Götzl Können Sie etwas über die Folgen für die Eltern sagen?
M. M. Die schlimmste Zeit für meine Eltern war natürlich die Zeit, als ich im Krankenhaus lag. Der Laden war zerstört. Mein Vater hat versucht, ihn wieder aufzubauen. Aber für meine Mutter war es nicht mehr möglich, den Laden zu betreten. Wir mussten dann verkaufen. Ich glaub, den akuten Schaden hätte man noch kompensieren können. Aber wenn die Einnahmen wegfallen, steht man vor dem Nichts.
Götzl Wie waren die Konsequenzen für Ihre Geschwister?
M. M. Es war schwer für sie, ihre Schwester so verletzt zu sehen. Auch dieses Wissen jetzt: Es gibt Menschen, die dich wegen deiner Herkunft umbringen wollen. Wir sind hier aufgewachsen und haben deutsche Freunde, akademische Abschlüsse – und am Ende sieht man im Video nur: »Jetzt wisst ihr, wie wichtig uns der Erhalt der deutschen Nation ist.« Das ist traurig für mich, traurig für meine Familie. Schade.
Anwalt Daimagüler Haben Sie je erwogen, Deutschland zu verlassen?
M. M. Wenn du mitbekommst, du wirst wegen deiner Herkunft so angegriffen, dann ist der erste Gedanke: Was soll ich denn noch hier? Ich hab mir so viel Mühe gegeben, ich bin ein Muster an Integration. Aber das war ja die Absicht dieser Leute. Im Nachhinein habe ich deshalb gedacht: Nein, jetzt erst recht! Ich lass mich mit Sicherheit nicht aus Deutschland rausjagen. (Klatschen auf der Zuschauertri büne.)
5. Juni 2014
Manfred Götzl, Richter. Djawad M., 62, Vater von M. M., früher Kaufmann, derzeit arbeitslos. Soheila M., 58, Mutter von M. M., Buchhalterin. Mashid M., 27, Schwester von M. M., Ingenieursstudentin. Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl, Verteidiger von Beate Zschäpe. Herbert Hedrich, Verteidiger von André Eminger. Edith Lunnebach, Anwältin der Nebenklage, sie vertritt die Familie M.
Djawad M. Es war ein paar Tage vor Weihnachten, so gegen 17 oder 18 Uhr kam ein Herr in meinen Laden. Weißes Hemd, Jeanshose. Er war schmächtig gebaut, hatte lockige Haare, ziemlich lang. Er hatte einen Korb in der Hand und wollte sich ein paar Sachen holen. Es war kurz vor Feierabend, wir waren gerade dabei zu schließen. Er hat eine Runde gedreht und eine Flasche Jack Daniel’s eingepackt und Chips. Es war ein Wert von rund 55 Mark, was er in den Korb gelegt hat. Er kam zur Kasse und sagte, tut mir leid, ich habe mein Portemonnaie vergessen, aber ich wohne hier um die Ecke. Aber ich hatte den Mann noch nie gesehen, wir waren schon lang in der Gegend. Er hat sich ein bisschen komisch verhalten. Er hat noch eine Runde im Laden gedreht und ist dann weggerannt. Wir haben bis 18.30 Uhr gewartet. Dann habe ich geschlossen und den Korb an der Kasse gelassen. Am nächsten Tag habe ich wieder geöffnet, aber der Mann kam nicht. Da haben wir den Korb in unseren Aufenthaltsraum nach hinten gebracht. Am Morgen der Explosion waren wir gerade dabei, den Laden zu richten. Wir haben in der Regel den Laden um sieben Uhr geöffnet. Ich kann nur von Glück sprechen, dass die Explosion stattgefunden hat, bevor die Schulkinder, die regelmäßig bei uns einkauften, in den Laden kamen und so nicht mehr Personen zu Schaden gekommen sind. Unsere Kunden waren in der Regel Deutsche.
Es war ein Riesenknall, sehr laut, ich konnte erst mal nicht einordnen, woher der Knall kommt, ob bei uns oder in der Nachbarschaft. Auf einmal kam meine Frau, sie sagte, es ist bei uns, da hinten war alles dunkel und Rauch, unsere Tochter ist hinten im Raum. Ich bin ins Zimmer gerannt, meine Frau hinterher. Die Haare meiner Tochter waren fast komplett verbrannt, es war dunkel. Dann habe ich meine Tochter aufgehoben und mithilfe meiner Frau zum Auto gebracht. Nach ein paar Minuten kam Feuerwehr, Polizei. Ich nehme an, Nachbarn haben die Polizei alarmiert. Man hat uns verboten, den Laden zu betreten. Meine Tochter wurde in einen Krankenwagen gelegt, die jüngste Tochter mit einem Streifenwagen abgeholt. Meine Frau und ich standen einfach hilflos da und wussten nicht, was wir tun können. Danach fingen polizeiliche Vernehmungen an, bis 14, 15 Uhr, dann sind wir ins Krankenhaus gefahren.
