Abb. 1: Entwicklung der Fallzahlen §§ 299a, b StGB (eigene grafische Darstellung nach: Bundeskriminalamt, Korruption Bundeslagebild 2019)
Zugleich wuchs die Anzahl der Delikte der besonders schweren Fälle von Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen von zwei Fällen im Jahr 2018 auf 138 Fälle im Jahr 2019. Besonders auffällig ist insoweit, dass mit dem vergleichsweise geringen Anteil der Korruption im Gesundheitswesen an der polizeilich registrierten Korruption insgesamt ein vergleichsweise hoher Anteil der besonders schweren Fälle korrespondiert (
Abb. 2).
Abb. 2: Vergleich des auf das Gesundheitswesen fallenden Anteils an Delikten (eigene grafische Darstellung nach: Bundeskriminalamt, Korruption Bundeslagebild 2019)
Zwar lassen sich laut dem Hinweis im Bundeslagebild sowohl über die Hälfte der Fälle nach §§ 299a, b StGB auf Ermittlungsverfahren in Brandenburg als auch der Anstieg der Fälle nach § 300 StGB auf Verfahren in Baden-Württemberg zurückführen. Ein Teil des Anstiegs ist somit auch auf regional begrenzte Geschehnisse und daraus entstandene Umfangsverfahren zurückzuführen. Vollständig erklärt werden kann der Anstieg mit diesen Effekten allerdings nicht.
In Bezug auf die Fallzahlen der §§ 331 ff. StGB wird in der Darstellung des Bundeslagebilds Korruption 2019 nicht zwischen Taten, die dem Gesundheitswesen zuzuordnen sind, und anderen Bereichen unterschieden. Daher kann trotz der Anwendbarkeit der Straftatbestände im Bereich der Korruption im Gesundheitswesen, z. B. auf Amtsträger und Amtsträgerinnen, wie Angehörige von Universitätskliniken, keine Entwicklungstendenz ausgemacht werden.
Einschränkend ist zu berücksichtigen, dass das Bundeslagebild Korruption (ebenso wie allgemein die Polizeiliche Kriminalstatistik – PKS) kein vollständiges Bild der ermittlungsbehördlichen Aktivitäten bei der Verfolgung von Korruptionsdelikten im Gesundheitsbereich zeichnet. So sind in den betreffenden Statistiken nicht die Anzahl der Fälle, die direkt bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht oder eigenverantwortlich durch diese aufgenommen und bearbeitet werden, berücksichtigt. In der Praxis werden die Ermittlungen bei Wirtschafts- bzw. Korruptionsstraftaten aber vielfach unmittelbar durch die zuständige Staatsanwaltschaft eingeleitet. Die tatsächlichen Zahlen des Hellfeldes sind somit vermutlich deutlich höher als die statistischen Angaben in PKS und Bundeslagebild.
Für die Vorjahre ergeben sich Anhaltspunkte in Bezug auf das Fallaufkommen aus einer »kleinen Anfrage« von Abgeordneten der FDP an die niedersächsische Landesregierung vom 13.03.2019 (medstra-News 24/2019). Wie sich aus der Antwort der Landesregierung ergibt, wurden in Niedersachsen insgesamt dreizehn Ermittlungsverfahren betreffend § 299a StGB im Jahr 2017 geführt und zwölf im Jahr 2018. Zu § 299b StGB gab es 2017 acht und 2018 zehn Ermittlungsverfahren. In beiden Jahren kam es zu keinerlei Verurteilungen aufgrund der §§ 299a und b StGB.
Im Rahmen der Anfrage wurden auch Zahlen aus anderen Bundesländern übermittelt: In Hamburg kam es demnach seit der Einführung der neuen Tatbestände zu acht Ermittlungsverfahren, in Thüringen zu drei, in Hessen zu sieben, in Berlin zu vier und im Saarland zu einem, das gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei. Konkrete Zahlen aus Brandenburg, Sachsen und Rheinland-Pfalz wurden nicht genannt, insgesamt sei die Anzahl der geführten Verfahren dort aber »gering« gewesen. In den Ländern Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein habe es keine Verfahren gegeben.
