Die Auswahl der Fragestellungen folgt den Erfahrungen des Verfassers im Rahmen der Tätigkeit als Verteidiger und bei der Implementierung von Compliance-Management- und Antikorruptions-Systemen, insbesondere in Krankenhäusern und anderen Bereichen des Gesundheitswesens. Diese Ausrichtung hat den Vorteil, dass auf vergleichsweise engem Raum neben praxisnahen, hier ergebnisorientiert dargestellten Rechtsfragen auch organisatorische Aspekte, Prozesse usw. angesprochen werden.
Hierdurch hoffen wir, Ihre praktische Arbeit beim Aufbau, der Aufrechterhaltung, Verbesserung und Prüfung der maßgeblichen Vorgänge unterstützen zu können. Ihre Anregungen, gerne per E-Mail an die Kanzlei des Verfassers ( info@ hendrikschneider.eu), sind willkommen und können in einer späteren Auflage berücksichtigt werden.
1Bei der Verwendung der geschlechtergerechten Sprache orientiert sich der Verfasser an den Empfehlungen des Duden.
1 Risiko Korruption
1.1 Bedeutung der Korruptionsdelikte in der Praxis
1.1.1 Überblick über die Aktivitäten des Gesetzgebers und deren Bedeutung für das Krankenhaus
Reformen durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997
Der sogenannte Herzklappenskandal in den 1990er Jahren war der Auslöser der Verschärfung des Korruptionsstrafrechts im Jahr 1997. Die damaligen Reformen betrafen in erster Linie die Amtsdelikte der §§ 331 ff. StGB, die bei Krankenhäusern im Eigentum der Öffentlichen Hand einschlägig sind und Strafbarkeitsrisiken für die Krankenhausgeschäftsführung und Mitarbeitende (Ärzte und Ärztinnen, Pflegekräfte, Mitarbeitende im Bereich Einkauf usw.) begründen. Im Anschluss an diese Reformen rückte insbesondere die Frage der Kooperation zwischen Ärzten und Ärztinnen und der Medizinprodukte- und Pharmaindustrie in den Vordergrund der Compliance im Krankenhaus. Thematisiert wurde und wird insofern, unter welchen Voraussetzungen Zuwendungen der Industrie angenommen werden können. Die Krankenhausgeschäftsführung hat insofern eine Organisationsverantwortung und ist verpflichtet, durch entsprechende krankenhausinterne Maßnahmen sicherzustellen, dass die rechtlichen Grenzen des Zulässigen eingehalten werden. Ermittlungsverfahren in diesem Bereich richten sich aber in aller Regel nicht gegen die Krankenhausgeschäftsführung, sondern gegen den Arzt oder die Ärztin, dem oder der die Vorteile zugewendet werden. Dies gilt auch bei sogenannten »Drittvorteilen« (z. B. Drittmitteln), die auf Konten des Krankenhauses eingehen.
Schließung strafrechtlicher Lücken durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen vom 30. Mai 2016
Nach langem Ringen der politischen Kräfte wurden knapp 20 Jahre nach der oben skizzierten Reform der Amtsdelikte die Straftatbestände gegen Korruption im Gesundheitswesen in Kraft gesetzt (§§ 299a, b StGB). Durch diese wurde eine Lücke im Schutz vor Korruption durch das Strafrecht geschlossen, weil erst aufgrund der neuen Bestimmungen, namentlich der §§ 299a, b StGB, die Bestechlichkeit bzw. Bestechung eines niedergelassenen Arztes bzw. einer niedergelassenen Ärztin strafbar ist (zu den Entwürfen der 17. Legislaturperiode, siehe Schneider 2013b, sowie der Gesetzgebungsgeschichte der §§ 299a, b StGB in der 18. Legislaturperiode, Schneider 2017a, 223 ff.; Dannecker und Schröder, in: Kindhäuser u. a. (Hrsg.), Nomos Kommentar zum StGB 2017, § 299a Rn. 1 ff.; aufschlussreiche Hintergrundanalyse bei Schröder 2019, 71 ff., 78 ff.). Dies ist einerseits für den Bereich des »Pharmamarketings« im ambulanten Sektor, andererseits aber auch für das Krankenhaus relevant, wie der Themenkomplex der Zuführung von Patienten und Patientinnen gegen Entgelt zeigt. Die Gewährung eines Vorteils für die Einweisung von Patienten und Patientinnen zur stationären Behandlung ist erst seit Einführung der §§ 299a, b StGB strafbar. Da ein Mitglied der Krankenhausgeschäftsführung in diesen Fällen (oft gemeinsam mit dem Justiziar bzw. der Justiziarin) die entsprechenden Verträge aushandelt, ist er oder sie persönlich als vorteilsgebende Person in der Verantwortung und kann sich nach § 299b StGB strafbar machen, während der Arzt bzw. die Ärztin in der Rolle der vorteilsnehmenden Person nach § 299a StGB strafrechtlich verantwortlich ist. Es handelt sich nach wie vor um ein Risikogebiet, das nicht nur im Zusammenhang mit den Korruptionsdelikten, sondern auch in arbeitsstrafrechtlicher Hinsicht zahlreiche Compliance-Fragen aufwirft. Im strafrechtswissenschaftlichen Schrifttum wird insgesamt mit Recht darauf hingewiesen, dass die Einführung der Straftatbestände gegen Korruption im Gesundheitswesen im Krankenhausbereich zu einer Verstärkung und zum systematischen Ausbau der Compliance-Bemühungen geführt haben (Kubiciel 2019, 193 ff., 193).
