3. Juni 2014
Manfred Götzl, Richter. Martin M., 50, Kriminalhauptkommissar aus Köln. Edgar M., 65, Kriminalhauptkommissar aus Köln im Ruhestand. Christina Clemm, Edith Lunnebach, Anwältinnen der Nebenklage.
(Das Gericht beginnt die Beweisaufnahme zu dem Sprengstoffanschlag in der Kölner Probsteigasse im Jahr 2001. Der erste Zeuge hatte damals den Einsatzbericht der Polizei geschrieben.)
Götzl Es geht uns um einen Einsatz vom 19. Januar 2001, Bereich Probsteigasse, Köln.
Martin M. Ich habe, ehrlich gesagt, nicht mehr ganz so viele Erinnerungen. Ich habe mir jetzt noch mal den Einsatzbericht durchgelesen, da ist einiges wiedergekommen. Soweit ich mich erinnern kann, erfolgte der Einsatz unmittelbar zu Dienstbeginn um 7.30 Uhr. Wir wurden informiert, dass es in einem Lebensmittelgeschäft zu einer Explosion gekommen und eine Person verletzt ist. Als wir eingetroffen sind, war es stockdunkel und ziemlich kalt. Die Straße war bereits abgesperrt, die verletzte Person war bereits ins Krankenhaus abtransportiert worden. Angehörige waren noch da und wurden dann aber auch ins Krankenhaus gefahren. Wir haben eine Tatortbegehung gemacht, das war ein Ladenlokal. Es war vorne hin zur Straße, hatte ein großes Schaufenster, da hat man schon Schäden dran erkannt. An das Lokal schloss sich ein weiterer Raum an, es gab auch einen Hinterhof. Im hinteren Aufenthaltsraum waren die schwersten Schäden, da war das Zentrum der Explosion deutlich zu erkennen. In der hinteren Ecke stand ein Schreibtisch oder eine Holzplatte mit Stahlgestell, die Platte ist zerborsten, an der Wand hat man trichterförmige Markierungen gesehen, die auf ein Feuer hingedeutet haben. Aber es war kein klassischer Wohnungsbrand. Wir haben auch eine Metallkiste gesehen. Das stellte sich hinterher raus, das war eine Christstollendose, mit roter Lackierung und weißen Sternen drauf, und ein Teil von einem zerplatzen Druckbehälter.
Götzl Es heißt hier in Ihrem Bericht von damals, im Büroraum sind die massivsten Explosionsschäden zu erkennen. Die Decke sei komplett heruntergefallen.
Martin M. Ja, genau.
Götzl Vom Kühlschrank wurde die Tür herausgeschleudert, heißt es hier.
Martin M. Hm.
Götzl Hatten Sie Kontakt zu der Geschädigten, der Verletzten?
Martin M. Ja, später war ich mal im Krankenhaus und habe eine Anhörung gemacht. Sie war sehr schwer verletzt. Ich kann mich erinnern, dass sie ganz leise und langsam gesprochen hat und offensichtlich noch total geschockt war.
Anwältin Lunnebach War von außen ersichtlich, dass es sich um ein Geschäft von ausländischen Mitbürgern handelte?
Martin M. Nein, es stand sogar ein deutscher Name draußen: Gerd Simon. (Auch der nächste Zeuge hat als Polizist in dem Fall ermittelt.)
Anwältin Clemm Haben Sie für die Polizei den Verfassungsschutz eingebunden?
Edgar M. Ja, wir haben beim Verfassungsschutz nachgefragt, ob die was gehört, gesehen oder etwas mitbekommen haben. Wir haben als Möglichkeit in Betracht gezogen, dass irgendeine iranische Organisation dahinterstand. (Die Besitzer des Ladens, auf den der Anschlag verübt wurde, waren Deutsch-Iraner.)
Anwältin Clemm Haben Sie je in Richtung rechts ermittelt?
Edgar M. Alles, was in Richtung Politik geht, geben wir an den Staatsschutz ab. Weil wir da kein Hintergrundwissen haben. Der Staatsschutz hat uns nichts Wesentliches übermittelt. Wir wären auch froh gewesen, wenn wir die Akte an den Staatsschutz hätten abgeben können. Der Mann war Ausländer. Es hätte von rechts kommen können. Es hätte auch von links kommen können, da sind viele in Köln aktiv.
Anwältin Lunnebach Linke, die gegen Ausländer Anschläge begehen, sind doch eher selten.
Edgar M. Die meisten Sprengstoffanschläge in Köln sind von der linken Seite erfolgt.
Anwältin Clemm Die Machart der Bombe, können Sie dazu etwas sagen?
Edgar M. Ja, wir konnten den Körper gut rekonstruieren. Der Behälter war ein Gasdruckbehälter für Schweißtechnik oder so etwas. Woher die Dose kam, haben wir auch rausgefunden. Das war ein Massenartikel, der zur Weihnachtszeit viel verkauft wurde.
