Es bedeutete nichts Gutes, wenn dieser Typ völlig sicher war, das Darlehen von ihm zurückzukriegen. Egal, welche Höhe es erreichte.
»Rücken die auch die Rohdaten, für die Weiterverwendung im Medisarg an Bord raus, oder nur die Analysen?«, fragte Nance und vermied es, Glenn anzusehen.
»Ein Baby«, stammelte er. In seinem Bauch schien es vor lebendigen Mehlwürmern zu wimmeln. Vermutlich leuchtete sein Gesicht mittlerweile grün. »Unser Medisarg bräuchte dann auch ein Update. Schwangerschaften sind definitiv nicht im Basispaket drin …«
»Wie gesagt, ich geh von Bord. Wenn du willst.« Nance hob die Schultern.
Sie war so jung. Wie kam sie dazu, sich zu schwängern? Ob Lena, Dan oder Tian schon Bescheid wussten? Zumindest würde das erklären, warum alle so unheimlich beschäftigt gewesen waren, als er aufbrechen wollte.
»Ich bin der Letzte, der das erfährt, oder?«, fragte er und seufzte. »Was sagen die anderen denn?«
»Lena sagt, es sei deine Entscheidung, ob du Kinder an Bord willst. Dan denkt, wir könnten einen der Gemeinschaftsräume zum Spielraum umgestalten. Er hat irgendwas von Hologrammbildern erzählt«, sagte sie und grinste plötzlich verschmitzt. »Und Tian meinte, er hoffe auf Drillinge.«
»Drillinge?« Der Allgang drohte mittlerweile, ihn von den Füßen zu werfen.
»Ich hab drei befruchten lassen. Die schlagen ja nicht immer alle an.«
Zum Allwal mit ihr. Seine Beinmuskulatur fühlte sich an, als bestünde sie aus Algenpaste. Wieso hatte sie sich in den Kopf gesetzt, jetzt Kinder zu kriegen? Musste irgendein Hormondings sein. Vermutlich hätte er bei der Anschaffung des Medisargs nicht so knauserig sein sollen. Das rächte sich jetzt.
»Also wegen der Behandlung …«, stammelte er. Verdammt. Schwanger werden sollte schwieriger sein. »Das wird teuer.«
Nance lächelte. »Na, das ist ja wohl Kleinvieh. Dank des Finderlohns für den Wissensch…« Sie sah zu dem Händler und räusperte sich. »Also mein Anteil am letzten Lohn für unsere … ähm … überaus ehrliche Arbeit. Der reicht, um nicht nur Kinder zu kriegen, sondern auch, sie alltauglich zu machen. Und ich habe ja noch ein paar Jahre Zeit, bevor sie in die Ausbildung müssen.«
»Ich nehme auch personenbezogene Kontodaten auf Kredit«, erklärte der Händler. »Außerdem nehme ich Schiffsausrüstung als Pfand. Bis sie das mit Raka geklärt ha…«
Glenn fuhr zu dem Händler herum. Dans Kontakt hieß Raka? Etwa die berüchtigte Androidin? Das fehlte ihm gerade noch. Von so einer hielten sich anständige Nomaden fern.
»Raka?«, fragte Nance. »Wissen Lena und Dan das? Und Tian erst … Der wird dich umbringen, wenn er hört, dass er seine Kohle erst kriegt, wenn eine Blechbüchse ihm hilft. Du weißt, wie seine Leute über die Dinger denken.«
Der Händler drehte sich um und begann geschäftig, die Chips in der Schublade umzusortieren.
»Von mir aus kann er zu seinen Träumern gehen«, erklärte Glenn. »Ist nicht meine Schuld, wenn die Clans sich aufs Kaffeesatzlesen in Trümmerfeldern versteigen.«
»Lass das lieber keinen von denen hören. Die Nomadenflotten betreiben ernsthafte Archäologie da drin«, warf Nance ein. »Ich hab da mal einen Vortrag zu gehört, der die Verwicklungen einer KI in Vertuschungsprogramme von Konglomeraten und Regierungen aufgedeckt hat.«
»Deren alternative Geschichtsschreibung ist reine Verschwörungstheorie«, erklärte Glenn. »Wir haben gerade echte Probleme zu klären.«
Der Händler zog ein Tuch aus der Hosentasche und wischte damit die Schublade ab. Die Chips lagen genauso, wie vor seiner Sortieraktion. Er sah für Glenns Geschmack allzu zufrieden aus. Kaufleute und Politiker. Es gab keine hinterlistigeren Schauspieler und Lügner im Sonnenlicht.
»Wie sehen die alternativen Zahlungsmodalitäten aus, von denen Dan gesprochen hatte?«, fragte Glenn.
