1925 grenzte Schmitt Joseph de Maistre in einer Rezension von der Romantik ab. 82Eine ätzende Besprechung von Paul Kluckhohns Studien zur Staatsanschauung der deutschen Romantik kann dann als letztes Gefecht gelten: Schmitt attestiert Kluckhohn hier, „dass eine Kompetenz auf dem Gebiet der romantischen Liebe noch keinerlei Kompetenz auf dem Gebiet der Staatsauffassung zu begründen vermag.“ 83Schmitt kritisierte, dass Teile der Forschung ihren Gegenstand immanent, aktualisierend, mimetisch und romantisch erörterten. Seine eigenen Versuche, sich dagegen in katholische Traditionen der Gegenrevolution zu stellen, wurden vom Mehrheitskatholizismus niemals akzeptiert. Als Schmitt infolge seiner Scheidung und erneuten Heirat 1926 dann förmlich exkommuniziert wurde, brach er mit der Kirche und verschob die konfessionelle Stereotypisierung in den Antisemitismus. Polemische Abgrenzungen vom Protestantismus finden sich zwar weiterhin gelegentlich, Schmitt verzichtete aber fortan auf starke katholische Identifikationen und beteiligte sich nicht weiter an der innerkatholischen Diskussion. Damit hatte er auch das Interesse an der Romantik eigentlich verloren, das stellvertretend für seine Stellung zum Mehrheitskatholizismus stand. Seine Ablehnung der Politischen Romantik stellte Schmitt nach 1925 nicht mehr ernstlich in Frage und er positionierte sich auch nicht weiter im Feld der Romantikkritik.
3. 1815 statt 1798: Hegel statt Novalis, Staat statt Nation
Von Novalis ausgehend sehe ich wenigstens zwei Ansätze einer Entgegnung: die idealistische Aufwertung der Kategorie der „Möglichkeit“ und „Zukunft“ und die Verteidigung der „poetischen“ Staatslehre gegen Schmitts Polemik. Dabei sei geschenkt, dass Novalis seine politische Philosophie nur fragmentarisch ausführen konnte und seine einschlägige Publikation von Glauben und Liebe in den Jahrbüchern der Preußischen Monarchie strategische Kompromisse machte. Novalis hatte einen starken Begriff von der Repräsentation und leitete daraus vieles ab. Im Brouillon schreibt er:
„Die Lehre vom Mittler leidet Anwendung auf die Politik. Auch hier ist der Monarch – oder die Regierungsbeamten – Staatsrepräsentanten – Staatsmittler.“ 84
Er notiert auch:
„Der Staat ist immer instinktmäßig nach der relativen Einsicht und Kenntnis der menschlichen Natur eingeteilt worden – der Staat ist immer ein Makroanthropos gewesen – die Zünfte = die Glieder und einzelnen Kräfte – die Stände = die Vermögen. Der Adel war das sittliche Vermögen – die Priester das religiöse Vermögen – die Gelehrten die Intelligenz, der König der Wille. Allegorischer Mensch.“ 85
Manche Parallelstellen ließen sich finden. Novalis betont in seinen theoretischen Schriften und Notizen nicht nur die Analogie von Mensch und Staat, sondern auch die Menschwerdung im Staat. So schreibt er: „Um Mensch zu werden, bedarf es eines Staates.“ 86Solchen Formulierungen hätte Schmitt zustimmen können. Er gibt sich aber keine Mühe, das staatstheoretische Argument von der monarchistischen Auslegung zu trennen und in der Lage von 1798 zu situieren. Novalis sieht sich damals in der Alternative „Form oder Unform“ und sucht eine Antwort auf die Revolution. Er meint: „Genau haben die meisten Revolutionisten gewiss nicht gewusst, was sie wollten – Form, oder Unform.“ 87Der bürokratischen Maschine und Konstitution stellt er die personalistische Repräsentation entgegen und nennt den König das „Lebensprinzip des Staates“. 88Die Integration des Volkes zur Nation oder Republik erhofft er dabei von einer vorbildlichen Lebensführung des jungen Königspaares. Novalis spricht von „ästhetischer Erziehung“ oder soziomoralischer Identifikation und Integration der Bürger in den Staat: von der Schaffung einer preußischen Nation. Mit Smend gesprochen, betont er die „persönliche Integration“ durch politische Führer. Die strategische Idealisierung seiner Ausführungen ist Novalis klar. So sagt er auch: „Aber die Vortrefflichkeit der repräsentativen Demokratie ist doch unleugbar. Ein natürlicher, musterhafter Mensch ist ein Dichtertraum.“ 89Vielen solchen Überlegungen hätte Schmitt zustimmen können. Er hätte dabei zwischen dem staatstheoretischen Grundansatz, der monarchistischen Auslegung und der republikanischen Politisierung unterscheiden können. Den „Divinationssinn“ des „magischen Idealismus“ lehnt er aber ab. Novalis meint:
