Sie schenkte mir einen Blick, der pure Enttäuschung ausdrückte. »Deine Kinder«, schnaubte sie. »Ich bin dir egal. Du liebst in erster Linie dich und deine Arbeit. Irgendwann kommen die Kinder und dann ist lange Zeit nichts mehr, ehe ich vielleicht noch eine Rolle spiele!« Sie verzog den Mund. »Ich habe genug davon. Genug von dir und deiner falschen Prioritätensetzung!«
»Ich liebe dich«, presste ich hervor. »Tu mir das bitte nicht an!«
»Du hast mir schon viel mehr angetan«, antwortete sie. »Hast mir versprochen, für mich da zu sein. Für unsere Familie da zu sein. Doch du verkriechst dich im Zirkel, verpasst es, wie unsere Söhne aufwachsen. Warst du da, als sie ihre ersten Worte sagten? Als sie ihre ersten Schritte taten? Nein.« Tränen bildeten sich in ihren Augen und sie blinzelte sie unwirsch weg. »Du warst nie da, Cilian. Weder für mich noch für unsere Kinder. Keines deiner Versprechen hast du eingehalten und jetzt ist Schluss damit. Meine Geduld ist am Ende und mein Entschluss steht fest. Ich reise zurück nach Fayl zu meinen Eltern! Leb wohl, Cilian.«
Damit ergriff sie die Hand meines älteren Sohnes und kam zu mir, um den Kleinen ebenfalls von mir wegzuziehen.
Ich stand da wie erstarrt, unfähig, etwas zu tun oder zu sagen. Sah untätig dabei zu, wie sie mit unseren Kindern das Haus verließ, in die Kutsche stieg und davonfuhr.
Hätte ich in dem Moment nur gewusst, dass es das letzte Mal war, dass ich sie lebend sah. Dass ich meine Kinder lebend sah … ich hätte mich wohl anders entschieden und um sie gekämpft. So aber dachte ich, ich lasse sie erst mal zur Ruhe kommen und sie würde sich schon wieder einkriegen. Ihre Drohung nicht wahr machen.
Das war unverzeihbar … und unendlich dumm.
Gegenwart
Es wiederholt sich … es wiederholt sich alles. Ich bin einfach nicht dafür geschaffen, eine Frau zu halten, das wird mir bewusster denn je, als ich mit dem Rücken zur Tür stehe, hinter der ich Damaris zurückgelassen habe.
Ich wollte es dieses Mal anders machen. Wollte um sie kämpfen.
Und habe alles nur noch schlimmer gemacht.
Wieso nur fallen mir nie die richtigen Worte ein? Wieso gelingt es mir nicht, das zu sagen, was ich wirklich sagen will?
So lange ist es her – so viele Jahrhunderte sind vergangen. Und noch immer fühle ich mich wie der neunundzwanzigjährige Idiot, der nichts dazugelernt hat. Doch die Wut, diese Abneigung und Enttäuschung in ihren Augen … ich konnte sie nicht ertragen, ohne mich selbst noch mehr zu hassen. Dafür, dass ich der Grund für ihre Gefühle bin. Dafür, dass ich es wieder einmal komplett verbockt habe.
Damaris hat recht: Es braucht viel mehr als nur ein Liebesgeständnis. Viel mehr als nur eine Entschuldigung. Ich habe ihr Vertrauen verloren und das wieder zurückzugewinnen, wird ein Kampf, wie ich ihn noch nie ausgefochten habe.
Aber ich werde nicht zulassen, dass sich meine Geschichte wiederholt. Ich werde kämpfen. Um sie, um ihr Leben, um ihre Liebe. Das schwöre ich mir, während ich das Gebäude des Greifenordens verlasse, um mich für die Zeremonie heute Abend umzuziehen.
Die Aufgaben, die den Auserwählten gestellt werden, sind nicht unmöglich, das wurde mir klarer, je mehr ich mich damit beschäftigt habe. Seit heute Morgen habe ich nichts anderes getan, als mich in Schriftrollen und Bücher einzulesen, um möglichst viel herauszufinden. Und das Wissen, das ich nun besitze, wird mir helfen, Damaris durch diesen verfluchten Wettkampf zu bringen. Und wenn mir das gelingt, werde ich mich nicht nur bei ihr entschuldigen, sondern sie auch zurückerobern.
Ich weine immer noch, als Auralie zu mir kommt, um mich für die Versammlung heute Abend zurechtzumachen. Aufgrund der vielen Tränen meinerseits eine wahre Herausforderung, denn die Gesichtsfarbe, die sie mir auftragen will, verschmiert immer wieder.
Schließlich stehe ich vor dem Spiegel und betrachte mich widerwillig. Dass sie mich so herausgeputzt hat für etwas, das ich verabscheue, behagt mir nicht. Gleichzeitig muss ich da durch, ob ich will oder nicht.