»Ich habe bereits ein Treffen mit Raka für euch ausgemacht.« Der Mann wandte sich ihnen wieder zu und zeigte aus dem Fenster. »Einfach durch den Torbogen auf der anderen Straßenseite. Ist nicht zu verfehlen. Grüßt sie von mir. Eure Einkäufe lass ich euch liefern, sobald sie für eure Finanzen bürgt.«
Anscheinend gab es da, zumindest dem Händler nach, nicht mehr viel zu klären. Glenn stopfte seine Hände in die Hosentaschen. Er hätte definitiv mit dem Schlimmsten rechnen sollen, als Dan von anderen Zahlungsmodalitäten zu faseln begonnen hatte. Und Tian würde definitiv ausflippen, wenn er erfuhr, dass sie vielleicht mit einer Blechbüchse zusammenarbeiteten.
»Gibt es so etwas, wie eine intrinsische Motivation? Oder entstammt alle Motivation der Umwelt?«
Aus dem Ordner: Erkenntnisse über das Selbst; Erinnerungen des Kollektivs
Der Trommler wartete bereits im Übungsraum auf Kara. Die Trommel mit dem Fellbezug stand zu seinen Füßen, wie ein vergessenes Gepäckstück. Sie kam pünktlich. Wieso sah er aus, als warte er schon seit Ewigkeiten auf sie?
»Bin ich zu spät?«, fragte sie zögerlich und kam sich in dem ansonsten leeren Raum verloren vor. Alles hier drin war grau. Der Boden, die Wände, sogar der Anzug des Trommlers. Seine dunklen Augen fixierten sie, doch sein blasses Gesicht blieb reglos.
»Ich muss mich noch aufwärmen«, sagte sie, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte.
Eine leichte Vibration verriet die Nähe zu einem der Maschinenräume, die das Habitat am Leben hielten. Sie zog ihre Laufschuhe aus, schlüpfte in die biegsamen Schläppchen und versuchte, den Mann, der sie wortlos beobachtete, zu ignorieren. Kam der sich nicht seltsam vor, so zu starren?
»Also«, begann sie, nur um die Stille zu brechen. »Ich kann die Choreografie noch einmal durchtanzen.«
»Die, bei der du gestürzt bist?«, fragte er weich.
Kara versteifte ein wenig. »Ja. Genau die. Soll ich den Sturz mit einbauen?«
Sie grinste über ihren eigenen Witz. Aber das Grinsen fiel ihr aus dem Gesicht, als er sie ohne Reaktion anstarrte. Keine blöden Witze mehr. Der Typ besaß nicht ein Quäntchen Humor.
»Tu, was du für richtig hältst«, sagte er und sie warf ihm einen überraschten Blick zu.
»Das war nicht ernst gemeint«, sagte sie. »Also das mit dem Sturz einbauen.«
»Ich weiß.« Er zeigte zum ersten Mal ein unterkühltes Lächeln. »In deinem Profil steht, du hast noch nie eine Anstellung als Tänzerin bekommen? Wie oft hast du schon irgendwo vorgetanzt?«
Kara wich seinem Blick aus. Solche Fragen gehörten in einem Vorstellungsgespräch dazu. Auch, wenn sie es nicht mochte, über ihre Unzulänglichkeit als Tänzerin zu sprechen. Und sie mochte es auch nicht, zuzugeben, dass sie genau wusste, wie oft sie bereits eine Ablehnung kassiert hatte.
»Schon einige Male.«
»Du weißt die Anzahl nicht?« Er sah überrascht aus. Als stelle ihn die Verarbeitung ihrer Worte vor Schwierigkeiten.
Warum hatte sie gelogen? Die Zahl stand mit Sicherheit im Profil.
»Achtundvierzig«, sagte sie und erntete einen abschätzenden Blick.
»Du bist keine besonders gute Tänzerin.«
Es schien eine Feststellung zu sein. Warum war sie hier? Damit er sich über sie lustig machen konnte? Heißes Blut stieg in ihren Wangen auf.
»Warum tust du nicht etwas anderes?«, fragte er.
»Was soll ich schon tun?« Sie schluckte. Wollte er ihr sagen, dass sie das Tanzen an den Nagel hängen und eine andere Beschäftigung suchen sollte? »Es ist das Einzige, was ich kann.«
»Ich denke, du kannst tun, was du willst. Du könntest sogar eine gute Tänzerin sein. Aber aus irgendeinem Grund hast du dich dagegen entschieden.« Er runzelte die Stirn. »Warum?«
»Warum ich mich dagegen entschieden habe, eine bessere Tänzerin zu sein?«, wiederholte sie. Der wollte sie veräppeln. Vermutlich hatte er sie nicht zum Tanzen, sondern zu seiner persönlichen Belustigung hierher bestellt. »Offensichtlich, weil ich es nicht besser kann. Ich übe jeden Tag. Ich strenge mich an. Ich versuche es. Mehr kann ich nicht tun.«
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