Antoine hatte einen Stolz. Er überwand ihn und kam zurück. Seither galten die beiden bei allen, die sie kannten, als das Traumpaar, was Antoine manchmal gute Laune machte, manchmal schlechte. Jetzt schlechte, die sich auch nicht besserte.
»Ich habe Sie etwas gefragt«, sagte Antoine. »Ich habe gefragt, worin dieser Unterschied genau besteht.«
Laurent nahm noch einen Schluck Wein, Antoine schlürfte an seinem Tee. Schweigend aßen sie den Salat, den Laurent rasch und gekonnt zubereitet hatte.
»Für morgen irgendwelche Pläne oder Ideen?«, sagte Laurent schließlich.
Antoine kaute.
»Sprechen Sie mit mir?«
»Wir könnten ja auch mal hier was unternehmen«, meinte Laurent. »Das Wetter soll ja nicht gut werden.«
Sie hatten die Gewohnheit, Sonntagnachmittags in den Marais zu fahren, um dort ein wenig spazieren zu gehen: Antoine machte es Spaß, der Welt seine Beute vorzuführen. Wenn sie an dem Café vorbeikamen, in dessen zweitem Untergeschoss sie sich kennengelernt hatten, zeigte sich Antoine jedes Mal neu enttäuscht, dass an der Hauswand noch immer keine Plakette angebracht war, die an das denkwürdige Ereignis erinnerte. Auch nicht unten auf der Toilette, wie Laurent herausfand, als er nach einem Kaffee pissen ging. Antoine hatte frech grinsend angeboten, ihm nachzukommen, um die Erinnerung an ihr Kennenlernen, die sie gern heraufbeschworen, aufzufrischen, doch Laurent hatte abgelehnt. Jetzt, wo sie sich besser kannten, fand er, brauchten sie doch mehr Bequemlichkeit und Bewegungsfreiheit. Und bis nach Hause, hatte er hinzugefügt und Antoine auf der Straße glühend auf den Mund geküsst, halte er es, wenn auch knapp, noch aus.
Antoine schnitt das Baguette auf, das Laurent in der Mikrowelle aufgetaut und mit der Grillfunktion warm gemacht hatte.
»Klasse Idee!«, höhnte er. »Ein Wochenende in Nanterre. Super. Wir könnten den Sonntag ja zum Beispiel im Verkehrsmuseum verbringen!«
Stille.
»Kennst du denn das Verkehrsmuseum?«, fragte Laurent.
»Ich weiß nicht, wie man auf die Idee kommen kann, altes, warmgemachtes Brot schmeckt wie frisches«, sagte Antoine. »Es schmeckt wie altes Brot, nur warmgemacht.« Er lachte bitter auf: »Klar, was will man erwarten, in der Peripherie!«
»Antoine, die Peripherie ist noch einmal etwas ganz anderes«, sagte Laurent, »und es ist mitten in der Nacht. Da ist es auch in Paris schwer …«
»Ich weiß, was die Peripherie ist«, fuhr Antoine dazwischen, während er mit dem Messer Butter herunterschabte und sie auf das halbierte Baguette strich, wo sie zerlief. »Ich weiß auch, wie irre früh ich hier morgens raus muss.«
Er arbeitete an der Gare Montparnasse.
»Von dir dauert es 24 Minuten bis zur Gare Montparnasse, von mir 33, das sind genau neun Minuten mehr«, sagte Laurent, der nachgeschaut hatte, weil er das ewige Genörgel, dass er in der Wüste, in der Pampa, am Nordpol, jedenfalls aber außerhalb der zivilisierten Welt wohnte, leid war.
»Gefühlt ist es aber viel länger«, sagte Antoine. »Weil es eben aus Paris herausgeht, fühlen sich neun Minuten viel länger an.«
Laurent kaute.
»Ich kenne übrigens das Verkehrsmuseum von Nanterre«, sagte Antoine. »Wie Sie wüssten, wenn Sie sich für etwas anderes interessierten als für meinen Arsch, habe ich Verkehrswesen studiert, und im Rahmen dieses Studiums haben wir das Verkehrsmuseum von Nanterre besucht.«
»Aha«, sagte Laurent.
»Es war das erste Mal, dass ich in Nanterre war, und ich hatte gehofft, auch das letzte.«
Antoine drückte Butter in das wehrlose Baguette. »Das hofft man ja öfter, dass das erste Mal auch das letzte Mal ist«, brummte er.
»So, so«, sagte Laurent.
Antoine tauchte seinen Löffel tief in die Nussnougatkrem, nahm ihn langsam hoch und verteilte die Beute sorgfältig auf dem Baguette: Die einzige Sünde, die er sich gegen seine strenge Sportler-Diät erlaubte. Aber jetzt biss er ohne Genuss ab.
