»Was ist mit Kroll?«, fragte er und streckte seinen Rücken, so gut es in den Gurten ging. Etwas knackte an seiner oberen Wirbelsäule und er erstarrte. Genickbruch hatte sie gesagt. Vielleicht sollte er noch etwas Vorsicht walten lassen.
»Ich habe den Wissenschaftler auf Eis gelegt.« Sie schwebte neben den Medisarg, als bewege sie sich mit reiner Willenskraft fort. Ohne Kommentar begann sie seine Gurte zu öffnen und wich seinem Blick aus. Die schwarzen Riemen surrten zurück ins Gehäuse des Medisargs, sobald sie eine Schnalle geöffnet hatte.
»Du hast Kroll eingefroren?«, fragte er und richtete sich auf. Sein linker Arm wurde zurückgerissen. Er spähte zur Seite auf einen Gurt, der ihn noch immer gefangen hielt.
»Wieso legst du unseren Gast auf Eis?« Seine Worte schnitten die Luft. »Du weißt, dass wir für ihn bezahlt werden. Was glaubst du, wird der Bruder uns pfeifen, wenn wir ihm beschädigte Ware liefern?«
»Er hatte einen Schlaganfall. Vermutlich durch die Belastung in der Beschleunigung. Und unser Medisarg war bereits besetzt.« Sie drehte sich so in der Luft, dass sie über ihm schwebte. Ihre dunklen Augen sahen an ihm vorbei zum Gurt an seinem Arm, den sie aufschnappen ließ.
Ihre Nähe verursachte ihm eine Gänsehaut. Seine Haut kribbelte, als die Armhärchen sich aufstellten.
»Wir könnten ein Krankenhaus in Amarok aufsuchen«, schlug sie vor. »Die haben die besten Krankenhäuser des Sednagürtels dort.«
»Stimmt schon«, sagte er. »Die kriegen völlig zu Brei zermatschte Nomaden wieder hin. Auftauen ist für die ein Klacks. Aber wir brauchen das Geld vom Auftrag, um das zu bezahlen. Unsere Kuben reichen nicht einmal, um am nächsten Hafen die Luftfilter auszutauschen und die Nährstoffkartuschen aufzufüllen.«
»Ist das Geld wirklich so knapp?« Lena verschränkte die Arme und hob eine Augenbraue. Doch in ihrer Gestik lag eine ungewohnte Unsicherheit. Warum war sie überhaupt hier? Er brauchte kein Kindermädchen beim Aufwachen. Die Gurte, von denen sie ihn so gewissenhaft befreite, ließen sich per Stimmbefehl öffnen. Sie schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf. Die Bewegung ließ ihre Löckchen wippen.
»Du wirst den Auftraggeber anfunken und darum bitten müssen, dass er Frostfleisch nimmt«, sagte sie. »Gib ihm einen Rabatt als Entschädigung.«
»Rabatt?« Er stieß sich vorsichtig von seiner Unterlage ab und driftete in ihre Richtung. Das Krankenhemdchen klebte an seinem Rücken. »Er wollte seinen Bruder. Wir geben ihm seinen Bruder. Niemand hat gesagt, dass der noch atmen muss. Bei mir gibt’s keinen Rabatt!«
»Das wird sich schlecht in unserer Reputation machen.« Lena presste die Lippen zusammen. »Wir könnten einen Kredit aufnehmen, um das Krankenhaus zu bezahlen.«
»Diese Halsabschneider sehen von mir keinen Kub. Das ist deren Masche, um unser Schiff zu enteignen. Kommt gar nicht in …«
Er befeuchtete seine Lippen. Eigentlich war das keine schlechte Idee. Er musste sein Glück ja nicht bei einer Bank versuchen, die ihn vermutlich lieber an Lehrsinn-Bode verkaufte und sein Schiff einsackte, als Zinsen und Sicherheiten zu nehmen.
»Ich werde Dan mal fragen. Der kennt ja immer irgendwen.«
Lena sah ihn stirnrunzelnd an. »Wirklich? Dans dubiose Kontakte?«
»Willst du für immer mit Frostfleisch im Lager durch die Gegend fliegen?« Er winkte ab. »Hat Tian irgendwas zu unserer gelungenen Flucht gesagt? Ist bestimmt ‘ne tolle Geschichte.«
»War anscheinend erstaunlich einfach, mit dem Shuttle aus dem Hangar zu entkommen.«
»Einfach?«, fragte er und sah sie ungläubig an.
»Es hätte euch nicht möglich sein sollen, einfach ein Shuttle zu klauen und zu starten«, antwortete sie.
