Es gibt wohl wenige Ansätze, Theorien bzw. „Trends“ in den letzten 15 Jahren die nicht in Verbindung mit „der Erlebnispädagogik“ gebracht wurden und werden 7 . Dies ist jedoch nicht wirklich überraschend, es handelt sich eben auch um einen „handlungstheoretischen Ansatz“, das TUN ist also Programm.
Als „Teilwissenschaft der Pädagogik“ ist ein Beschreibungsversuch der „Erlebnispädagogik“ einfacher. Denn am Anfang der „Erlebnispädagogik“ steht die „Erlebnistherapie“ des Reformpädagogen Kurt Hahn und von diesem ausgehend lassen sich viele Bezüge herstellen: zu dem Pädagogen Rousseau, zum Begründer der Geisteswissenschaft Wilhelm Dilthey, zu anderen Reformpädagogen wie Hermann Lietz bis hin zu den Pragmatikern. Hier bewegen wir uns also im Bereich der pädagogischen Theorien, was zumindest gewisse Anhaltspunkte der Betrachtungen liefert. Dabei lässt der Bezug zur Reformpädagogik – der Beginn „der Erlebnispädagogik“ ist in diesem Bereich zu verorten – den Begriff des Gegenmodells in den Vordergrund treten und hier treffen sich wieder Methode und Teildisziplin. Denn sowohl Methode als auch pädagogischer Ansatz sind als Gegenmodell zu verstehen, als Gegenmodell gegen das „verkopfte Lernen“, gegen „erstarrte Lernstrukturen“.
In dieser Arbeit wird sowohl die (Ideen)Geschichte eines „pädagogischen Gegenmodells“ als auch die Entwicklung der „Erlebnismethode“ dargestellt. Die Ursprünge der Erlebnispädagogik bis hin zu den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts werden in den Kapiteln 2, 3, 5 und 6 dargestellt. Diese Ideengeschichte wird ergänzt durch eine Auseinandersetzung mit dem „erlebnispädagogischen Begriffsvokabular“, vor allem in Kapitel 1 und der Darstellung der institutionellen Entwicklung in Kapitel 4. Die Expansion der „modernen Erlebnispädagogik“ in den 80er Jahren 8 , vor allem als „methodische Anwendung“ – von der Zielgruppe der Jugendlichen hin zur Zielgruppe der Erwachsenen und somit (auch) in den Bereich der „Arbeitswelt“ und die daraus resultierenden Folgen wird vor allem in den Kapiteln 7 und 8 beschrieben. In jenen beiden Kapiteln wird auch der Bezug zu gesellschaftlichen Entwicklungen hergestellt und in Kapitel 11 wird die Entwicklung der professionellen Erlebnispädagogik kritisch betrachtet. Die Merkmale der Erlebnispädagogik stehen im Mittelpunkt von Kapitel 9 und basierend auf dem „Tree of Science“ wird schließlich in Kapitel 10 aus den „Erlebnispädagogischen Merkmalen“ eine „Systematik der Erlebnispädagogik“ entwickelt.
Eine umfassende Beschreibung der „Erlebnispädagogik“ bedarf also sowohl der „pädagogischen Ideengeschichte“, der analytischen Beschreibung der Begrifflichkeiten, Merkmale und Methoden, der Beschreibung der historischen Entwicklung der Institutionen und des Bezuges zu gesellschaftlichen Veränderungen. Methodisch handelt es sich somit um eine geisteswissenschaftlich-phänomenologisch-hermeneutische Arbeit. Es wird versucht, das „Phänomen Erlebnispädagogik“ durch die Analyse der verwendeten Begriffe möglichst genau zu beschreiben und diese gegeneinander abzugrenzen. Gleichzeitig macht dies nur Sinn, wenn die einzelnen Begriffe in ihrem historischen und gesellschaftlichen Zusammenhang beschrieben werden. Nicht zuletzt geht es darum, das pädagogische Fundament der Erlebnispädagogik (wieder) zu entdecken. Zurzeit besteht eine Tendenz, die Erlebnispädagogik als eine Art „Technik der Gruppenarbeit“, als eine „innovative pädagogische Verfahrensweise“ zu sehen. Diese Arbeit möchte entgegen diesem Trend den Blick auf die (wissenschaftlichen) Fundamente wieder freilegen. Denn die aktuellen praktischen Verfahrensweisen“ haben sich aus den verschiedensten theoretischen Ansätzen heraus entwickelt und sind Produkt einer langen Entwicklungskette. Wissenschaftliche Theorie und wissenschaftliche Methoden ergeben ein wissenschaftliches Konstrukt und erst auf Basis dieser wissenschaftstheoretischen Fundamente können sich praktische Verfahrensweisen entwickeln 9 . Somit sind das Konzept und die Umsetzung der Hahnschen Erlebnistherapie ohne die Grundlage der geisteswissenschaftlichen Pädagogik nicht vorstellbar.
