Als die drei schwarzen, schweren M-Klasse-Mercedes mit Münchner Nummernschildern vorfuhren, eilte Jachen zurück zum Parkplatz und begrüsste alle mit Handschlag und tätschelte sie an der Schulter. Luis Battista, der einen schwarzen Helm und eine riesige Carrera-Skibrille aufgesetzt hatte, Dirk und die vier anderen Typen. Dann stieg Karolina aus. Sie trug heute eine dunkelblaue Jet-Set-Jacke und hatte einen silbrig-glänzenden Skihelm dabei. Jachen küsste sie auf die Wangen und meinte, dass sie «aifach ghoga guat» aussehe. Den Dialekt verstand die Brünette zwar nicht, aber sie lächelte den alten Skilehrer charmant an. Nach ihr stieg noch eine zweite Frau aus, etwa gleich alt wie Karolina, in einer blauen Daunenjacke von Lasse Kjus. Sie stellte sich mit Floriana vor.
«Oh, das klingt wie Flurina», sagte Jachen. «Hier oben im Engadin heissen alle schönen Mädchen Flurina!» Er sprach absichtlich in einem holprigen Schweizer Hochdeutsch. Aus Erfahrung wusste er, dass dies besonders bei den Ladies gut ankam.
Floriana quittierte den Satz mit einem Lächeln und wandte sich dann sofort Karolina zu. Jachen buckelte die Ski der Damen und schritt, noch breiter grinsend, zur Station. Dort nahm er auch seine eigenen Ski auf, sein Rücken schmerzte bereits, doch Jachen grinste weiter.
Battista, die Damen, Dirk und die anderen Typen kamen nach und drängten sich in die bereits volle Gondel. Jachen liess seine weissen Zähne blitzen und betonte immer und immer wieder, was das für ein schöner Tag werden würde, wie sensationell der Schnee heute sei und was das Engadin doch für ein Wunderland sei.
Der Skilehrer war in seinem Element. Er stand im Mittelpunkt, niemand bemerkte, dass er mit hochkarätigen Gästen unterwegs war. Wobei Luis Battista kaum zu erkennen war mit der Riesenbrille, die er in diesem Jahr fast nie abnahm, wie Jachen längst registriert hatte. Lag wohl an den besonderen Umständen. Statt gelbe Gläser hatte Battista heute die dunklen montiert, da es heute Sonne und keinen Nebel geben würde.
Als Jachen und sein Trupp auf den ersten Sessellift steigen mussten, achtete Jachen darauf, dass er mit Dirk alleine auf einen Sitz kam.
«Ihr habt den Kerl fast getötet», flüsterte er ihm zu, als der Sessel aus der Station holperte. «Ich weiss ja nicht, was hier abgeht und wer diese Karolina ist. Aber ich sage dir: Wenn noch irgendwas vorfällt, informiere ich die Polizei. Luis Battista ist immerhin Bundesrat, also ein wichtiger Schweizer Politiker, verdammt nochmal.»
«So was würde ich an deiner Stelle nicht mal denken, du alter Ski-Bock. Die Leute wollen bloss ein bisschen Spass. Also mach einfach deinen Job und greif den Ladies ein bisschen an den Arsch und an die Titten, das mögt ihr Bergfuzzis doch, okay?»
SPAZIERWEG AM ST. MORITZERSEE
Sie hatten den See bereits zweimal umrundet. Myrta hatte viel geredet, aber auch zugehört, wenn Martin etwas erzählte. Sie sprachen über Joël, über ihre Arbeit und fast am meisten über Pferde. Martin erklärte ihr viele Einzelheiten über die White-Turf-Pferderennen auf dem zugefrorenen See, die jeweils im Februar stattfinden. Myrta kannte diesen Event nur als Top-Promi-Anlass. Dass es hier um grossen Pferdesport und noch grössere Geldsummen ging, hatte sie bisher nicht realisiert. Martin erzählte, er habe hier auch schon ein Pferd an den Start geschickt und dadurch einen guten Verkaufspreis erzielt. Myrta staunte einmal mehr über den Mann neben sich: Lucky Luke bewegte sich offensichtlich in besseren Kreisen. Das imponierte ihr.
«Sag mal», meinte Myrta. «Warum hast du mir nicht erzählt, dass du nicht nur eine Pferdepension, sondern auch eine Pferdezucht betreibst und mit den Tieren handelst?»
Da Martin nicht gleich antwortete, schickte Myrta ein «Na?» hinterher.
«Ich wollte nicht bluffen», sagte Martin. «Ich bin nur ein kleiner Pferdezüchter und -händler.»
Myrta kniff ihn in den Arm.
