»Wusste ich doch, dass du dich über diese Nachricht freust.« Mein Vater schmunzelte. »Er kam vorhin an und hat nach dir gefragt. Ich sagte ihm, dass du ziemlich sicher noch in deinem Arbeitszimmer bist, womit ich auch recht behielt.« Er erhob sich. »Ich denke, es wäre ihm eine Freude, noch kurz mit dir zu reden, bevor du nach Hause reitest.«
Rasch legte ich die Pergamente, die ich bis eben noch bearbeitet hatte, zur Seite und stand ebenfalls auf. »Ich gehe gleich zu ihm.«
»Tu das, er ist in seinen Gemächern«, rief mir mein Vater hinterher.
Auch wenn Ramor nicht mehr bei uns im Zirkel lebte, so bewohnte er immer, wenn er in der Stadt war, seine alten Zimmer. Ansonsten reiste er viel herum, um seine Heilkünste mittellosen Menschen anzubieten. Diese selbstlose Ader hatte er von meiner Großmutter geerbt, die ich nur kurz kennengelernt hatte, ehe sie an Altersschwäche starb. Sie war zwar eine mächtige Magierin gewesen, allerdings war ihr Herz gebrochen, nachdem mein Großvater von uns gegangen war, und sie hatte aufgehört, sich zu verjüngen, um endlich sterben und ihm ins Totenreich folgen zu können. Manchmal war es kein Segen, sondern vielmehr ein Fluch, sich endlos verjüngen zu können.
Ich eilte durch die Gänge zum Stockwerk, in welchem die Gemächer meines Onkels lagen. Dort angekommen, klopfte ich rasch an und mein Herz hüpfte, als ich seine Stimme hörte.
»Bin gleich da.«
Kurz darauf stand er vor mir: Ramor, mein Onkel und der Bruder des Zirkelleiters von Chakas. Wie immer trug er sein schwarzes Haar kurz und das Gesicht war glatt rasiert. Die Ähnlichkeit mit meinem Vater war unverkennbar, obwohl er dunkelbraune Augen und glatte Haare besaß. Und das Lächeln, das er mir schenkte, wirkte um vieles wärmer als das meines Vaters. Es war echt. Womöglich war das der Grund, wieso ich ihn so mochte.
»Cilian«, rief er aus und zog mich in eine herzliche Umarmung. »Mein Junge, du wirst immer hübscher.«
Ich lachte an seiner Schulter und schob ihn etwas von mir weg. »Das mit dem ›Jungen‹ solltest du dir langsam abgewöhnen«, erwiderte ich belustigt. »Ich werde bald dreißig.«
Ramor nickte und schenkte mir ein Schmunzeln. »Für deine Eltern und mich wirst du immer der kleine Junge bleiben, der vom Fliegen träumt und mit Tieren redet, als könnten sie ihn verstehen.«
Ich lachte ebenfalls und strich mir die Locken nach hinten. »Bisher hat noch keines geantwortet, aber vielleicht ändert sich das irgendwann.«
»Bei deiner Ausdauer mit Sicherheit.« Ramor klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. »Komm rein und lass uns über gute alte Zeiten reden. Ich habe einen Wein aus Arganta mitgebracht, den du unbedingt probieren musst.«
Nur zu gerne folgte ich seiner Aufforderung und ließ mich in einem der bequemen Sessel in seinem Zimmer nieder.
»Wie geht es deiner Familie?«, fragte mein Onkel, während er uns den Wein einschenkte. »Und den beiden Jungs?«
»Gut«, antwortete ich, konnte jedoch nicht verhindern, dass mein Lächeln etwas zu künstlich ausfiel – was ihm natürlich nicht entging.
»Ärger im Paradies?«, hakte er nach und prostete mir zu.
»Manchmal denke ich, dass ich Frauen nicht verstehe«, brummte ich, ehe ich einen Schluck trank. »Der ist wirklich vorzüglich«, lobte ich den Weingeschmack meines Onkels.
»Habe ich von einem Händler in der Nähe von Arida«, verriet er. »Falls du mal dort bist, besuch unbedingt sein Weingut ›Goldkehle‹ – er macht den Weinen aus Fayl mächtig Konkurrenz.«
»Das werde ich.«
»Und nun erzähl, was du an Frauen nicht verstehst«, forderte mich mein Onkel auf. »Vielleicht kann ich dir helfen. Oder zumindest mit einem offenen Ohr dienen.«
Mit Ramor konnte ich so frei sprechen wie sonst mit niemandem. Er war ein guter Zuhörer und hatte meist einen passenden Rat.
