1 ...7 8 9 11 12 13 ...44 [27]
EGMR Urt. v. 26.6.2012-9300/07 – Herrmann/Deutschland.
[28]
Vgl. nur BVerfGE 128, 326 (Sicherungsverwahrung).
[29]
Rn. 89 ff.
[30]
BVerfGE 4, 178, 189; 36, 342, 357; vgl. zum Ganzen auch Gärditz AöR Bd. 129 (2004) S. 584 ff., 598.
[31]
So besteht z.B. in Berlin, Brandenburg und Hessen die Möglichkeit zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde zum BVerfG nur, solange das BVerfG nicht angerufen wird. In Hessen kann nur eines der Verfassungsgerichte angerufen werden.
[32]
HessStGH ZMR 2000, 277 u. WUM 2000, 233.
[33]
BerlVerfGH Urt. v. 12.1.1993-55/92.
[34]
Vgl. Rn. 1406 ff., 1453 ff.
[35]
BVerfG Beschl. v. 26.1.2006 – 2 BvR 2058/05; BVerfG NJW 1996, 1464.
1› IV. Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene
IV. Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene
25
Auf europäischer Ebene kommt Grund- und Menschenrechtsschutz vorrangig auf der Basis der EMRK und des EGMR in Betracht. Zwar wird ein Grundrechtsschutz auch innerhalb der EU gewährleistet und wird der EuGH vermehrt auch im Grundrechtsbereich tätig; dafür stehen aber keine spezielle Verfahren oder auch besondere Gerichte zur Verfügung, welche der Bürger unmittelbar anrufen kann.
1› IV› 1. EMRK
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Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), ist am 4.11.1950 in Rom unterzeichnet und am 3.9.1953 mit der Ratifizierung durch den 10. Unterzeichnerstaat in Kraft getreten. Ihre Einhaltung wird – letztinstanzlich – vom EGMR überwacht, der von Beschwerdeführern im Wege der Individualbeschwerde – nach der Erschöpfung des Rechtswegs zu den staatlichen Gerichten – angerufen werden kann. Der EGMR ist heutzutage das in Europa führende Gericht zur Sicherung und Überprüfung von Grund- und Menschenrechten. Den nationalen Gerichten kommt keine annähernd vergleichbare Funktion zu. Dies gilt – wie oben dargelegt – auch für das BVerfG, das seit Jahren keine zukunftsweisenden Grundrechtsentscheidungen mehr erlassen hat und das vielfach nur die ihm vom EGMR „auferlegte“ Rechtsprechung nachvollziehen konnte.
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Die EMRK gewährleistet die klassischen Menschenrechte (z.B. das Verbot der Folter und unmenschlichen Behandlung, das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung, Versammlung und Vereinigung), daneben auch umfangreiche justizielle Grundrechte wie vor allem das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) sowie ein dem Gleichheitssatz ähnliches Diskriminierungsverbot. Der Kreis der geschützten Rechte ist im Laufe der Zeit durch mehrere Zusatzprotokolle erheblich erweitert worden.[1]
28
Bei der Unterzeichnung der Konvention durch mittlerweile 47 Staaten sind z.T. Vorbehalte angemeldet worden (Art. 57 EMRK), was mit Ausnahme der Abschaffung der Todesstrafe – vgl. ZP Nr. 6 (Art. 4 EMRK) – möglich ist. Diese zahlreichen Vorbehalte, welche sich auf bestimmte – mit dem Konventionsrecht kollidierende – Regelungen des nationalen Rechts beziehen müssen, schließen die Rechtswirkungen einzelner Vertragsbestimmungen aus. Zudem wurden nicht alle Zusatzprotokolle von allen Mitgliedstaaten des Europarates ratifiziert.
b) Rechtliche Bedeutung der EMRK
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Es fehlt an einer eindeutigen Kollisionsregelung, welche das Verhältnis der EMRK zum nationalen Recht in Deutschland regelt. Weder das GG noch die EMRK enthalten Vorgaben über die Stellung, den Rang und die Wirkweise der Konvention im nationalen Recht. Maßgeblich dafür ist die nationale Umsetzung.
30
In Deutschland ist entscheidend das GG, das in Art. 59 Abs. 2 für die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge ein Zustimmungsgesetz erfordert. [2] Die Konvention hat daher keinen Verfassungsrang; [3] sie ist weder Teil des Grundgesetzes noch allgemeine Regel des Völkerrechts nach Art. 25 S. 2 GG. Ihr kommt wie jedem anderen völkerrechtlichen Vertrag nur der Rang eines einfachen Bundesgesetzes zu (vgl. Art. 59 Abs. 2 GG).[4] Die EMRK bindet nach Art. 20 Abs. 3 GG zwar die vollziehende Gewalt und Rechtsprechung, anders als die Grundrechte des GG aber nicht auch unmittelbar den Gesetzgeber. Völkerrechtlich sind die Konventionsstaaten wie Deutschland jedoch ungeachtet ihrer nationalen Umsetzung der EMRK wie auch deren Rang in der innerstaatlichen Normenhierarchie zur Beachtung der Konvention verpflichtet.
