Urteilsverkündung
171
Nach § 55 VwGO gelten die §§ 169, 171a bis 198 des GVG über die Öffentlichkeit, Sitzungspolizei, Gerichtssprache, Beratung und Abstimmung auch im Verwaltungsprozess. In § 169 Satz 1 GVG ist der Grundsatz der öffentlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht niedergelegt, der letztlich im Rechtsstaatsprinzip wurzelt. Eine Verletzung ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 138 VwGO).
172
Es gelten über § 166 VwGO die allgemeinen Regelungen zur Prozesskostenhilfe, wie sie sich aus der Zivilprozessordnung (ZPO) ergeben. Die Kosten eines Prozesses werden ausgehend vom Streit- oder Verfahrenswert berechnet. Beim Rechtsstreit um eine Abrissverfügung gegen ein baurechtswidrig errichtetes Gebäude ist dieser Wert einfacher zu berechnen als bei immateriellen Streitgegenständen, etwa im Ausländer- oder Staatsangehörigkeitsrecht. Wenn der Streitwert nicht beziffert werden kann, gilt nach § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) ein Auffangstreitwert von 5.000 Euro.
173
Ein Kostenfaktor sind Anwaltskosten. Vor dem VG besteht kein Anwaltszwang.[245] Vor dem OVG/VGH und dem BVerwG müssen die Beteiligten sich hingegen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen (§ 67 VwGO).
174
Nach § 108 Abs. 1 VwGO sind im Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Die Verpflichtung des Gerichts zur Begründung seiner Entscheidung folgt bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip.[246] Die schriftlichen Urteilsgründe sind im Grundsatz nicht später als fünf Monate nach der Verkündung des Urteils vorzulegen (§ 117 Abs. 4 VwGO).
d) Einstweiliger Rechtsschutz
175
Vielfach ist für den vom Einzelnen begehrten Rechtsschutz Eile geboten, die von der Verfassung zugesicherte Effektivität (Art. 19 Abs. 4 GG) soll nicht ins Leere gehen. Dem steht Rechtsprechung als begrenzte Ressource gegenüber. In diesem Spannungsfeld hat der Gesetzgeber eine Reihe von Mechanismen vorgesehen, mit denen einstweiliger Rechtsschutz bis zur Entscheidung in der Hauptsache gewährleistet wird. In der Praxis hat dieser einstweilige Rechtsschutz erhebliche Bedeutung. Diese ist kontinuierlich gestiegen. Weitgehende Einigkeit besteht in der Einschätzung, dass der Hauptsacherechtsschutz mittlerweile auf vielen Gebieten des Besonderen Verwaltungsrechts durch den vorläufigen Rechtsschutz ganz oder teilweise verdrängt wird.[247]
176
Auch der Eilrechtsschutz gruppiert sich um die in den Blick genommene Handlungsform der Verwaltung. Geht es um den Rechtsschutz gegen belastende Verwaltungsakte im Sinne von § 35 VwVfG, so wird der Eilrechtsschutz über die §§ 80 bzw. 80a VwGO geführt. In Fällen, in denen hingegen die Sicherung eines bestehenden Zustands oder eine vorläufige Regelung durch die Verwaltung begehrt wird, stellt § 123 Abs. 1 VwGO die Möglichkeit zur einstweiligen Anordnung zur Verfügung. Für die Normenkontrolle hält § 47 Abs. 6 VwGO eine Regelung bereit. Geprägt ist der im konkreten Einzelfall durchaus komplexe Eilrechtsschutz durch die Mindestanforderung einer summarischen Prüfung sowie eine Interessenabwägung, im Rahmen derer die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs maßgeblich mitberücksichtigt werden.[248] Die als verfassungsrechtliche Vorgabe in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes[249] bedeutet für den Eilrechtsschutz in Deutschland, dass dieser im Grundsatz den Rechtszustand beim Einzelnen erhalten soll und nicht etwa auf eine spätere Entschädigung gegen die rechtswidrig handelnde Behörde verwiesen werden soll.[250]
§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland› III. Die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kontext › 4. Kontrolldichte und Entscheidung
4. Kontrolldichte und Entscheidung
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Die Frage der „Kontrolldichte“ der Verwaltungsgerichte gegenüber dem Verwaltungshandeln ist die zentrale Frage im Verhältnis der rechtsprechenden zur ausführenden Gewalt. Diese ist eng verbunden mit der Problematik administrativer Entscheidungsspielräume im Verwaltungsrecht, welche insbesondere die deutschsprachige Rechtswissenschaft bereits seit Langem beschäftigt.[251] Die Verfassungsgarantie eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) lässt eine Grundvermutung für eine hohe Kontrolldichte entstehen.[252] Zugleich legt der Gewaltenteilungsgrundsatz nahe, dass die ausführende Gewalt eine eigene Legitimität, Funktionalität und Sachkunde aufweist, die nicht durch die Gerichte vollumfänglich überspielt werden kann. Es geht bei der Frage nach der Kontrolldichte aber auch um eine Machtfrage und darum, wer das letzte Wort über konkrete Entscheidungen hat. Je höher die Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte, desto geringer der Spielraum der Verwaltung. Je geringer die Kontrolldichte, desto eher bestehen endgültige Entscheidungen der Verwaltung, die der Bürger nicht mehr von einem unabhängigen Gericht überprüfen lassen kann. Dies steht in einem Spannungsverhältnis zur Rechtsschutzgarantie der Verfassung. Eine nicht unerhebliche Steuerung kann dabei der Gesetzgeber vornehmen, indem er mehr oder weniger detaillierte Vorgaben an die Verwaltung vorsieht, etwa indem er eingeschränkt überprüfbare Beurteilungsspielräume festlegt. Nach der normativen Ermächtigungslehre[253] ist dem Gesetzgeber nämlich der erste Zugriff auf die Machtverteilung zwischen Exekutive und Judikative zugewiesen. Damit geht es nicht nur um ein zweipoliges Verhältnis Verwaltungsgerichte – Verwaltung, sondern um ein dreipoliges Gefüge Gesetzgeber – Verwaltungsgerichte – Verwaltung. Die Kontrolldichte stellt sich dabei als akzessorisch zum Kontrollmaßstab dar, der durch das jeweilige materielle Recht und damit – jenseits verfassungsrechtlicher Vorgaben – maßgeblich durch den Gesetzgeber bestimmt wird.[254] Die gerichtliche Kontrolle kann demnach nicht über die gesetzlich vorgegebene Bindung der Verwaltung hinausgehen. Sie endet, wie es das BVerfG seit einiger Zeit formuliert, dort, wo das materielle Recht die Entscheidung „nicht vollständig determiniert“.[255] Zugleich geben gesetzliche Vorgaben dabei aber in aller Regel keine stets hundertprozentig konkret determinierten Instruktionen, sondern werden von den gerichtlichen Kontrolleuren interpretiert – dann kommt es für die Machtverteilung aber eben gerade doch vor allem auf die Gerichte an.
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