Ein älterer Magier mit schütterem Haar und einer Miene wie zehn Tage Regenwetter tritt auf die Bühne.
Cilian hebt den Blick vom Pergament und lässt ihn erneut über die Menge schweifen. Obwohl ich von meiner Position aus sein Gesicht sehen kann, vermag ich keinerlei Regung mehr darin zu erkennen.
Mit fester Stimme spricht er weiter: »Aufseiten der Greifenreiter wurden ausgewählt: Serge, ein Feuermagier.« Der rothaarige junge Mann, mit dem ich getanzt habe, tritt vor und schenkt Cilian ein respektvolles Nicken, ehe er von Marona sein Säckchen in Empfang nimmt. »Laora, eine Luftmagierin.«
Als eine schwarzhaarige junge Frau vor ihm steht, erinnere ich mich daran, dass es dieselbe sein muss, deren Greif von Adrién vom Himmel geschossen wurde.
Das kann ja heiter werden …
Laora stellt sich neben Serge, während Cilian fortfährt: »Adrién, ein Erdmagier und Heiler.«
Nichts in Adriéns Miene verrät, dass er Magier hasst, während er ein Säckchen von Marona bekommt. Laora wirft ihm allerdings einen flammenden Blick zu. Er ignoriert sie, indem er stoisch in die Menge schaut und dort irgendeinen Punkt fixiert.
»Sowie Prixantia, eine Wassermagierin«, nennt Cilian die letzte Auserwählte, welche sogleich das Podest erklimmt.
Prixantia ist vielleicht Mitte zwanzig, hat kurzes blondes Haar, bleiche Haut und wirkt schüchtern. Sie kann Marona kaum ansehen, während sie das letzte Säckchen entgegennimmt. Fast schon empfinde ich Mitleid mit ihr.
Nun stehen wir alle hier oben – zehn Auserwählte, die sich auf die Suche nach einer verschollen geglaubten Zwergenstadt machen sollen. Verhaltener Applaus wird laut, der jedoch verstummt, als Marona ein weiteres Mal das Wort ergreift.
»Morgen Mittag werden die Auserwählten erneut zusammengerufen, damit wir Euch erklären können, wie und wann Ihr die Flüssigkeit in den Phiolen einnehmen dürft«, sagt sie und schenkt uns einen Blick, der wohl freundlich wirken soll. »Damit ist die Versammlung beendet und …«
Sie wird von Cilian unterbrochen, der die Hand hebt. »Bevor Ihr die Versammlung schließt, Marona, möchte ich noch etwas loswerden.«
Die Feuermagierin nickt stirnrunzelnd, denn ihr bleibt nichts anderes übrig. Sie kann ihm ja schlecht vor aller Augen das Wort verbieten.
Cilian tritt etwas weiter vor und ich bemerke, wie sich sein Brustkorb hebt, als er durchatmet, ehe er spricht. »Dieser Wettkampf soll zeigen, was die Besten unseres Ordens bewirken können«, sagt er mit lauter Stimme. »Daher stelle ich hiermit den Antrag, als fünfter Greifenreiter und in Vertretung des Elementes Wasser teilnehmen zu dürfen – und damit Prixantias Platz einzunehmen.« Die blonde Greifenreiterin atmet sichtlich auf und schenkt ihrem Ordensleiter einen dankbaren Blick. Dieser fährt mit eindringlichem Tonfall fort. »Ich berufe mich auf das Gesetz der Mehrheitswahl, welches besagt, dass bei einer Versammlung aller Magier eines Zirkels von Altra jeder der Anwesenden eine gleichberechtigte Stimme abgeben darf und damit den Beschluss des Zirkelrates überstimmen kann.« Er schaut abermals in die Menge und strafft die Schultern. »Wer also dafür stimmt, dass nicht die vom Zirkelrat auserwählte Greifenreiterin in den Wettkampf soll, sondern ich, hebe nun die Hand.«
Nicht nur ich, sondern alle Magier sehen ihn mit offenem Mund an. Anscheinend hat Cilian eine Gesetzeslücke gefunden, mit welcher er die Entscheidung des Zirkelrates aushebeln kann. Dass er sich freiwillig dem Wettkampf stellt, lässt mich mit einem Mal daran zweifeln, dass er von Anfang an vorhatte, mich dorthin zu schicken.
