Nach vier Jahren mit Teilnahmen an Veranstaltungen rund um den Globus hatte SAYONARA bei den Maxis vier WM-Titel in Folge gewonnen und nicht eine einzige küstennahe Regatta verloren. Diese Siegesserie war 1999 einmal fast unterbrochen worden, als Larry sich bereit erklärt hatte, CNN-Gründer und Turner-Broadcasting-Vorstand Ted Turner das SAYONARA-Steuer zur Cowes Race Week zu überlassen. Turner, der den America’s Cup 1977 mit COURAGEOUS gewonnen hatte und insgesamt viermal zum Rolex-Segler des Jahres in den USA gewählt worden war, segelte nicht besonders gut und fand sich nach den Vorrennen und der ersten Wettfahrt der Regatta im hinteren Teil der Flotte wieder.
In jener Nacht rief Larry Erkelens an und bat ihn, an Bord seiner Yacht KATANA zu kommen. »Ich habe genug gesehen«, sagte Larry zu Erkelens, »Ted steuert nicht besonders gut. Ich nehme mir mein Boot zurück. SAYONARA hat bislang immer alle Kurzrennen gewonnen. Wir werden jetzt nicht mit dem Verlieren beginnen. Ich werde alle Rennen der Cowes Week steuern.« Er sagte, Turner könne SAYONARA für das Fastnet Race haben. »Da kann er dann steuern, soviel er will«, sagte Larry, »ich werde dem Steuer nicht einmal nahe kommen.«
Am nächsten Morgen musste Erkelens mit dem Begleitboot zu Turners Yacht fahren, um ihm die Botschaft zu überbringen. Erkelens war mit großem Respekt für Turner aufgewachsen. Dessen Frau Jane Fonda hatte einmal auf seine Kinder aufgepasst. Erkelens war von Turner beeindruckt gewesen, der seine Mitsegler stets mit Namen begrüßte, seine Mannschaftstreffen gut führte und sich am Ende eines Regattatages bei jedem persönlich für seine Zeit und seinen Einsatz bedankte.
Gleich nach der Begrüßung an Bord kam Erkelens beim Frühstück von Ted und Jane zur Sache.
»Es tut mir wirklich leid, Ted, aber Larry will sein Boot wiederhaben«, sagte Erkelens. Er war sich der Tatsache bewusst, dass er einem America’s-Cup-Gewinner sagte, er sei nicht gut genug zum Steuern von SAYONARA.
Turner schaute Erkelens an, als verstünde er nicht, was dieser ihm gerade gesagt hatte.
Erkelens entschuldigte sich und sagte: »Es tut mir leid. Ich bin nur der Überbringer der Nachricht.«
Ab dem zweiten Rennen steuerte Larry – und SAYONARA gewann die Cowes Week. Am Tag danach startete das Fastnet Race. Die Langstrecke startet vor Cowes auf der Isle of Wight, führt ihre Teilnehmer durch den Englischen Kanal und die Irische See einmal um den Fastnet-Felsen vor der Südwestküste Irlands herum und zurück in östlicher Richtung zur Ziellinie vor Plymouth an der englischen Südküste. Mit Turner am Steuer erlitt SAYONARA ihre schlimmste Niederlage. Sie erreichte die Ziellinie nach Booten, gegen die sie zuvor nie verloren hatte und gegen die sie nie wieder verlieren würde. Larry verbrachte die gesamten drei Renntage schlafend unter Deck, kam nur zu den Mahlzeiten herauf – und um herauszufinden, wie weit sie hinter den führenden Booten zurücklagen. Er schwor, dass er sein Boot nie wieder einem anderen leihen würde. Später sagte er zu Erkelens: »Das Regattasegeln ist heute ganz anders als noch zu Teds Zeiten. Es wird nicht mehr länger von den Eigengewächsen der Yacht-Clubs bestimmt, sondern von Profis, die diese schöne neue Welt dominieren.«
Als Turner den America’s Cup 1997 gewonnen hatte, hatte ihn das Rennen keine drei Millionen Dollar gekostet. Inzwischen hatten sich die Budgets der 100-Millionen-Dollar-Grenze genähert. Die besten Segler und Taktiker agierten auf den unglaublichsten Booten, die von den klügsten Design-Köpfen erdacht und für Geld zu haben waren. Sie agierten auf einem unberechenbaren flüssigen Rennkurs, auf dem es für Geschwindigkeiten keine Grenzen gab. Erkelens tat sein Bestes, um sein Team vorzubereiten.
Im Lager in den Hügeln von Santa Barbara waren die Nachzügler inzwischen gefunden worden. Alle, sogar Dickson, hatten sich inzwischen wieder beruhigt und saßen auf ihrem Platz. Die Busse konnten nun in das 32 Kilometer entfernt liegende Basiscamp in Ventura zurückkehren.