Ich streiche mit den Händen über das weiß-goldene Kleid, das eng anliegt, und zupfe ein paar Strähnen aus der Stirn. Mein Haar ist seit meiner Ankunft hier im Zirkel schon um einiges länger geworden.
»Bereit?«, fragt Auralie, die hinter mir steht.
»Muss ich wohl«, murmle ich. »Schneeflocke?« Ich wende mich zu meinem Greif, der sich in dem Sessel zusammengerollt hat.
Er gibt ein leises Murren von sich, das mir zeigt, dass er ebenfalls keine Lust auf diese Versammlung hat.
»Dann gehen wir«, sagt Auralie und legt mir die Hand aufs Schulterblatt, um mich zur Tür zu schieben.
Schneeflocke blinzelt schläfrig und schickt mir ein Bild vom Zirkelplatz. Ich verstehe, dass er zu mir stoßen wird, da er direkt vom Balkon aus dorthin fliegt.
Im Gebäude ist es ungewöhnlich still, womöglich sind die meisten Greifenreiter bereits auf dem Innenhof. Mir wird mulmig zumute, als ich daran denke, was mir gleich bevorstehen wird. Nicht nur, dass ich Cilian wiedersehe, ich werde auch endlich erfahren, welche Aufgaben uns erwarten und wer außer Adrién und mir sonst noch ausgewählt wurde.
Zu meiner Nervosität gesellt sich nun Neugierde, was keine gute Mischung für meinen Magen darstellt, den ich mir dann doch noch mit den Früchten und dem Brot gefüllt habe.
Als wir auf dem Zirkelplatz ankommen, fällt mir fast die Kinnlade herunter. Mir war nicht bewusst, dass es so viele Magier im Zirkel gibt. Sie alle haben festliche Kleidung angezogen, sodass nun ein bunter Haufen vor mir steht. Der Innenhof ist zum Bersten voll und aufgrund der eintretenden Dämmerung schweben Dutzende von magischen Lichtern über unseren Köpfen. Die Szene hat etwas Unwirkliches, beinahe Bedrohliches.
In der Mitte des Platzes befindet sich ein erhöhtes Podest, auf welchem sich die fünf Zirkelräte eingefunden haben.
Meine Aufmerksamkeit fällt sofort auf Cilian, der in seiner blauschwarzen Magierrobe, welche die Farbe seiner Augen unterstreicht, zum Niederknien aussieht.
Gerade als ich den Blick von ihm abwenden will, sieht er mich ebenfalls an und für einen kurzen Moment scheint die Zeit stillzustehen. Sein Gesicht ist unergründlich, doch in seinen Augen glaube ich, wieder diesen alten Schmerz zu lesen, den er mit sich herumträgt.
Mit dem nächsten Blinzeln ist die Gefühlsregung allerdings verschwunden und ich senke rasch den Kopf, um ihn nicht länger anzustarren. Dennoch spüre ich seinen Blick weiterhin auf mir, als wäre er ein glühender Strahl, der mich verbrennt.
Auralie führt mich durch den Gang, der die Magiermenge teilt, zu dem Podest, sodass ich in der ersten Reihe stehe.
Als ich zum Himmel hochschaue, bemerke ich viele Greife, die über uns kreisen, und kann unter ihnen Schneeflockes weißen Löwenkörper ausmachen. Er bleibt in sicherer Entfernung, da ihm diese Versammlung alles andere als geheuer ist. Was ich gut nachempfinden kann.
Nachdem sich Auralie von mir verabschiedet hat, schaue ich mich weiter um und entdecke Adrién, der ebenfalls in der ersten Reihe steht – allerdings so weit entfernt, dass ich keine Chance habe, mit ihm zu sprechen. Er hat sich umgezogen und trägt nun ein schlichtes schwarzes Gewand, das seine Aura noch dunkler erscheinen lässt als ohnehin schon. Nur ein flüchtiger Blick von ihm streift mich. Wenn ich nicht wüsste, dass er mir extra hinterhergeflogen ist, um mich zurückzuholen, würde ich anhand seines Gesichtsausdruckes vermuten, dass er mich verabscheut. Was er womöglich auch tut. Keine Ahnung, aus ihm werde ich einfach nicht schlau.
Als ich den Blick weiter schweifen lasse, fällt dieser auf Rahrin, den ich gerade noch so hinter dem Podest ausmachen kann, um das die Magier einen Kreis gebildet haben. Er schenkt mir ein kurzes Lächeln, das mich nicht wirklich beruhigt. Ich hoffe, die Tatsache, dass er ebenfalls in der ersten Reihe steht, ist nicht darauf zurückzuführen, dass er auch zu den Auserwählten zählt.
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