(Dann wird ein Sprengstoffermittler befragt, der die Konstruktion der Bombe im Detail erklärt. Es werden auch etliche Fotos gezeigt. Man sieht Blechsplitter, den zerstörten Laden, zerfetzte Teile einer Karamellbonbon-Tüte, Überreste einer Erdnussflips-Tüte. Kleidung der Verletzten wird gezeigt mit Blutspuren, eine zerstörte Jacke mit eingesprengten Holzsplittern.)
4. Juni 2014
Manfred Götzl, Richter. Daniel Q., 51, Polizeibeamter aus Köln. Elke O., 47, Kriminaloberkommissarin aus Köln. M. M., 32, Chirurgin aus Köln. Wolfgang Heer, Verteidiger von Beate Zschäpe. Mehmet Daimagüler, Edith Lunnebach, Anwälte der Nebenklage.
Götzl Es geht uns um Ermittlungen wegen einer Blechdose, die Sie durchgeführt haben.
Daniel Q. Ich kann mich gut erinnern, weil mich das auch persönlich sehr berührt hat. Ich war am Tatort. Ich hab das Bild der Verwüstung gesehen. Ich war auch im Krankenhaus, ich habe das Mädchen da in der Schwerstverbrennungs-Klinik liegen gesehen, das Bild hat sich in meine Seele eingeprägt, das werde ich nie vergessen. Wir haben hoch motiviert ermittelt, sind jeder Spur nachgegangen, haben jeden Grashalm ergriffen, um den Hintergrund der Tat zu beleuchten. Wir haben das Umfeld der Familie untersucht, wir vermuteten ein persönliches Rachemotiv.
Götzl Und Ihre Ermittlungen zu der Dose?
Daniel Q. Das LKA hatte am Tatort Reste einer Dose gefunden. Über den Barcode habe ich den Hersteller in Rheinland-Pfalz ermittelt. Er war so nett, dass er mich an einem Sonntag empfangen hat und mir zwei bis drei Dosen als Vergleichsstücke übergeben hat. Es war eine größere Blechdose. Ich wusste, dass sich darin eine Bombe befand. Ein Mann hatte Tage vor der Explosion den Laden der iranischen Familie besucht und gesagt, er könne nicht bezahlen, weil er sein Portemonnaie vergessen habe. An sich ein sehr glaubwürdiges Vorgehen, dass man etwas hinterlässt.
Verteidiger Heer Der Zeuge soll nur das bekunden, was er selbst gesehen hat. Er soll keine Einschätzungen zur Sache geben.
Götzl (zum Zeugen) Bitte gehen Sie auf meine Fragen ein. Was waren die Ermittlungen zu der Dose?
Anwältin Lunnebach Die Störung des Zeugen durch die Verteidigung finde ich nicht angemessen. Polizeibeamte dürfen selbstverständlich den Zusammenhang mitteilen. Die Verteidigung will offenbar nicht hören, was da geschehen ist.
Götzl Wenn sich die Gemüter so erhitzen, dann mache ich eine Pause. Also weiter jetzt. Können Sie uns die Dosen beschreiben?
Daniel Q. Ja, circa 40 bis 50 Zentimeter breit, 20 bis 25 Zentimeter tief, 15 Zentimeter hoch. Eine rote Stollendose aus Blech mit weißen Sternen drauf.
Götzl Wie hieß die Firma?
Daniel Q. Kann mich nicht mehr erinnern.
Götzl In Ihrem Vermerk vom 20.1.2001 schrieben Sie: Original Kaiser Backform GmbH. Der Geschäftsführer habe angegeben, dass die Dosen aus China stammen, ein Auslaufmodell, das bis Dezember 2001 vertrieben wurde. Insgesamt wurden 13 000 Dosen vertrieben.
Daniel Q. Ja, wir haben dann viele Geschäfte in Köln aufgesucht.
Götzl Sie haben geschildert, dass Sie die Geschädigte im Krankenhaus aufgesucht haben. In welcher Verfassung war sie?
Daniel Q. Ich war an der Außenschleuse der Klinik, das Opfer lag auf einem Bett, war fast völlig entkleidet, weil die Haut sich regenerieren musste. Das Opfer war verbrannt, aufgedunsen, hatte blutende Verletzungen im Gesicht, an den Unterarmen.
Götzl War das Opfer ansprechbar?
Daniel Q. Nein. Wir wollten mit dem Opfer sprechen, aber es war definitiv nicht ansprechbar. Es sah aus wie ein Stück Grillfleisch, ein Bild des Grauens, es gibt keine passenden Worte. Ich habe in meiner Laufbahn als Polizist wirklich viel Blut, viele Leichen, viel Elend gesehen, dieses Opfer war für mich an der Spitzenposition.
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