Viertens:Die verschiedenen Führungsrollen erkennen und dosiert ausfüllen
Mit den verschiedenen Aufgaben und Situationen des Alltags sind verschiedene Führungsrollen verbunden, so etwa beim Vereinbaren von Zielen, beim Auswerten von Ergebnissen, bei Konfliktinterventionen, im persönlichen Mitarbeitergespräch, usw. Führen erfordert ein gutes Maß an Rollenbewusstsein und -flexibilität. Hinter jeder Rolle muss dennoch die Führungsperson als Mensch erkennbar und spürbar sein.
Fünftens:Mich selbst so führen, dass die Kriterien eins bis vier zum Tragen kommen Wer führt, muss sich selbst gegenüber Sorge tragen. Der Führungsauftrag ist immer auch der Auftrag, sich (beim Führen) zu entwickeln, an Schwierigkeiten zu wachsen, zur eigenen Mitte zu finden, bei sich zu sein. Dies ist kein Egotrip, sondern die Voraussetzung dafür, auch andere in ihrer Entwicklung stärken zu können. Dazu noch eine radikale Aussage: Führen ist nicht primär die Ausübung von Macht, sondern: Ermächtigung anderer (neudeutsch: Empowerment).
Schließen möchte ich diesen Beitrag mit einigen Bemerkungen zum Selbstgebrauch der Krpg. Tatsächlich war meine Anmeldung zu diesem Lehrgang (1997) vor allem vom Wunsch bestimmt, mich in einem für mich ungewohnten Setting neuen Erfahrungen mit dem Lernen und mit mir selbst auszusetzen. Ungewohnt waren die Menschen, denen ich begegnete; die Situationen draußen und drinnen; die Arbeitsweisen und Lebenstechniken; die Erlebnisse, die mich bis zu Grenzerfahrungen hinführten (z. B. im Boot auf dem Meer).
Mein Lernen in diesem Lehrgang war also primär dem Selbstgebrauch zugedacht, meinem Lebensalter entsprechend keine Vorbereitung auf neue Berufsaufgaben, dennoch das beherzte Wagnis eines neuen Anfangs. Dieses Anfangserlebnis, von Tag zu Tag, von Situation zu Situation, war wohl der größte Gewinn, den ich aus dem Lehrgang zog. Erfinderisch leben im Zeichen von Wandel und Vergänglichkeit! Mit dem, was geschieht, leben und arbeiten. Meinen 1001 Vorverständnissen und Vorurteilen entkommen. Die ganze dichte Präsenz der Menschen, der Dinge, der Natur genießen und gegebenenfalls auch erleiden.
So weiß ich jetzt: Kreativ-rituelle Prozessgestaltung kann meinen Alltag befruchten und verändern, wo auch immer und wie auch immer, in der Essenz, in den Grundhaltungen und natürlich auch in einzelnen Methoden. Kleines Beispiel dafür: Wenn ich den Ablauf meiner täglichen Lebenshandlungen, vom ersten Aufstehen bis zur Vorbereitung der Nachtruhe als rituelle Gestaltung auffasse und begleite, entwickelt mein Leben eine höhere Schwingungsfrequenz und Wachheit. Ich erliege dann weniger der Macht meiner Gewohnheiten, den Wiederholungszwängen, den eingespielten Mustern meiner Selbstbegrenzung. So bleibt mir (will‘s hoffen!) einiges von den Trostlosigkeiten erspart, die sich mit dem Älterwerden so oft einschleichen.
Es geht ums Verbundensein! Mich immer wieder verbinden mit dem Leben, das gerade geschieht; mit den guten Kräften; mit der Gnade in jedem Einatmen und Ausatmen. Etwa so kann ich den Auftrag zusammenfassen, den mir dieser Lehrgang mitgab. Ein Auftrag mir selbst und anderen gegenüber. Rose Ausländer, die Dichterin, hat den Auftrag wie folgt in Sprache gegossen: Was du noch nicht warst/ wirst du einmal sein /Nichts bleibt dir erspart/im unendlichen Wandel / Sei was du jetzt bist/ein Mensch.
Edmond Tondeur
Jahrgang 1931, lebt in Zürich (Schweiz)
Bisher: Kaufmännische Ausbildung, zehn Berufsjahre in Werbung und Marketing, Sozialarbeiter bei Pro Juventute, autodidaktische Weiterbildung in Sozial- und Humanwissenschaften, nebenbei freier Journalist und Publizist; ab 1965 selbstständiger Unternehmensberater; 1980 dreijähriges Timeout; anschließend Entwicklungsprozesse in Nonprofitorganisationen begleiten; seit 1985 Berater und Begleiter von Führungspersonen, Führungsgremien, Arbeitsteams; seit 1995 Beschäftigung mit den Themen „Neues Altern“, Reife, Lebenswandel; mehrjährige Ausbildung in Astrologischer Psychologie
Derzeit: Lebens-Wandel-Beratung für Menschen jeder Altersstufe; ‚Erfinderisch leben im Zeichen von Vergänglichkeit‘.