Götzl Unmittelbar nach der Explosion, konnten Sie da noch mit Ihrer Tochter reden?
Djawad M. Sie hat nur gesagt: Passt auf euch auf.
Götzl War sie bewusstlos?
Djawad M. Nein, komplett bewusstlos war sie nicht. Aber sie war in einem sehr schlechten Zustand.
(Neben Djawad M. sitzt seine Anwältin Edith Lunnebach, sie ist dadurch nur wenige Meter von der Anklagebank entfernt.)
Verteidiger Heer Es ist mir nicht möglich, mit meiner Mandantin vertraulich zu kommunizieren. Frau Lunnebach kriegt jedes Wort mit.
Götzl (zu Lunnebach) Setzen Sie sich bitte um.
Anwältin Lunnebach Sie überschätzen meine Lauschfähigkeiten.
(Lunnebach setzt sich auf die andere Seite ihres Mandanten.)
Götzl Damit wir wieder den Faden aufnehmen können. (Götzl richtet sich an Djawad M.) Sind Sie damals aus dem Geschäft hinausgegangen, als der Mann wegging?
Djawad M. Ich bin ihm nicht hinterhergerannt. Aber sein Verhalten war verdächtig, deshalb bin ich ich aus der Ladentür getreten und habe ihm hinterhergesehen. Er ist weggerannt und dann nach rechts abgebogen.
Götzl Was bedeutet verdächtig?
Djawad M. Ich sah den Mann zum ersten Mal, es war nicht normal, wie er sich verhalten hat. Das hat mich nachdenklich gemacht. Kurze Zeit habe ich überlegt, ob ich ihm die Ware gebe und er soll später das Geld bringen. Aber er bestand darauf, dass er gleich wieder kommt, weil er um die Ecke wohnt. Nein, nein, das lass ich hier, das lass ich hier, sagte er. Ich komm gleich wieder.
Götzl Wir kommen zu den Konsequenzen für Ihre Familie und Ihre Tochter. Wie ging es für Sie weiter?
Djawad M. Wir sind als politische Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, um Schutz zu suchen, um in Frieden und Freiheit zu leben. Wir hatten mit niemand Probleme in Deutschland, wir waren sehr beliebt in der Gegend, wir haben sehr viel Anteilnahme von den Anwohnern erfahren. Sie haben uns nahegelegt, dass wir unsere Arbeit fortsetzen nach diesem Ereignis. Aber meine Frau war nicht in der Lage, den Laden oder die Gegend zu betreten. Sie hat das vermieden. Ich bin im Nachhinein sehr froh, dass dieser Schaden nicht andere, unbeteiligte Menschen getroffen hat, sondern nur uns.
Verteidiger Hedrich Sie haben als zeitlichen Bezugspunkt für das Abstellen des Korbes das Wort Weihnachten benutzt. Was meinen Sie genau mit Weihnachten?
Djawad M. Ich habe Ihre Frage nicht verstanden.
Verteidiger Hedrich Ich versuch’s noch mal.
Djawad M. Ich rechne nach unserem Sonnenkalender. Es war auf jeden Fall noch kein Weihnachten.
Verteidiger Hedrich Welches Datum verbinden Sie mit dem Wort Weihnachten?
Djawad M. Also ich arbeite überwiegend mit unserem Sonnenkalender, ich kenne mich nicht so richtig aus. Ich glaube, ein paar Tage vor dem 24.12. muss das gewesen sein.
Götzl Sie müssen nicht lachen, Herr Rechtsanwalt. Sie haben jetzt fünf Mal gefragt, Sie haben gesehen, der Zeuge hat Schwierigkeiten. Wenn Sie nicht nachfragen, dann mache ich das jetzt. Sie könnten ja fragen, ob er die Weihnachtsfeiertage meint.
(Djawad M. verlässt den Gerichtssaal. Soheila M., seine Frau, tritt in den Zeugenstand. Sie ist Buchhalterin, hat im Iran Anglistik studiert, war früher Sportlehrerin, hat später in Deutschland eine Ausbildung als Medizinisch-Physikalische Assistentin gemacht.)
Soheila M. Wir sind zur Polizei gegangen zur Vernehmung. Das hat ein paar Stunden gedauert, dann sind wir zur Uniklinik gefahren. Was ich da gesehen habe, war ein fremdes Gesicht. Ich habe meine Tochter gar nicht mehr erkannt. Sie hatte fast keine Haare mehr, so was habe ich noch nie im Leben gesehen. Ich konnte sie nicht wiedererkennen.
Götzl Was können Sie zu einer Dose und einem Korb sagen?
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