Ich schlich über die Terrasse und sprang dann auf die Bank, um mich in Sophias Nähe ein wenig auszuruhen. Auch wenn dicke Mauern dazwischen waren, spürte ich sie deutlich.
Weil mich ein weißes Päckchen, das auf der Bank lag, störte, stieß ich es kurzerpfote auf den Boden. Da verschwand es hinter den Gartenschuhen, die Sophias Mutter immer unter die Bank stellte. Ich würde das Päckchen morgen wieder hervorholen, wenn ich es nicht vergessen sollte. Es handelte sich nämlich um das Päckchen, von dem Sophia vermutete, es enthielte ein Geschenk von Johann für sie. Also hatte sie noch nicht darüber mit Johann gesprochen oder aber es war nichts Wichtiges darin und die beiden konnten es auf der Bank liegen lassen. Wie auch immer, mich störte es im Moment.
Ich gab mich meinen liebsten Träumen hin, in denen es sich um Aluschälchen vom Feinsten handelte. In der Folge schneite es mit einem Mal Speckwürfel, abgelöst von handtellergroßen Käsescheibchen. Dann aber trat dieser katzenhafte Traum in den Hintergrund und ich sah mich in einer Auseinandersetzung mit Katzen, die mir mein Revier streitig machen wollten. Sie hatten Riesenglocken um den Hals an einem grellroten Band und versuchten, mich mit dem Lärm einzuschüchtern. Großkatze sei Dank erwachte ich aus dem schrecklichen Traum. Ich tastete nach Sophias Geschenk. Das Halsband war noch an Ort und Stelle. Nicht, dass es mir etwas ausgemacht hätte, wenn es nicht mehr dagewesen wäre. Im Gegenteil. Es war einfach nur ein Reflex aufgrund des Katzentraums. Ich musste mir unbedingt etwas einfallen lassen, wenn mich das Halsband schon im Traum verfolgte.
Der geräuschvolle Traum kam jedoch nicht von ungefähr bzw. aus der innerlichen Ablehnung des Halsbandes. Es war etwas im Busch. Mein Traum war Vorbote einer versuchten Attacke der Rucksackdiebe. Traum und Wirklichkeit wurden miteinander verwoben.
Zweiter Teil oder die Welt wird unruhig
Es wird laut in der Nacht
Leider war es kein richtiger Traum gewesen, sondern ein Halbtraum mit realen Elementen, wie ich präzisieren muss. Bei Sophia klingelte jemand Sturm. Sofort dachte ich an Sophias Vater und die sturmfreie Bude. Dann hörte ich, fast noch im Halbschlaf, vor der Haustür jemanden rufen: „Macht sofort auf oder wir kommen rein!“
Das war nicht die Stimme ihres Vaters. Die kenne ich genau. Außerdem haben die Eltern ja Schlüssel und müssen nicht klingeln. Die Stimme erinnerte mich an etwas. Ich überlegte, war allerdings noch nicht ganz in die Wirklichkeit eingetreten. Ich hatte allerdings das Gefühl, dass mich etwas eher Feindliches, wenn katze es so ausdrücken möchte, einholte. Resultierte dieses Gefühl aus dem Klang der Stimme oder aus der Bedrohlichkeit des Traums? Ich hatte keine Zeit, darüber länger nachzudenken. Meine mir angeborene Neugierde, die gleichsam ein Schutz vor ungewollten Überraschungen ist, trieb mich an bzw. von der Bank.
Ich sprang auf die Fensterbank zu Sophias Zimmer. Die Rollläden waren runtergelassen, aber das Fenster war geöffnet. So hörte ich deutlich, wie Sophia angstvoll flüsterte: „Johann, wach auf, da ist jemand an der Tür, hörst du?“
„Was ist los?“ Johanns Stimme hörte man an, dass er noch im Halbschlaf war. „Sind deine Eltern zurück?“
„Jemand hat geklingelt und gebrüllt, wir sollten rauskommen. Hast du das nicht gehört?“ Ihre Stimme zitterte angstvoll.
„Macht endlich auf“, schallte es wieder von der Eingangstür her, „sonst kommen wir so rein. Und dann könnt ihr etwas erleben.“
Ich kannte die Stimme hundertprozentig irgendwoher. Mir wurde immer klarer, dass ich mit der Stimme etwas Unerfreuliches verband. Es war nicht der Katzentraum mit dem Klingeln der Halsglocken gewesen, der noch an mir nagte und mich verunsicherte. Umgekehrt, es waren die bösartige Stimme und das Klingeln an der Haustüre, die sich in meinen Traum geschlichen hatten. Aber was sagte mir die Stimme nur? Woher kannte ich sie? Ich musste der Sache auf den Grund gehen.