„Die Philosophie ist von Grund auf antihistorisch. Sie geht vom Zukünftigen, und Notwendigen nach dem Wirklichen – sie ist die Wissenschaft des allgemeinen Divinationssinns. Sie erklärt die Vergangenheit aus der Zukunft“. 90
Novalis idealisierte seine Überlegungen in Antizipation einer „neuen Zeit“ und „Zukunft“ des „tausendjährigen Reiches“. Schmitt hielt von einem solchen Utopismus gar nichts und ignorierte deshalb vielleicht auch den Ofterdingen -Roman. Das Mittelalter-Kleid ist nicht zuletzt die Rückprojektion einer Vorprojektion: die Fabel, die der Utopie eine Gestalt geben kann. Mittelalter ist Zwischenzeit, Transformationszeit, Zeit des Übergangs, wie die Lage um 1800. Im zweiten Kapitel des Romans heißt es dazu:
„In allen Übergängen scheint, wie in einem Zwischenreiche, eine höhere, geistliche Macht durchbrechen zu wollen; und wie auf der Oberfläche unseres Wohnplatzes die an unterirdischen und überirdischen Schätzen reichsten Gegenden in der Mitte zwischen den wilden, unwirtlichen Urgebilden und den unermeßlichen Ebenen liegen, so hat sich auch zwischen den rohen Zeiten der Barbarei und dem kunstreichen, vielwissenden und begüterten Weltalter eine tiefsinnige und romantische Zeit niedergelassen, die unter schlichtem Kleide eine höhere Gestalt verbirgt.“ 91
Das war um 1800 Novalis’ Hoffnung. Schmitt hätte dem zwar grundsätzlich zugestimmt; selbst 1942 zitierte er zum Weltkriegsgeschehen noch Hölderlin: „Auch hier sind Götter und walten, / Groß ist ihr Maß.“ (LM 107; SGN 210) Schmitt verband das 1942, anders als 1933, aber nicht mehr mit dem Reichsmythos, den Novalis im Ofterdingen mit der Kyffhäusersaga zitierte. Literarisch antwortete Novalis mit dem Ofterdingen vor allem auf Goethe; er poetisierte die Romanform über den Wilhelm Meister hinaus, indem er sie ins philosophische Märchen verwandelte; Novalis vertrat die – von Benjamin 92pointierte – romantische Auffassung, dass ein Kunstwerk sich erst wirkungsgeschichtlich durch die Kunstkritik optimiert. In diesem Sinne notierte er: „Der wahre Leser muss der erweiterte Autor sein.“ 93Als „wahrer Leser“ transformierte Novalis das Evangelium der „Ökonomie“, das er Wilhelm Meisters Lehrjahren entnahm, unter dem Eindruck der 1795 publizierten Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten und des dort abschließenden Märchens.
Die Literatur weist für den Ofterdingen oft auf Goethes „Märchen“ hin. Dabei ist der Zusammenhang mit den Unterhaltungen zu beachten. Goethe formulierte mitten in den Revolutionsexodus von 1795 hinein Diskursregeln eines zivilen Umgangs mit Flüchtlingsschicksalen: Die gastgebende Baronesse dekretierte ihren Gästen als Umgangsregel für die „gesittete Bildung“ 94das Gebot der „geselligen Schonung“: „Lasst uns dahin übereinkommen, dass wir, wenn wir beisammen sind, gänzlich alle Unterhaltung über das Interesse des Tages verbannen!“ 95Die Unterhaltungen dokumentieren eine fortschreitende Entpolitisierung der exemplarischen Geschichten in Richtung auf die allegorische und symbolische Übersetzung. Dieser Zug zur Entpolitisierung und Allegorisierung zeigt sich auch im Ofterdingen . Dort meint Heinrich eingangs zu den unterhaltsamen Kaufleuten:
„Ich weiß nicht, aber mich dünkt, ich sähe zwei Wege um zur Wissenschaft der menschlichen Geschichte zu gelangen. Der eine, mühsam und unabsehbar, mit unzähligen Krümmungen, der Weg der Erfahrung; der andere, fast Ein Sprung nur, der Weg der innern Betrachtung.“ 96
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