Daher nahm ich nun nochmals einen Schluck von dem vorzüglichen Wein und sah ihn nachdenklich an. »Mir ist bewusst, dass Shaia mich vor allem auch geheiratet hat, weil sie die Tatsache mochte, dass ich der Sohn des Zirkelleiters bin. Doch als wir dann im Zirkel lebten, gefiel es ihr nicht. Also ließ ich uns ein Haus auf den Klippen bauen. Und nun, da sie dort lebt, gefällt es ihr wiederum nicht, dass ich im Zirkel meiner Arbeit nachgehen muss. Sie wirft mir vor, dass ich zu wenig Zeit für sie habe, obwohl ich das doch alles in erster Linie für sie und unsere Kinder tue.« Ein leises Seufzen entfuhr mir. »Kann man es denn Frauen niemals recht machen?«
Mein Onkel lachte laut auf. »Klingt ganz nach einer normalen Ehe«, meinte er und prostete mir erneut zu. »Auch wenn ich da noch keine eigene Erfahrung habe, aber mein Bruder spricht oft ähnlich von deiner Mutter.«
Obwohl Ramor ein gut aussehender und einflussreicher Magier war, so hatte er in den vergangenen Jahren nur selten eine Frau an seiner Seite gehabt. Die meisten hielten sein sprunghaftes Gemüt nicht aus, das ihn immer wieder in die Ferne trieb. So war er zu einem ewigen Junggesellen geworden.
»Also ist das normal?«, hakte ich nach.
»Zumindest in unserer Familie scheint es normal zu sein«, antwortete er schmunzelnd. »Aber wie gesagt, mir fehlen da die Erfahrungswerte, da ich noch keine Frau fand, die es mit mir aushielt. So traurig das klingt … vielleicht bin ich einfach nicht dafür geschaffen, ein Familienvater zu sein.«
»Wem sagst du das?«, murmelte ich in mein Glas. Dann hob ich den Blick. »Aber du findest bestimmt auch noch die Richtige.«
»Mit der ich mich dann streiten kann, wo wir leben und wie wir unser Leben zu führen haben.« Ramor lachte erneut. »Bei den Göttern, ich hoffe es.«
Noch eine Weile saßen wir zusammen und mein Onkel erzählte mir von seiner Reise durch Arganta. Einerseits beneidete ich ihn, weil er so viel herumkam, andererseits war ich auch froh darüber, hier in Chakas zu leben. Ich liebte diese Stadt und wollte mein Zuhause um nichts in der Welt eintauschen.
Endlich gab ich mir einen Ruck und verabschiedete mich von meinem Onkel. Ich würde ihn in den nächsten Tagen bestimmt noch des Öfteren sehen und bald wäre mein Geburtstag, den wir alle zusammen feierten. Jetzt, da Ramor da war, freute ich mich sogar darauf, ein kleines Fest zu geben. Ich konnte es kaum erwarten, es meinen beiden Söhnen zu sagen. Die zwei mochten ihren Großonkel fast genauso sehr wie ich und würden vor Freude juchzen.
Gut gelaunt verließ ich den Zirkel auf meinem Pferd, um zurück zu den Klippen zu reiten. Ich hoffte, dass Shaia schon schlief, sodass ich mir ihre Standpauke erst morgen anhören müsste.
Doch als ich bei unserem Haus ankam, erkannte ich, dass noch Licht brannte.
Stirnrunzelnd stieg ich vom Pferd und übergab es einem Stalljungen, der mir entgegeneilte, um es in seine Box zu bringen.
Vor dem Haupteingang stand eine Kutsche, was mich noch stutziger machte.
Nachdem ich unser Haus betreten hatte, wandte ich mich zum Wohnzimmer, aus welchem ich leises Weinen hörte. Mitten in der Tür blieb ich wie angewurzelt stehen, denn das, was ich sah, ließ alles in mir gefrieren.
»Shaia?«, fragte ich, nachdem ich mich vom ersten Schock erholt hatte. »Was … hat das zu bedeuten?« Ich zeigte auf unsere Kinder, die ihre Reisekleidung trugen – ebenso wie meine Gemahlin.
Mein kleiner Sohn rannte mir tränenüberströmt entgegen und schlang die Arme um mich. Ich strich ihm gedankenverloren über die feuerroten Locken, während ich versuchte zu begreifen, wann die Liebe aus dem Blick meiner Frau gewichen war.
»Ich verlasse dich«, sagte sie in ruhigem Tonfall. Doch in ihren dunklen Augen erkannte ich, dass es in ihrem Inneren stürmte. »Ich will nicht länger mit dir zusammen sein. Nicht auf diese Weise.«
»Das kannst du nicht tun«, stieß ich aus. »Du kannst mir nicht die Kinder wegnehmen!«
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