Reformen durch Einführung sozialrechtlicher Verbotstatbestände
Neben diesen Erweiterungen der strafrechtlichen Haftungsrisiken für Ärzte, Ärztinnen und Pflegekräfte sowie andere Angehörige von Heilberufen und die Geschäftsführung der stationären und ambulanten Einrichtungen hat der Gesetzgeber auf der Ebene des Sozialrechts Vorschriften in Kraft gesetzt, die der Verhinderung von Korruption auf dem Gesundheitsmarkt dienen. Hierzu gehören § 128 und § 73 Abs. 7 SGB V. Durch den seit 01.04.2009 (GKV-OrgWG vom 15.12.2008, BGBl. I, 2426) eingeführten § 128 SGB V werden diverse Formen des Zusammenwirkens von Vertragsärzten und Vertragsärztinnen sowie Ärzten und Ärztinnen in Krankenhäusern und Heil- und Hilfsmittelerbringern verboten. Das Ziel der Regelung besteht insbesondere darin, »Fehlentwicklungen in der Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten« entgegenzutreten (BT-Drs. 16/10609, 58). Schutzzweck ist demnach primär, das ärztliche Verordnungsverhalten und die Produktauswahl von sachfremden wirtschaftlichen Erwägungen freizuhalten und die Wahlfreiheit der Versicherten (insbes. bei der Hilfsmittelversorgung) zu gewährleisten (Schiller 2009, 484 ff.; Butzer und Bogan 2010, 309; Luthe 2011, 404 ff.). § 128 SGB V verbietet unter anderem die Abgabe von Hilfsmitteln aus Depots. Gegen diese Norm wird auch im Krankenhaus gelegentlich verstoßen, wenn auf den Stationen Hilfsmittel abgegeben werden, die nicht zu der Ausstattung der Notfalldepots gehören.
Fallbeispiel aus der Rechtsprechung, AG Landsberg, Urt. v. 16.01.2013 – 6 Ls 200 Js 141129/08:
Der nicht vorbestrafte angeklagte Geschäftsführer einer zur Abgabe von Hilfsmitteln nach § 126 SGB V zu Lasten der Krankenkassen zugelassenen Firma wurde vom Amtsgericht Landsberg wegen Betruges in einem besonders schweren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Der Angeklagte hatte gegen das Depotverbot verstoßen und insbesondere »Bandagen, Vorfußentlastungsschuhe und Kompressionsstrümpfe« vertrieben. Die von verschiedensten Ärzten aus dem ganzen Bundesgebiet durch Rezept verordneten Hilfsmittel wurden den jeweiligen Patienten jeweils in den dortigen Arztpraxen oder daran angegliederten Einrichtungen vor Ort abgegeben. Das Amtsgericht sieht hierin, soweit nicht im Einzelfall ein Notfall vorlag, einen Abrechnungsbetrug: »In den vom Angeklagten anerkannten Rahmenverträgen ist insbesondere ausdrücklich geregelt, dass der Leistungserbringer die Hilfsmittelversorgung durch eigenes Fachpersonal, in eigenen Räumen vor Ort anzupassen und den Versicherten in den Gebrauch einzuweisen hat. Jegliche Zusammenarbeit des Leistungserbringers mit Ärzten zum Ziel der Ausweitung der Versorgung bzw. der Inanspruchnahme von Hilfsmitteln ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Hilfsmitteldepots in Arztpraxen. (…) Durch die Einreichung der Rezepte hat der Angeklagte konkludent erklärt gemäß den für ihn geltenden Vorschriften ordnungsgemäß abgerechnet zu haben und einen entsprechenden Irrtum bei den Sachbearbeitern der Versicherungen erzeugt. Die konkrete positive Vorstellung der Berechtigung ist bei Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit standardisierten auf Massenerledigung ausgelegten Abrechnungsverfahren nicht erforderlich. Ausreichend ist, dass die Mitarbeiter stillschweigend davon ausgehen, dass ›alles in Ordnung ist‹ (BGH, Urt. v. 22.08.2006 – 1 StR 547/05, NStZ 2007, 213 ff., 213). Nach der Rechtsprechung des BGH im Sozialversicherungsrecht ist von der sogenannten streng formalen Betrachtungsweise auszugehen. Das heißt, dass sich der Angeklagte nicht darauf berufen kann, dass die Krankenkassen in jedem Fall auch über einen anderen Leistungserbringer als den Angeklagten dieselben Kosten für Hilfsmittel hätten erstatten müssen. Entscheidend ist, dass der Angeklagte keinen Anspruch auf die Kostenerstattung hatte und damit ein strafrechtlich relevanter Schaden in voller Höhe der geleisteten Zahlungen entstanden ist. Alles andere ist im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen.«
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