»Ich weiß ja nicht, was Tian erzählt hat. Aber ich wurde immerhin angeschossen« Glenn zeigte auf sein Bein und dann auf seinen Nacken. »Und ich hab mir das Genick gebrochen.«
»Das war ich.« Sie räusperte sich und sah zu Boden. »Ich hab euch zu schnell eingesammelt. Nur Tian hat das Manöver überlebt.«
»Du hast mich und Kroll umgebracht? Deinetwegen müssen wir Frostfleisch abgeben?«, fragte er. »Welcher Schatten hat dich geritten, so ein gefährliches Flugmanöver abzuziehen?«
Ihre Augen weiteten sich. »Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Die Konglos haben eure Fähre zerschossen. Und da dachte ich, bevor die euch kriegen, nehme ich lieber Knochenbrüche in Kauf. Es tut mir so leid, Glenn. Unter den Umständen ging es nicht anders. Wenn ich dich nicht verlieren wollte!«
Schuldgefühle. Deshalb begrüßte sie ihn hier beim Aufwachen. Es tat ihm leid, dass er sie angefahren hatte, und er wünschte, sie hätte ihm nach dem Aufwachen einen Moment der Ruhe gegönnt. Er stellte sich vor, sie zu umarmen.
»Wir atmen alle noch. Also ist alles in Ordnung.«
»Kroll nicht«, sagte sie leise. »Es tut mir leid.«
Er seufzte. Sein Gehirn hätte für so eine Unterhaltung mehr Schlaf gebraucht. Er fühlte sich immer noch müde vom Heilungsprozess und dieser verdammte Metallgeschmack hing in seinem Mundraum, wie der Parfümgestank nach einem Puffbesuch.
»Wie habt ihr uns überhaupt gefunden?«
»Der Funkspruch, den wir gekriegt haben.« Ihre Mundwinkel zuckten.
»Was für ein Funkspruch?« Glenn hielt sich an einem Griff an der Decke fest und brachte sich in eine Position, die es ihm erlaubte, seiner Navigatorin direkt ins Gesicht zu sehen.
»Die Konglos haben in deinem Namen um Hilfe gebeten. Wir wussten gleich, dass ihr das nicht sein konntet.«
»Ja, so schnell rufe ich nicht nach Hilfe«, sagte er.
Sie bedachte ihn mit einem abschätzenden Blick. »Die haben viel zu höflich gebeten.«
»Evolution ist doch nichts anderes, als die Akkumulation nicht letaler Fehler. Fehler, die sich unter bestimmten Umständen als Vorteile herausstellen können.«
Aus dem Ordner: Diskussionen mit dem Selbst; Erinnerungen des Kollektivs
Irgendein Inneneinrichter hatte es für eine gute Idee gehalten, einen der größten Übungsräume im Haupthabitat des Zwergplaneten Inua schwarz zu lackieren. Eine Deckenleuchte warf einen Lichtkegel in die Mitte des Raums, der nicht bis an die Wände reichte. Das gab dem Raum zugleich etwas Beengendes und das Gefühl der Freiheit von jeglichen Begrenzungen. Die Wände hoben sich nicht von dem sie umgebenden Dunkel ab und schienen sich vor Karas Augen aufzulösen.
Sie blieb an der Türschwelle stehen. Selbst der graue Flur kam ihr gegen die Schwärze da drin hell und einladend vor. Nur ein bleicher Mann im grauen Anzug und eine Inderin im schwarzen Sari füllten die Leere zwischen den dunklen Wänden. Sie saßen am Rand des Lichtkegels auf großen Kissen. Die Hände des Mannes ruhten auf einer mit Fell bespannten Trommel, die zwischen seinen Oberschenkeln klemmte. Die Frau stellte ihre Teeschale auf einem niedrigen Holztisch ab. Dampf entstieg einer Glaskanne daneben. Schatten verbargen die Augen der beiden tief in ihren Höhlen.
Kara trat mit einem großen Schritt in den Raum. Ohne sie aus den Augen zu lassen, schlug der Trommler einen monotonen Rhythmus an. Die Inderin starrte geradeaus, als hätte sie nicht bemerkt, dass jemand eingetreten war. Kara straffte die Schultern, setzte ihr Tänzerlächeln auf und ging in die Mitte des Raumes. Sie unterwarf sich nicht zum ersten Mal den richtenden Blicken anderer bei einem Vortanzen. Und falls sie es heute nicht schaffte, diese Leute mit einer vollendeten Leistung zu überzeugen, würde es nicht das letzte Mal sein. Es kam ihr vor, als steckte sie in einer Schleife aus endlosen Versuchen und dem dazugehörigen Versagen fest. Immer wieder unterliefen ihr Fehler. Mal streckte sie das Bein nicht genügend. Mal fiel ihre Haltung zusammen. Mal kam sie aus dem Takt. Mal vergaß sie die Choreografie. Einmal war sie gestürzt. Die Erinnerung daran brachte sie nachts um den Schlaf.
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