Oder will er diesen Ring des Fürsten für sich selbst? Wieso nimmt er nicht meinen Platz ein? Er scheint einen Plan zu haben und aus irgendeinem Grund vertraue ich ihm.
Noch während ich ihn anstarre, sieht er in meine Richtung und ich meine, ein entschuldigendes Lächeln auf seinem Gesicht auszumachen. Aber es ist so schnell wieder der steinernen Maske gewichen, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich es mir nur eingebildet habe.
Ohne darüber nachzudenken, hebe ich die Hand und merke, wie andere um mich herum es mir gleichtun. Schließlich hat die Mehrheit der Magier, die sich auf dem Zirkelplatz versammelt haben, die Arme in die Luft gestreckt – viel mehr als die Hälfte, sodass Cilians Antrag als genehmigt gilt.
Er nickt der Menge dankend zu, ehe er das Pergament zusammenrollt und von Prixantia, die sich mit einem leichten Knicks vor ihm verbeugt, das schwarze Säckchen entgegennimmt. Dann wendet er sich den Magiern wieder zu.
»Der Zirkelrat möchte, dass die Greifenreiter demonstrieren, dass sie eine Daseinsberechtigung haben«, fährt er fort. »Da ich nun als ein Mitglied des Zirkelrates und einer der mächtigsten Magier Altras in den Wettkampf ziehe, würde dies zu einem Ungleichgewicht gegenüber den Magiern führen.« Er macht eine kurze Pause, in welcher ich mich kaum getraue, Luft zu holen. »Damals, als der Zirkelrat gegründet wurde, haben wir die fähigsten Magier für diese Posten ausgewählt. Demnach beantrage ich, dass auch aufseiten der Magier jemand aus dem Rat teilnimmt. Nur schon, um zu gewährleisten, dass alles mit rechten Dingen zugeht und keinerlei Vorteil seitens der Greifenreiter besteht.« Er wendet sich abrupt zu Marona, die immer noch überrumpelt neben ihm steht und ihn entgeistert anstarrt. »Marona, ich denke, es wäre in Eurem Interesse, dass Ihr am Wettkampf teilhabt und damit den Platz von Feuermagier Preíz einnehmt. Ihr seid eine fähige Kampfmagierin, ausgebildet hier im Zirkel von Chakas. Wer, wenn nicht Ihr, könnte demonstrieren, dass Magier den Greifenreitern das Wasser reichen können?«
Rahrin neben mir stößt leise die Luft aus und ich bemerke, dass er mit Preíz einen raschen Blick tauscht. Der Soldat scheint froh über die Möglichkeit zu sein, dem Wettkampf zu entkommen.
Cilians Augen funkeln herausfordernd die Feuermagierin an, welche keine andere Wahl hat, als zu nicken, wenn sie ihr Gesicht nicht verlieren will. Falls das kein abgekartetes Spiel ist, dann ist sie soeben von Cilian vorgeführt worden.
Erneut schießen mehr als die Hälfte der Hände in die Höhe und erneut zeigt die Menge damit an, dass sie mit Cilians Vorschlag einverstanden ist.
Und ich bin mir nun absolut sicher, dass meine Niederlage vorprogrammiert ist. Gegen so viele fähige Magier und Greifenreiter – und sogar gegen Cilian – zu gewinnen, kann mir nicht gelingen. Doch ich muss an die Worte von Adrién denken, der nur ein paar Schritt neben mir steht: Dann werde ich eben Däumchen drehen, bis das Ganze überstanden ist. Denn die Chance, dass ich gewinne, ist gerade von ›vernichtend gering‹ zu ›nicht vorhanden‹ gesunken.
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