Susanne Wiborgs Garten ist ihr Salon, ein Treffpunkt der grünen Welt, in den jetzt auch die Hühner eingezogen sind, ganz schräge Vögel.
Susanne Wiborgs Garten ist ein kleines Paradies, in dem man lesend gerne Platz nimmt: So kurzweilig und kenntnisreich wird man selten unterhalten. Mit einer Blütenpracht, der goldgelben Sumpfdotterblume, den aparten Schachblumen in Altrosa, Purpur oder Schwarzviolett und den dunkelblütigen Kaukasus-Vergissmeinnicht starten wir in den Gartenfrühling. Genießen den Sommer und den herrlichen Duft der Wein- oder Schottischen Zaunrose und den Spätsommer mit der filigranen Wiesenraute, die den Garten in ein Meer von Blau taucht. Zu einem besonderen Vergnügen aber wird dieses Buch durch die schrägen Vögel, die Hühner, die hier ihr Habitat gefunden haben. Sie sind schlau, sehr komisch, überaus sozial; und so, wie Susanne Wiborg von ihren Hühner-Beobachtungen erzählt, steckt sie ihre Leser mit diesem »Hühnerfieber« an, das »ebenso wie die Gartensucht, zu den vergnüglichsten Spielarten menschlicher Verrücktheit zählt«. Was will man mehr!
»Hühnerfieber gehört, ebenso wie die Gartensucht, zu den vergnüglichsten Spielarten menschlicher Verrücktheit.«
Susanne Wiborg
Susanne Wiborg ist Journalistin und lebt in der Nähe von Hamburg. Sie schreibt u.a. für Die Zeit und kraut und rüben.
Rotraut Susanne Berner arbeitet als freie Illustratorin, Buchgestalterin und Autorin in München. Sie ist eine der bekanntesten zeitgenössischen Illustratorinnen und Buchgestalterinnen.
Susanne Wiborg
Blütenpracht und schlaue Hühner
Bilder von
Rotraut Susanne Berner
Verlag Antje Kunstmann
eBook-Produktion: HGV Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice mbH
ISBN 978-3-95614-161-4
Schräge Vögel, oder: Von der Rückkehr alter Freunde
Hühner im Garten? In einem ganz kleinen? Mitten in der Stadt? Warum denn nicht? Was heute exotisch anmutet, war jahrhundertelang Alltag: Garten und Geflügel gehörten zusammen. Die anspruchslosen Gefiederten lebten hinter dem Haus, in mehr oder weniger ansprechenden Hühnerhöfen oder gleich im ländlichen Freilauf, recycelten, was immer ihnen vorgeworfen wurde, zu hochwertigem Protein, und lieferten so ohne viel Aufwand einen zusätzlichen Garten-Ertrag. Gehobenere Geflügelkreise waren überdies eine statusträchtige Zierde zum Ziergarten: Es gab – und gibt – Hunderte von Rassen und Schlägen, schillernd bunt befiedert, winzig klein oder riesengroß, oft irgendwo zwischen prächtig und skurril. Viele sind derart attraktiv anzusehen, dass selbst die britische Queen Victoria vom Hühnerfieber nicht verschont blieb: Ihre Gefiederten gehörten zu den großen Leidenschaften der sonst eher nüchternen Monarchin. »Im Sommer sollten sie durchaus auf ihren Hof beschränkt werden,« heißt es auch in einem deutschen Gartenbuch aus Kaisers Zeiten, »im Winter lasse ich sie ruhig im Ziergarten grasen. Sie vertilgen dann bei offenem Wetter manches Ungeziefer.« Die Frage war also nur, wo sich die Hühner wann aufhalten durften – dass es sie in einem Garten gab, war selbstverständlich.
Das war auch noch zu meiner Grundschulzeit so: überall in dem kleinen Landstädtchen gackerte und krähte es, und unser Hausmeister verband das Professionelle perfekt mit dem Privaten: Er hielt sein Geflügel auf dem Schulhof, wir fütterten es mit Pausenbroten, und keiner störte sich an dem lauthals krähenden Gockel. Unsere ländlichen Verwandten hatten eine große, bunte Hühnerschar, und als siebenjähriger Feriengast bekam ich dort eine verantwortungsvolle Aufgabe: ich durfte die Eier aus den Strohnestern holen. Das klang einfacher, als es war. Die Eier, warme und glatte Handschmeichler, fühlten sich zwar wunderbar an, sie aber zu ergattern, konnte durchaus eine Herausforderung bedeuten. Gleich die erste Lehre der Gefiederten erwies sich auch als die grundlegende: Huhn ist nicht gleich Huhn. Sie alle sind kleine Individuen.
