Norbert konnte erkennen, dass ihn alle mit dem gleichen Gedanken anstarrten: »Also doch, der Club wird geschlossen, und wir sind hier, um die Flagge einzuholen.« Es war an der Zeit, die Neuigkeiten zu verkünden. Er holte tief Luft und sagte: »Um unsere Existenz auch für die Zukunft zu sichern, haben wir einen entscheidenden Schritt getan. In den vergangenen Wochen haben wir über eine Allianz mit Oracle Racing verhandelt, um eine Herausforderung im America’s Cup abzugeben. Wenn wir gewinnen, dann bringen wir den Cup zurück nach Amerika, wo er hingehört, und werden ihn in der Bucht von San Francisco verteidigen.«
Zunächst herrschte absolute Stille. Einen Moment später brach tosender Jubel im Raum aus.
Als der Beifall und die Freudenpfiffe schließlich abebbten, konnte Norbert nicht anders, als unterwürfig zu lächeln, als er die erhobene Hand eines Mitglieds sah, das immer gegen alles war. Widerstrebend erteilte er ihm das Wort.
»Wir sind auf dem richtigen Weg«, sagte der Mann, »wir müssen uns nicht in einen großen schicken Club verwandeln. Was haben wir mit dem America’s Cup zu tun? Wenn das passiert, werden wir nicht einmal mehr unseren eigenen Club nutzen können.«
Norbert lächelte und sagte: »Sie verstehen das nicht. Das ist die letzte Chance für diesen Club. Wir sind nicht auf dem richtigen Weg. Larry Ellison rettet diesen Club. Es wird keinen Golden Gate Yacht Club mehr geben, wenn dieser Deal nicht umgesetzt wird, wenn er nicht jetzt in Kraft tritt. Und natürlich werden wir unseren Club nutzen können. Es handelt sich um einen Rettungsanker, der unserem Club zugeworfen wird. Lasst es mich also noch einmal ganz deutlich sagen: Wenn wir es nicht machen, wird es keinen Golden Gate Yacht Club mehr geben. So einfach ist das.«
Der Ehren-Kommodore Dave Haskins erhob die Stimme: »Wir schreiben Geschichte! Ich hörte, dass unserem Nachbar-Club nicht gefiel, wie Larry seine Boote nennen wollte. Verdammt, der Golden Gate Yacht Club hätte nicht das geringste Problem damit, wenn als Name Oracle auf dem Boot stehen würde. Unsere Haltung ist: Nenn es, wie du willst. Wir sind nicht übermäßig anspruchsvoll. Wir werden da draußen sein und die Boote polieren, wenn das gefragt sein sollte.«
Der Applaus schwoll wieder an. Erkelens lächelte Norbert zu, und die beiden Männer schüttelten sich die Hände. Clubmitglieder umkreisten Erkelens, boten ihm die Hand, Umarmungen und Ideen, wie sie dem Team helfen könnten.
Etwas abseits stand Dave Miller mit seiner Frau Lydia. »Wer hätte das gedacht?«, fragte er, während ihm die Tränen in die Augen stiegen. Über Jahre war Miller, der ein Unternehmen aufgebaut hatte, das Häuserdächer mit Oberlichtern verkaufte, der stille Engel des Clubs gewesen, der den Golden Gate Yacht Club aus schwierigen Situationen herausgehauen hatte. Wenn das Dach leckte, dann bezahlte er für die Reparatur. Wenn die Fenster repariert werden mussten, dann kümmerte er sich darum. Miller und seine Frau waren russische Juden und Kinder von Eltern, die in China als Missionare tätig gewesen waren. Sie kamen nach dem Ersten Weltkrieg auf dem Seeweg nach San Francisco. Sie lebten in Daly City, und Daves ganzer Stolz und Augenstern war eine 42-Fuß-Viking, die er über Jahre restauriert hatte.
Matlin fand Norbert und sagte: »Mann, das ist die Rettung des Lebens. Wir haben es geschafft! Du hast es geschafft!« Allein die Mitglieder-Vereinbarung mit Oracle Racing würde ihre Schulden halbieren.
Norbert zuckte mit den Achseln und lachte: »Yogi Berra sagte: ›Wenn du an eine Straßengablung kommst, dann nimm sie.‹ Das habe ich getan.«
Madeleine schaute Norbert an. »Das ist phänomenal«, sagte sie und küsste Norbert. »Wer weiß, wohin das alles führen wird?«
In dieser Nacht, drei Monate, nachdem Norbert seine erste E-Mail an Erkelens gerichtet hatte, wurde alles offiziell: Der einst todgeweihte Golden Gate Yacht Club wurde zum offiziellen Herausforderer für Oracle Racing ernannt.