Homepage: www.lebenswandel.ch
E-Mail: tondeur.e@bluewin.ch
Von der Offenheit für das Geheimnis
Robert Hepp, Susanne Doebel
Robert:Wir hatten uns zu einem Trekking in der Wüste entschlossen. Am Morgen des zweiten Tages stellten wir der Gruppe die Aufgabe, die das Vertrauen zueinander und zur natürlichen Umgebung Wüste Sinai stärken sollte. Vor uns lag eine unbekannte und weglose Passage durch ein Wadi (Bergschlucht) hinauf auf eine Hochebene, zu einer kleinen Oase – circa drei Stunden Gehzeit. Die Gruppe hatte eine Stunde Vorbereitungszeit für die selbstverantwortliche Gestaltung dieses Abschnittes. Es sollte eine Leitungsperson installiert werden, ein vorbereitetes Kurzreferat zur dortigen Geologie platziert werden, Lunch und Trinkwasser organisiert sein, und sie sollten den Beduinenguide als Orientierungsressource einbeziehen. Der Titel dieser kleinen Reise hieß „Weg unseres Vertrauens“.
Alles verlief nach Plan: die Vorbereitungen, der Anstieg, der Vortrag, der Lunch, sogar das Erreichen des geografischen Ziels nach vier Stunden. Nur offensichtlich war das der Gruppe so nicht genug. Sie fühlten sich anscheinend unterfordert, vielleicht hielten sie den Auftrag für nicht erfüllt, war der Weg unseres Vertrauens noch nicht zu Ende oder stimmten die Vorstellungen und Bilder, die im Vorfeld entstanden waren, nicht mit dem Ergebnis überein.
„Wo stehen wir? Ich meine, was machen die da? Ich verstehe nicht, was hier passiert. Wo wollen sie hin? Ich habe den Eindruck, hier inszeniert sich etwas, was ich nicht kenne. Warum tun sie das?“, fragend schauten wir uns an, als wir, eine Zeit nach der Gruppe das Ziel erreichten und Folgendes beobachteten:
Sie gehen in einer Schlange hintereinander her, die Hände auf den Schultern des Vordermanns, alle bis auf den Ersten haben verbundene Augen und in einer eigentümlich wirkenden Rhythmik hört man Rufe wie „Stein links“, „großer Stein rechts“, „Steine rechts“ usw. Das alles geschieht mitten in der steinigen Hochgebirgswüste im Sinai. Sozialpädagogen, Jugendhelfer, Kommunikationstrainer, ein Matrose, deren Ziel es ist, als zukünftige Erlebnispädagogen mit anderen Menschen zu arbeiten. Wir werden der Reise dieses fast blinden und ängstlichen 22-Füsslers durch die Steinwüste mit unseren Blicken folgen. Man würde ihn noch weit hören können, Verlustängste kommen da nicht auf. Wie lange mag das wohl noch dauern? Die Sonne geht bald unter, das Abendessen wird gerade von den Beduinen vorbereitet und wir, das Leitungsteam dieser erlebnispädagogischen Zusatzausbildung, wollen eigentlich noch eine zusammenfassende Reflexion zu diesem Tag durchführen. „Vorsicht, großer Stein rechts!“ „Steine links“ …
„Mir reicht es jetzt! Ich finde das anstrengend und nervend!“
Das hört sich nach einer Erlösung für alle an.
„Ich denke, wir sollten das jetzt durchziehen, damit jeder mal vorne war.“
Vielleicht sollten wir doch intervenieren und dem Ganzen ein Ende bereiten, sonst passiert noch etwas. Es ist paradox, genau das wollen wir ja eigentlich, dass etwas passiert! Also lassen wir den Wurm weiterkriechen, auch wenn wir nicht verstehen.
Es dauerte noch eine Weile, bis sich die Rebellion durchsetzte und das „Tier“ zum Stehen kam. Der unbekannte Abschnitt bis zu dieser Oase lief für die Gruppe reibungslos, die vertraute und ohne unseren Auftrag angehängte Übung führte zu Chaos und Streit. Die selbst auferlegte Reflexionsrunde fand im direkten Anschluss statt und war eine Tortur für die Gruppe, aber sie konnten lange kein Ende finden.
Читать дальше