Mein Problem hieß Henne Bertha. Das war eine dicke, selbstbewusste braune Glucke, die den scharfen Foxterrier gnadenlos über den Hof prügelte, die Katze in Furcht und Schrecken hielt und auch mir das ländliche Leben ziemlich erschwerte: Jedes Ei im Lege nest, egal, ob von ihr oder nicht, verteidigte sie mit einer Hingabe, als sei es ihr Lieblingsküken. Wenn ich sammeln ging, hoffte ich immer inständig, dass Bertha anderweitig beschäftigt sei. Aber meist war sie das nicht, sondern hockte aufgeplustert wie ein fetter brauner Pfannkuchen auf dem Nest, schrie mich mit gesträubtem Kragen an und maß mich herausfordernd mit dem, was eine Hühnerkennerin so treffend als »Nur-über-meine-Leiche-geht-der-Weg-Blick« charakterisierte. Es kostete schon etwas Mut, unter die breite Brust dieser Furie zu greifen, während sie einem zielsicher den Schnabel ins Handgelenk stanzte, aber Bertha war Gott sei Dank nicht blöde. Wenn man sich nicht einschüchtern ließ, gab sie nach, und sie kannte ihre Pappenheimer genau. So konnte ich bald stolz mit meiner Beute in die Küche traben und für den lässigen Hinweis: »Die sind von Henne Bertha!« das verdiente Extra-Lob einkassieren.
Kiki war Berthas krasses Gegenteil: Die weiße Henne gehörte meiner älteren Cousine Karin, die ich glühend bewunderte, auch, weil sie ihr selbstgezähmtes Lieblingshuhn so generös mit mir teilte. Kiki war zahm wie ein Hund. Sie rannte herbei, sobald wir in die Nähe kamen, tippelte uns hinterher, flog uns auf den Schoß und ließ sich mit verblüffender Geduld durch die Gegend schleppen. Ebenso geduldig blieb sie sitzen, wenn ich vorsichtig ihre glatten Federn streichelte und dabei staunte, wie warm sich so ein Huhn anfühlt. Sie hockte sogar brav auf einer Stuhllehne, wenn wir sie als Adler/Geier-Komparsin zum Indianerspielen engagierten.
Kiki war der Hühner-Charme in Person, die Ausnahme von der Regel, dass Vögel eher Beobachte- als Schmusetiere sind. Damals muss es wohl schon passiert sein, jedenfalls stand seitdem für mich fest, dass ich eines Tages eigene Hühner haben wollte. Es dauerte nur schrecklich lange, und als es endlich soweit war, war weniger die alte Liebe gefragt als eine grundlegende Nüchternheit: Wer passt in mein kleines Biotop? Die Zeiten haben sich sehr geändert: Die Selbstverständlichkeit ist dahin, freilaufende Hühner sind Exoten geworden und sollten in der Stadtmitte möglichst nicht auffallen. Wen kann man da auf ein Mini-Grundstück einladen, zumal, wenn man auch noch Wert auf seinen Garten legt? Und, hier ganz wichtig: Wer hat das Potential, mit Terrier Erbse klarzukommen, die es jederzeit ins Finale von »Deutschland sucht den Superjäger« schaf fen würde?
Meine ersten Verliebtheiten konnte ich da gleich wieder abhaken: Die bildschönen, schnittigen Landrassen sind flüchtige, eher nervöse Vögel und brauchen viel mehr Platz, als ich ihn habe. Auf engem Raum kann sich ihr heftiges Temperament allzuleicht gegen die eigenen Artgenossen richten, und Hühner, die einander aus Frust so neurotisch massakrieren, wie sie es oft in der Massenhaltung tun, sind nicht eben der Inbegriff von Gartenfreude. Derart lebhafte Tiere neigen außerdem dazu, sich zur Unzeit darauf zu besinnen, dass sie Vögel sind, sprich: in Bäumen zu nächtigen und Zäune nach Lust und Laune zu überfliegen. Den Literatur-Hinweis »guter Futtersucher« oder »Selbstversorger« kann man als Gärtnerin ohnehin nur mit gelindem Schaudern lesen: Das bedeutet nämlich, dass diese Hühner den Tag damit verbringen, zu kratzen und zu picken, was Krallen und Schnabel nur hergeben – und das ist einiges. Zehntausend Pickschläge pro Tag haben fleißige Wissenschaftler einer noch fleißigeren Henne nachgezählt.
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