Es war Mittag, und die Sonne hatte sich durchgesetzt. Martin schlug vor, einen kleinen Umweg an den Stazersee zu machen und dort auf einer Sonnenterrasse etwas zu essen. Sie bestellten sich eine Bündner Gerstensuppe und einen Salsiz dazu, teilten sich das Ganze und hätten den Moment eigentlich geniessen können – wäre beiden nicht bewusst gewesen, weshalb sie überhaupt hier waren. Sie sassen nebeneinander an der Hauswand, die die Wärme der Sonne abstrahlte. Myrta schloss die Augen und legte ihre Hand auf Martins Oberschenkel.
«Ich habe dich in aller Herrgottsfrühe geweckt, du fährst mit mir einfach schnell ins Engadin – warum machst du das eigentlich für mich?», fragte sie.
Martin antwortete nicht. Er legte seinen Arm um Myrta. Dieses Mal schon ein bisschen geschickter, fand sie und lächelte in die Sonne.
SESSELLIFT GLÜNA
Die beiden Damen und ihre Beschützer waren schon ins Berg-restaurant gegangen. Luis Battista wollte mit Jachen Gianola unbedingt noch eine weitere Abfahrt machen, um auch mal richtig Ski zu fahren und nicht auf die Damen und ihre Bodyguards, die alle nicht so sicher auf den Latten standen, Rücksicht nehmen zu müssen.
«Wie wäre es mit einer Off-Piste-Abfahrt?», fragte Jachen.
«Ich bin dabei», antwortete Luis Battista, der die Skibrille für einmal auf den Helm hochgeklappt hatte. «Aber nur, wenn es sicher ist.»
«Keine Angst! Wir haben doch alles im Griff, oder?» Er gab dem Bundesrat einen kleinen Stoss. Der Sessel schwankte. Jachen zeigte mit dem Skistock nach links auf einen felsigen, steilen Hang. «Siehst du dieses Couloir zwischen den beiden grossen Felsen? Dort schwingen wir uns runter. Das wird ein Spass. Hat erst wenige Spuren drin.»
«Ist das nicht gefährlich? Keine Lawinengefahr?»
«Hey, Luis, was ist los? So kenn ich dich gar nicht!»
«Alles okay.» Luis Battista lächelte. Etwas angestrengt. Aber immerhin waren nun seine markanten Grübchen zu erkennen.
Nachdem sie oben angekommen waren, sausten sie eine kurze Strecke auf der Piste hinunter und fuhren mit viel Schuss in eine ziemlich lange Ebene, in der Tiefschnee lag. Dadurch wurden sie stark abgebremst. Schliesslich blieben sie stehen und mussten sich noch ein gutes Stück mühsam mit den Stöcken vorankämpfen. Dann standen sie endlich vor dem Couloir, das sie vom Sessellift aus gesehen hatten.
«Das ist ziemlich steil», sagte Luis.
«Super, erst zwei Spuren im Schnee», meinte Jachen nur. «Tiefschnee fahren ist im steilen Gelände einfacher!»
«Und es ist eng!»
«Das sind drei Meter, Luis. Du machst einfach einen Schwung nach dem anderen.»
«Und wenn nicht?»
«Hey, Kurzschwung haben wir lange genug geübt. Tiefschneefahren auch. Und ich sage dir: Das ist Pulver, wie du ihn nur wenige Male pro Winter erlebst! Powder, wie die Jungen sagen, Powder, mein Lieber!»
«Der Hang hält, keine Lawine?»
«Der hält, Schattenhang, eine Stunde noch, dann wird es kritisch.»
«Bist du sicher?»
«Luis, ganz sicher ist man nie. No risk, no fun!»
«Hast recht.»
«Ich zuerst?»
«Klar, wie immer.»
Sie klatschten ab, so wie sie es seit Jahren machten, wenn sie eine besondere Herausforderung vor sich hatten. Wobei die Herausforderung für den Bundesrat wesentlich grösser war als für den Skilehrer. Dann zogen sie die Riemchen an ihren Skihelmen nach. Lawinenausrüstung hatten sie keine.
Jachen stiess sich ab in die Tiefe. «Juhuuuuu!», schrie er. Er wedelte perfekt die enge Rinne hinunter. Es sah aus, als würde er tanzen. «Juhuuuuuuuu!» Er kam den Felsen bedrohlich nahe, konnte aber immer rechtzeitig abschwingen. Der Schnee stob.
Nun Luis. Erster Schwung, zweiter Schwung …
«Mach dich leicht!», schrie Jachen. «Schwebe!»
… fünfter Schwung, sechster Schwung …
«Yeah! Super!», schrie der Herr Bundesrat zurück.
… achter Schwung, neunter Schwung …
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