Denn einiges kehrt immer wieder, vieles der heutigen „modernen Erlebnispädagogik“ ist nur Altes im neuen Gewand und so kann man manche „Verfahrensweisen“, ganz im Sinne eines Wilhelm Diltheys, erst dann verstehen, wenn die historischen Bezüge und die wissenschaftstheoretischen Fundamente des „Phänomens Erlebnispädagogik“ aufgespürt werden.
Das Neue ist in der Tat nichts Anderes als die Wiederbelebung des Alten zum rechten Augenblick . 10
1Rehm (1996), S. 144.
2Prinzipiell wird mit dem Begriff der Erlebnispädagogik das gesamte Spektrum der Möglichkeiten bezeichnet. Soll der Aspekt der Unheitlichkeit hervorgehoben werden, wird der Begriff unter Anführungszeichen gesetzt. Ebenso trifft dies auf andere in Anführungszeichen gesetzte Begriffe zu.
3Kron (1999), S. 263. bzw. S. 248 – 290; vgl. dazu auch die Struktur der Pädagogik nach Dieter Lenzen in Gudjons (2003), S. 22 – 23 bzw. S. 30 – 68.
4vgl. dazu Gudjons (2003), Kron (2001), Kron (1999), König, Zedler (2002) und Krüger (2002) als Referenzliteratur.
5siehe auch http://www.uni-lueneburg.de/einricht/erlpaed/verlag_shop.htm#wegbereiter; Stand 06. November 2006. Die Reihe wird herausgegeben vom Verlag edition erlebnispädagogik.
6Duden (1996), S. 490.
7Ein kleiner Auszug: Neurolinguistisches Programmieren, Themenzentrierte Interaktion, Ansätze der (sozialen) Systemtheorie, Kognitivismus. Gestalttherapie, Entwicklungspsychologisches Modell von Piaget, Kohlberg, Erikson, soziologische Theorien von Parson und Mead, Gesellschaftstheorien von Beck (Risikogesellschaft) und Schulze (Erlebnisgesellschaft), Theorien der Personalentwicklung und Betriebswirtschaft, spirituelle Ansätze wie Schamanismus uvm.
8vgl. Meier-Gantenbein (2000), S. 31. Meier-Gantenbein setzt den Beginn der „modernen Erlebnispädagogik“ bzw. den Anfang der Diskussion in der Fachliteratur konkret mit dem Jahr 1984 an. In anderen Publikationen wird „von einem Anfang in den 80ern“ gesprochen.
9Dieses wissenschaftstheoretische Fundament schwingt zumindest in Form von „Haltungen, Ein- und Ansichten, Formulierungen und Leitbegriffen“ mit, ist allerdings oft nicht explizit ausgewiesen. Diese Bezüge herzustellen und nachzuweisen ist Aufgabe einer wissenschaftlichen Arbeit. Vgl. dazu Kron, Friedrich (1999).
10Heckmair, Michl (2002), S. 267.
1. Ochsentour Definitionen und Grundwortschatz
In diesem Kapitel soll ein erster Überblick gegeben werden. Wie in der Einleitung schon ausführlich dargestellt, handelt es sich bei der Erlebnispädagogik um ein sehr heterogenes Gebilde und dementsprechend ist der Versuch, in einem Kapitel einen Überblick zu geben, schon zum Scheitern verurteilt. Allerdings ist es durchaus möglich, einen ersten Einblick zu gewähren. Dabei wird folgendermaßen vorgegangen: Im ersten Abschnitt werden einige Definitionen vorgestellt, die in ihrer Gesamtheit eine Beschreibung der Erlebnispädagogik aus verschiedenen Blickwinkeln ergeben. Damit ist ein erster Überblick gewonnen. Im zweiten Abschnitt wird aus diesen Definitionen ein „Grundwortschatz“ generiert und somit werden relevante „Leitbegriffe“ erfasst. Im letzten Abschnitt wird noch kurz auf die Frage „Wissenschaft, Verfahren, Methode oder pädagogische Grundhaltung“ eingegangen.
1.1 Definitionen in der Erlebnispädagogik (Auswahl)
Definition ist der Prozess der inhaltlichen Klärung eines Begriffs durch Angaben seiner wesentlichen Merkmale . 11
Da in der Erlebnispädagogik eine enorme Anzahl von Ansätzen und Theorien anzutreffen ist 12 , erscheint eine Annäherung an das Phänomen Erlebnispädagogik bzw. der verwendeten Begriffe über die im Laufe der Zeit veröffentlichten Definitionen sinnvoll. Dabei kann man allerdings nicht von einergültigen Definition ausgehen, sondern auch hier ergibt sich ein heterogenes Bild. Dementsprechend werden in diesem Kapitel mehrere Definitionen angeführt und alle zusammen sollen einen ersten Eindruck über die „Erlebnispädagogik“ vermitteln. Die „Moderne Erlebnispädagogik“ kommt in den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern zur Anwendung: von der Sozialarbeit, der Erziehungshilfe über die (schulische) Erziehung bis hin zur betrieblichen Fort- und Weiterbildung. Dementsprechend spiegeln die Definitionen die speziellen Anforderungen dieser Arbeitsfelder wider.
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