Der Golden Gate Yacht Club hatte Larry Ellison exakt das gegeben, was er wollte, aber vom St. Francis Yacht Club nicht bekommen hatte: die Kontrolle über die America’s-Cup-Aktivitäten in der Gegenwart und in der Zukunft. Orcale würde drei Mitglieder im elfköpfigen Vorstand haben: Bill Erkelens, Melinda Erkelens und mit Chris Perkins, dem CEO des Teams, ein langjähriges Mitglied des St. Francis Yacht Clubs. Noch wichtiger war, dass der Club einen zusätzlichen Vorstand installieren würde, der die ganze America’s-Cup-Herausforderung überwachen würde. Für Oracle waren in diesem Vorstand drei von fünf Sitzen reserviert.
Die vermutlich erregendste Vereinbarung sah vor, dass der Yacht-Club die verschnörkelte Silberkanne im Falle eines Sieges für ein halbes Jahr behalten dürfe. Seit mehr als 150 Jahren war der Cup verwahrt, bewacht und vom siegreichen Yacht-Club stolz ausgestellt worden.
In dieser unwahrscheinlichsten aller Partnerschaften hatte sich ein kleiner Club einen Förderer gesichert, und der geschäftsführende Häuptling hatte einen Cheerleader am Haken. Die Vereinbarung beinhaltete Vorteile für beide Seiten. Aus dem Mechaniker war ein Dealmaker geworden, der den Club aus dem Bankrott auf die Weltbühne der elitärsten Segelschau der Welt gesteuert hatte. Der Technologie-Titan hatte einen stillen Coup gelandet. Er hatte einen Weg gefunden, die Regeln selbst festzulegen, die Spieler auszuwählen, die Schau zu gestalten und selbst Teil des Teams zu sein. Er konnte bestimmen, wie er nach außen wirken wollte.
Larry sagte zu Erkelens: »Mir hat die Doppelbödigkeit in den Verhandlungen mit dem St. Francis nie gefallen. Ich will genau wissen, was der Deal ist. Unsicherheit und Unentschlossenheit machen mich wahnsinnig. Manche Leute denken, dass ich ein Kontrollfreak bin. Sie haben Recht.«
Erkelens stimmte zu und sagte geradeheraus: »Es wäre absolut schrecklich gewesen, mit dem St. Francis zu arbeiten. Sie müssen immer die Kontrolle haben.«
An diesem Abend kehrte Norbert erst lange nach Mitternacht aus dem Golden Gate Yacht Club heim. Ein paar Clubmitglieder waren geblieben, stießen auf den Deal an und erhoben ihr Glas auf die rot-weiß-blaue Flagge des Golden Gate Yacht Clubs, der in einer Last-Minute-Aktion doch noch gerettet worden war. Norbert schaute auf die Uhr und wusste, dass es Zeit war, ins Bett zu gehen. Auf seinem Nachttisch lag die vertrauliche »Herausforderungs- und Verteidigungs-Vereinbarung«. Sie war voller Juristensprache und dennoch das fesselndste Dokument, das er seit sehr langer Zeit gelesen hatte. In der formalen Ankündigung der Herausforderung an die Royal New Zealand Yacht Squadron hatte Norbert geschrieben:
Dies ist die Ankündigung der Herausforderung des Golden Gate Yacht Clubs an die Royal New Zealand Yacht Squadron um die Segeltrophäe, die ursprünglich am 22. August 1851 bei einem Rennen um die Isle of Wight von der Yacht AMERICA gewonnen worden war und die heute als America’s Cup bekannt ist.
In einem anderen Absatz, der vermutlich für einige hochgezogene Augenbrauen in der Segelszene sorgen würde, schrieb Norbert:
Und schließlich haben wir noch eine Kopie der Stiftungsurkunde für unsere Seegras-Suppen-Trophäe beigefügt, die neben anderen GGYC-Regatten einmal jährlich an einem Meeresarm ausgetragen wird – der Bucht von San Francisco. Unser Yacht-Club sieht der Teilnahme an dem von Ihnen organisierten XXXI. America’s Cup mit Freude entgegen.
Norbert legte die Papiere zurück auf den Nachttisch und wusste, dass er irgendwann ein offenes Gespräch mit seinem Vater würde führen müssen. In der Zwischenzeit aber wurde er früh am nächsten Tag in der Werkstatt zurückerwartet. Da gab es Autos, die Hilfe brauchten, und Klimaanlagen, die repariert werden wollten. Doch in dieser Nacht wollte der Mechaniker von einem ganz anderen Metall träumen: dem Silber der alten Kanne.
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