Ich sprang in einem Satz von der Fensterbank runter in den Garten. Vorsichtig schlich ich um das Haus herum Richtung Haustür, um zu sehen, wer in der Nacht die Frechheit besaß, uns aus den Träumen zu reißen. Mein Aluschälchentraum, angereichert um Speckwürfel und Käsescheiben, ist nämlich einer meiner Lieblingsträume.
In exakt dem Moment, in dem ich einen Blick auf die klingelnden Störenfriede werfen konnte – es waren zwei Halunken an der Tür –, öffnete sich ein Fenster in der Nachbarschaft und ein Mann rief lauthals: „Was soll die Brüllerei in der Nacht? Verschwindet augenblicklich oder ich rufe die Polizei!“
„Halt die Klappe, alter Mann“, antwortete einer der beiden Typen an der Tür.
„Die Welt wird immer schlechter“, kam es als Antwort zurück. Das Fenster schloss sich und es trat eine Totenstille ein. Der Nachbar, der neben der Familie wohnt, die mich immer Laila nennt – Achtung: aber nicht der, die mich Katze nennt, denn die wohnt auf der anderen Seite –, hatte sich anscheinend einschüchtern lassen. Das hätte ich nicht vermutet. Er macht immer einen eher resoluten Eindruck. Na ja, man täuscht sich nicht mehr als in Menschen. Woher ich diese Weisheit habe, weiß ich nicht. Sie schien sich aber zu bestätigen. Schien!
„Lass uns abhauen. Der Alte macht sonst noch Ernst und ruft die Polizei“, flüsterte einer der beiden Typen dem anderen zu. Ich konnte es deutlich verstehen.
In dem Moment erkannte ich sie. Das waren die Kerle, die Johanns Rucksack geklaut hatten. Klar, es fiel mir wie Milben von den Augen. „Streichelt das Katzenvieh mal schön weiter.“ Das war die Stimme, nach der ich die ganze Zeit gesucht hatte.
„Quatsch, du Feigling“, meinte der andere großspurig und so laut, dass der Nachbar ihn hören musste, „der hat viel zu viel Angst vor der schlechten Welt.“
Bei den letzten Worten kicherte er bösartig. Die Tatsache, dass der Nachbar das Fenster geschlossen hatte, ließ sich wirklich so deuten. Ich selbst war auch davon überzeugt, dass er sich aus Angst zurückgezogen hatte.
Wieder klingelte einer der Diebe und gleichzeitig rief der andere: „Müssen wir euch Beine machen? Wir lassen uns nicht verarschen. Wir scherzen nicht. Macht endlich auf, sonst passiert was.“
Mir wurde übel vor Angst. Es hörte sich wirklich nach einer Drohung und nicht nach einem Scherz an. Wie konnte ich Johann und Sophia nur helfen. Die durften auf keinen Fall die Türe öffnen. Sie waren den beiden Kerlen körperlich nicht gewachsen. Auch Johann nicht, selbst wenn er Sport studierte, was sicher Krafttraining mitbeinhaltete. Und wenn ich dann noch an seine Verfolgung der Diebe am späten Nachmittag dachte, wurde mir die Chancenlosigkeit der beiden gegenüber den Rucksackdieben zunehmend deutlicher.
Im gleichen Moment hörte ich in der Ferne die Polizeisirenen. Großkatze sei Dank. Beim Klang der Sirenen fiel mir ein Stein von meinem Katzenherzen.
Da öffnete der Nachbar mit einem Ruck das Fenster und rief laut und deutlich in die Nacht hinein: „Der alte Mann hält, was er verspricht. Wir Alten lassen uns von Typen wie euch doch nicht in Angst und Schrecken versetzen. Da müsst ihr früher aufstehen, ihr Schlappschwänze.“
Im Hintergrund des mutigen Nachbarn hörte ich ein kaum vernehmbares „Reiz sie nicht, Egon!“
„Pah, die sollen mich kennen lernen. Und wofür gibt es sonst die Polizei?“, war die unüberhörbare Antwort des Nachbarn. Er lehnte sich breit in das offene Fenster. Nicht das geringste Anzeichen von Angst war erkennbar. Eher Triumph. Er hatte den unverschämten Kerlen gezeigt, dass er das wahr macht, was er sagt. Chapeau. Das ist Französisch und bedeutet so viel wie: Hut ab, ein Zeichen der Ehrerbietung.
Die zwei Kerle spurteten zu ihren Rädern, die an eine defekte Straßenlaterne gelehnt waren, schwangen sich darauf und rasten mit heftigem Treten in die Pedale davon, nicht ohne in Richtung des Nachbarn den Stinkefinger zu zeigen. Das war offensichtlich ihre bevorzugte Kommunikatzion. Ich hörte noch ein wütendes: „Das wirst du noch bereuen, alter Mann.“ Dann waren die Kerle verschwunden.
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