31
Umstritten ist nach wie vor das Verhältnis von EGMR und BVerfG und damit auch der Bedeutung der Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Individualbeschwerde.[5] So beansprucht z.B. das BVerfG für sich das „letzte Wort“ in Konfliktfällen. Nach der umstrittenen Entscheidung des EGMR in Sachen Caroline von Monaco/ Deutschland haben viele Kritiker des EGMR darauf gehofft, dass das BVerfG die Rechtsauffassung des EGMR „korrigieren“ würde. An der Vorrangstellung des EGMR kann jedoch heutzutage nicht mehr ernsthaft gezweifelt werden.
aa) Karlsruher Berührungsängste
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Bis vor wenigen Jahren hat das BVerfG versucht, den EGMR weitgehend zu tabuisieren. Trotz der sachlichen Überschneidung der Jurisdiktionsbereiche hat es eine tatsächliche Konkurrenz der Gerichte lange verneint. Aufgrund der Rechtsnatur der EMRK und der Kompetenz des EGMR könne es keine echten Zuständigkeitskonflikte geben. Angesichts des bloßen Gesetzesrangs der EMRK wurde sie lediglich als „Auslegungshilfe“ für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes angesehen. Entscheidungen des Gerichts fanden meist keine Berücksichtigung in der verfassungsgerichtlichen Judikatur.[6] In „wolkigen“ Stellungnahmen versuchten sogar Richter des BVerfG die Bedeutung von EGMR und EMRK in Frage zu stellen. So sprach Papier[7] davon, dass die Rechte der EMRK allenfalls auf das Verständnis des Grundgesetzes „ausstrahlen“. Diffus bezeichnete sie Kirchhof[8] nur als eine „Quelle der Inspiration“. Erwähnt sei auch Limbachs[9] – bei allem Respekt – schlicht indiskutable These, gegen eine Beachtenspflicht der EMRK sowie der Auslegungspraxis des EGMR durch das BVerfG spreche neben der Arbeitsbelastung „das Ansehen des BVerfG“. Es könne dadurch leiden, dass es seinerseits der Kontrolle durch das Straßburger Gericht unterliege.
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Der für die Grundrechtsfragen primär zuständige Erste Senat pflegte sogar — und das war im EMRK-Bereich nahezu beispiellos — den offenen Streit mit dem Straßburger Gerichtshof, den er viel stärker als den EuGH als den eigentlichen „Rivalen“ wahrnehmen muss. Zum Konflikt war es z.B. im Juli 2007 gekommen, als der EGMR angesichts des in der Geschichte des Europarats beispiellosen offenen Widerstands eines nationalen Verfassungsgerichtes im Fall Skugor gegen Deutschland[10] konstatierte, dass bei menschenrechtswidriger überlanger Verfahrensdauer in Zivilverfahren „ die Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht nicht als wirksame Beschwerde im Sinne des Artikels 13 der Konvention angesehen werden kann und ein Beschwerdeführer demnach nicht verpflichtet ist, von diesem Rechtsbehelf Gebrauch zu machen, auch wenn die Sache noch anhängig ist…..oder bereits abgeschlossen wurde……“. Der Konflikt trat auch zutage bei multipolaren Grundrechtskonflikten wie nach der Caroline-Entscheidung des EGMR. Das BVerfG und der EGMR haben auch hier offen der Rechtsauffassung des jeweils anderen Gerichts entgegenstehende Positionen vertreten.
bb) Erzwungener Kurswechsel
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Der EGMR hat in den letzten Jahren dem BVerfG und seinen Richtern „deutlich gemacht“, dass die bisher praktizierte „Mißachtung“ nicht weiter haltbar ist. In vielen Entscheidungen – sei es zum überlangen Verfahren, zur Sicherungsverwahrung[11] oder zum Ehe- und Familienrecht – zwang er das BVerfG zu einem Kurswechsel und zur Übernahme seiner Rechtsprechung zur EMRK. Virulent konnte der Konflikt insbesondere deswegen werden, weil ein Verfahren vor dem EGMR gemäß Art. 35 EMRK die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges verlangt und hierzu auch die Einlegung der Verfassungsbeschwerde zum BVerfG gezählt wird. In der Konsequenz kann der EGMR nicht nur eine divergierende Entscheidung zu demselben Sachverhalt treffen, sondern auch eine Entscheidung des BVerfG zum Gegenstand seiner eigenen Rechtsprechung machen.
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