»Hast du schlechte Laune?«, sagte Laurent.
»Danke der Nachfrage.«
»Und? Hast du?«
»Ja.«
Es entstand eine Pause.
»Und warum, wenn man fragen darf?«
Antoine starrte das Baguette an. »Ich habe deshalb schlechte Laune«, sagte er finster, »weil wir mittlerweile ein Sexualleben führen, als seien wir seit dreißig Jahren verheiratet.«
»Wir haben doch heute morgen …«, meinte Laurent.
»Das ist Stunden her«, fiel Antoine ihm ins Wort. Und fügte bissig hinzu: »Bin ich schon nicht mehr eng genug? Bringt’s nichts mehr, mich zu ficken, weil es mir nicht mehr richtig weh tut?«
»Tut’s dir denn nicht mehr weh?«
»Doch, wie Sau.«
»Das merkt man auch«, meinte Laurent kühl, »das ist doch eine gute Nachricht, da könnte man auch gute Laune davon haben.«
»Ich habe deswegen schlechte Laune«, erklärte Antoine und starrte auf sein Baguette, »weil ich mir hier aufgewärmtes altes Baguette mit Süßigkeiten beschmiere, statt etwas Sinnvolles zu tun.«
»Nämlich?«
»Nämlich«, meinte Antoine, und seine Stimme klang drohend, »einem perversen alten Sack den Schwanz zu lutschen.«
»Hm«, sagte Laurent. »Hast du da jemand Bestimmtes im Auge?«
Antoine warf mit finsterem Blick das Baguette auf den Teller und erhob sich. Er sah Laurent mit einem geringschätzigen Blick an, zog langsam die Jacke aus und ließ sie zu Boden fallen.
»Ist dir nicht kalt?«, fragte Laurent, als ginge ihn Antoines Athletenoberkörper nichts an.
»Mir wird dann schon warm«, sagte Antoine böse. Er zog sich mit überkreuzten Armen das T-Shirt über den Kopf und warf es ebenfalls zu Boden.
»Das gute Stück«, meinte Laurent mit einem mitfühlenden Blick auf das traurige Knäuel.
»Schade drum«, zischte Antoine.
Laurent räusperte sich.
»Wenn ich so herumlaufe, kriege ich eine Lungenentzündung«, sagte er.
»Wenn Sie so herumlaufen«, meinte Antoine, »kriegt der halbe Marais einen Herzinfarkt.«
Er ging um den Tisch herum, auf Laurent zu …
»Nicht so schnell«, sagte Laurent.
Antoine blieb auf halbem Weg stehen.
Laurent lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
»Nochmal einen Schritt zurück.«
Antoine machte einen Schritt zurück.
Mit Kennerblick und zunehmender Erregung betrachtete der alte, massige Mann den vollkommen geformten, vollkommen glatten Körper des jungen. Er trug keine Brustwarzenringe mehr, was Laurent besser gefiel; beim Ring durch den Schwanz blieb er aber eisern.
»Soll ich mich umdrehen?«, fragte Antoine leise.
Laurent schüttelte langsam den Kopf. Sie kannten sich jetzt so lange, und jedes Mal stockte ihm der Atem, wenn Antoine sich für ihn auszog. »Du hast es immer so eilig«, sagte er. »Dabei geht es doch erst einmal um das Gesamtbild.«
Ganz wenig, so dass Laurent es mehr ahnen als sehen konnte, öffnete Antoine den Mund, und langsam leckte er mit der Zungenspitze an den Lippen.
»Jetzt kannst du näher kommen«, meinte Laurent. Er nahm einen Schluck Wein und sah zu, wie Antoine um den Tisch herum auf ihn zukam.
»Ich habe schlechte Laune«, sagte Antoine drohend, »weil Sie stundenlang in diesem kack-geilen Vintage-Zweireiher, den ich aus Ihrem Vintage-Kleiderschrank ausgegraben habe, neben mir im Kino sitzen, und ich lutsche Ihnen den Schwanz nicht.«
Nackt wie er war, baute er sich vor Laurent auf und sah zu ihm hinunter.
»Ich habe schlechte Laune«, fuhr er nicht minder bedrohlich fort, »weil die Kack-Knöpfe dieses kack-geilen Vintage-Hemds, das ebenfalls ich aus Ihrem Schrank gezogen habe, den ganzen Abend wie zugenäht sind, und Ihr Vintage-Hosenladen ebenfalls den ganzen Abend wie zugenäht ist …«
Er beugte sich hinunter und begann, Laurents Hemd aufzuknöpfen, und Laurent ließ ihn.
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