Während er aus dem Fenster schaute, sinnierte Erkelens über die Höhen und Tiefen des hinter ihnen liegenden Wochenendes. Es hatte fast so qualvoll begonnen, wie es geendet hatte. Sie hatten die erste Nacht vor der Ankunft im Lager noch in einem Hotel verbracht und waren dort von einem inspirierenden Redner namens Alan Chambers begrüßt worden. Dieser hatte einst das erste erfolgreiche britische Team ohne Unterstützung von außen von Kanada zum Nordpol geführt und sprach nun darüber, was es zur Planung und Durchführung einer Spitzenleistung bedürfe. Chambers beschrieb, wie er fünf Jahre in die Planungen und Erkundungen für die Expedition investiert hatte. Er hatte mit Inuit-Familien gelebt und während seiner zehn Wochen im Eis gefahrenvolle Momente überstanden, in denen er einmal sogar allein auf einem Eisberg abgetrieben war.
Tugsy Turner lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und hörte zu, sein Kinn hielt er dabei auf die Hände gestützt. Er hatte schon befürchtet, dass sich dieses Wochenende als Pleite entpuppen und nur Zeit für die Arbeit an den Booten stehlen würde. Er hörte zu und bemühte sich um Aufgeschlossenheit, während Chambers vom Umgang mit Widrigkeiten berichtete. Tugsy begann abzuschalten, als Chambers sagte, dass »alle als Team zusammenarbeiten« und »es gemeinsam erreichen« müssten. Als Chambers sagte, dass »die Grenzen nur in der Vorstellungskraft existieren« und eine gefühlte Stunde über »einsam treibende Eisberge« sprach, rollte Tugsy mit den Augen. Erkelens zuckte zusammen.
In der ersten Nacht im Pfadfinder-Camp war das Team in vier Gruppen mit jeweils 35 Leuten aufgeteilt worden: Rot, Blau, Gelb und Grün. Nachdem sie ihre Taschen in den Schlafbaracken zurückgelassen hatten, wurden die Teammitglieder aufgefordert, große Zelte aufzubauen, die am nächsten Tag gebraucht würden. Diese Aufgabe sollte sie vermutlich dazu animieren, von Beginn an als Team zu operieren. Den Teams wurde eine ganze Reihe weiterer Aufgaben gestellt, zu deren Bewältigung die Farbgruppen noch einmal in jeweils vier Teams unterteilt wurden. Als die erste Übung darin bestand, für diesen Tag einen Anführer zu wählen, war Tugsy klar, dass es direkt lustig losgehen würde. Er musste sich bemühen, nicht laut loszulachen, als der amerikanische Star Cayard und der neuseeländische Skipper und Taktiker Dickson um die Position rangen. Die Szene wirkte wie der Kampf zweier Jungs um ein neues Spielzeug. Dickson und Cayard, aber auch einige andere, bewarben sich im Cup-Team um die Skipper-Position. Die Situation erinnerte an die Zeit, in der sowohl Steve Young als auch Joe Montana für die San Francisco 49ers spielten. Doch Dickson und Cayard kamen in etwa so gut miteinander aus wie die Basketball-Stars Shaquille O’Neal und Kobe Bryant oder die Baseball-Legenden Barry Bonds und Jeff Kent. Nämlich gar nicht.
Während der Übungen für mehr Teamgeist lief es schließlich darauf hinaus, dass Cayard sein Team führte. Sie bauten Brücken und arbeiteten daran, ihre Leute über Strickleitern und Felsen auf die andere Seite zu bringen. Erkelens schöpfte ein bisschen Mut, als er die Designer und Segler dabei beobachtete, wie sie gemeinsam am Lagerfeuer saßen oder im Pool Wasserball spielten. Was Erkelens aber nicht gesehen hatte – und erst jetzt im Bus nach und nach hörte –, waren die Grabenkämpfe, die in den Gruppen ausgebrochen waren. Sogar im Pool.
Der Busvorfall bestätigte Erkelens’ Sorge, dass Dickson, den alle nur »Dicko« nannten, offenbar noch eine andere Seite hatte. Als sich der Bus Ventura näherte, hatte Erkelens beschlossen, dass er darüber mit Larry würde sprechen müssen. Larry hatte fünf Maxi-Weltmeisterschaften mit Dickson als Taktiker gewonnen.
Erkelens wusste, dass sein Boss mehr an Leistung als an Persönlichkeit interessiert war. Darüber hinaus würde Larry eine Teambuilding-Veranstaltung wie diese vermutlich als dämlich abtun. Das Problem war, dass Larry Dickson noch nie so aus dem Gleichgewicht geraten erlebt hatte. Außer im Sydney-to-Hobart-Race. In dem Fall aber fiel Dickson nicht weiter auf, weil ohnehin alle seekrank waren.
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