1.1.3 Struktur der Risiken: Straftaten aus Unkenntnis der Grenzen zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten, Kontrolldefizite und »harte« Vertriebskorruption
Aufgrund der Komplexität der Rechtslage ist den Verantwortlichen bei dem Eingehen einer Kooperation vielfach nicht bekannt, ob die Ermittlungsbehörde von einem Anfangsverdacht ausgehen würde. Legen die Ermittlungsbehörde und nachfolgend das Strafgericht die Rechtslage enger aus als die vertragschließenden Parteien, drohen Straftaten aus Unkenntnis der Grenzen des Rechts. Bei Zweifeln in Bezug auf die Rechtslage sind die Verantwortlichen daher gut beraten, sich rechtlich abzusichern und die getroffenen Entscheidungen zum Beispiel in einem »Compliance-Memorandum« zu begründen.
Denn in der Regel vergeht einige Zeit zwischen der entsprechenden Transaktion und dem Beginn des Ermittlungsverfahrens und eine sorgfältige Dokumentation erleichtert später die Beweisführung sowie die Identifikation der Verantwortlichen.
Fallbeispiel aus der Praxis zur Fallgruppe der Straftaten aus Unkenntnis der Grenzen des Rechts:
Im Anschluss an die sogenannte Honorararztentscheidung des Bundessozialgerichts vom 04.06.2019 (BSG, Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R) lässt der Geschäftsführer des Krankenhauses auch die bestehenden Verträge mit niedergelassenen Ärzten prüfen. Soweit es sich um Kooperationsverträge mit einzelnen Ärzten handelt und keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt wurden, kündigt er diese und bietet den Ärzten Arbeitsverträge an. Im Rahmen der langwierigen Verhandlungen verständigen sich die Vertragsparteien auf eine Vergütung, die der Höhe nach etwa der in der freien Kooperation gezahlten Vergütung entsprach. Auf die Nachzahlung der bis zur Vertragsänderung auf das Honorar im nicht verjährten Zeitraum (§ 25 Abs. 1 S. 1 SGB IV) entfallenden Sozialversicherungsbeiträge wird verzichtet. Der Geschäftsführer verlässt sich insoweit auf den anwaltlichen Rat. Soweit das Krankenhaus Kooperationsverträge mit Praxen (BAG oder MVZ GmbH) unterhält, werden die freien Kooperationsverträge beibehalten.
In einer Jahre später stattfindenden Betriebsprüfung der Deutschen Rentenversicherung (DRV) geht diese davon aus, bei den Kooperationen des Krankenhauses mit den einzelnen Ärzten wäre das Krankenhaus verpflichtet gewesen, die Sozialversicherungsbeiträge im nichtverjährten Zeitraum nachzuzahlen. Auch die Kooperationen mit Praxen werden als Fälle abhängiger Beschäftigung eingestuft. Wegen dieses Sachverhalts erfolgt die Abgabe an die Staatsanwaltschaft (vgl. § 6 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 4 Nr. 5 SchwarzArbG), die zunächst ein Ermittlungsverfahren wegen Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB) und später wegen der angeblich überhöhten Vergütung im Arbeitsverhältnis auch ein Verfahren nach §§ 299a, b StGB einleitet.
Daneben entstehen strafrechtlich relevante Sachverhalte auch aus Kontrolldefiziten. So können die Bedingungen einer Zusammenarbeit durch einen Vertrag in rechtlich zulässiger Weise abgesteckt sein. In der Praxis ändern die mit der Umsetzung des Vertrages betrauten Personen aber einzelne Modalitäten, die sodann zu strafrechtswidrigem Verhalten führen. So kann beispielsweise für eine nach Zeitumfang vergütete Tätigkeit eine im korruptionsstrafrechtlichen Sinne angemessene Vergütung vereinbart worden sein. In der Praxis werden sodann aber die zeitlichen Grenzen nicht eingehalten. Wenn in diesem Fall die Vergütung nicht angepasst wird, gerät das vereinbarte Verhältnis aus Leistung und Gegenleistung aus dem Gleichgewicht. Diesen Konstellationen kann durch Kontrollen gegengesteuert werden. Verantwortlich sind insofern die jeweiligen Compliance-Verantwortlichen im Krankenhaus, die Verträge und Akteure bzw. Akteurinnen sowie die entscheidenden tatsächlichen Gesichtspunkte kennen sollten.
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