3. Arten der Vertragsanbahnungen
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Die Vertragsanbahnung im Internet und E-Commerce erfolgt üblicherweise über Onlineshops.
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Bei einem Onlineshop gestaltet jemand, der Waren, Dienste oder digitale Inhalte im Internet anbieten möchte, eine Website oder App so, dass seine Leistungen beschrieben werden und deren Bestellung ermöglicht wird. Um den Bestellvorgang zu automatisieren, wird meist ein virtueller Warenkorb integriert, in den der Besteller alle Waren, die er erwerben möchte, per Mausklick oder Fingertipp übernehmen kann. Hat er alle Waren ausgewählt, so muss er seine persönlichen Angaben (Name, Adresse, ggf. Kundennummer, Zahlungsform usw.) über eine Bildschirmmaske eingeben und per Mausklick oder Fingertipp die nunmehr vollständige Bestellung an den Anbieter abschicken.
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Derartige Onlineshops werden zunehmend in soziale Netzwerke oder Informationsangebote im Internet integriert, z.B. in Themenportale. Solche Themenportale können von Anbietern oder Herstellern zur Kundenansprache mit dem Ziel vertrieblicher Abschlüsse betrieben werden, ebenso aber auch von selbstständigen Dritten, welche dort die themenbezogenen Informationen mit Erwerbsmöglichkeiten für passende Produkte oder Leistungen verknüpfen. Dabei kann der Vertragsschluss dadurch erleichtert werden, dass der Verbraucher keinen eigenen Account unter Eingabe persönlicher Daten mehr anlegen muss, sondern seine Daten aus einem Nutzerzugang etwa bei Amazon, Google, Apple oder PayPal übernehmen kann.
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Früher gab es stattdessen die Anbahnung von Verträgen über E-Mail. Dabei wurden zwei Alternativen genutzt: Zum Teil versendete ein Anbieter eine E-Mail an E-Mail-Adressen aus Adresslisten, also eine Massen-E-Mail, vergleichbar einer entsprechenden Mailing-Aktion über Briefpost, oder aber er bot konkret einem Kunden seine Leistung per individueller E-Mail an. Heute werden E-Mails oder Massenansprachen in sozialen Netzwerken nur noch sehr selten zum individuellen Vertragsabschluss genutzt. Regelmäßig erfolgt von dort der Absprung in einen Onlineshop. Anders lassen sich die stetig wachsenden Anforderungen an den Verbraucherschutz im E-Commerce kaum sicher gewährleisten.15
1Zur Regulierung der Plattformverträge durch die sog. P2B-Verordnung siehe Kap. 7, Rn. 7. 2Zusammenfassend Paulus, JuS 2019, 960, 962f. 3Glossner, in: Leupold/Glossner, MAH IT-Recht, 2013, Teil 2, Rn. 15; Säcker, in: MüKo-BGB, 2018, Einl. BGB AT Rn. 189; Spindler, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2019, Vorb. §§ 116 BGB ff. Rn. 6. 4Ausführlich zu technischen Grundlagen und aktuellen Entwicklungen von KI Pieper, InTeR 2016, 188, 189ff.; InTeR 2018, 9, 11ff.; aus Sicht des Datenschutzes siehe Datenschutzkonferenz (DSK), Positionspapier der DSK zu empfohlenen technischen und organisatorischen Maßnahmen bei der Entwicklung und dem Betrieb von KI-Systemen v. 6.11.2019, https://www.datenschutzkonferenz-online.de/media/en/20191106_positionspapier_kuenstliche_intelligenz.pdf. 5Zum Diskussionsstand etwa Borges, NJW 2018, 977; Denga, CR 2018, 69. 6Mit Beispielen Glossner, in: Leupold/Glossner, MAH IT-Recht, 2013, Teil 2, Rn. 20ff. 7Vgl. BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83; Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 2021, Kap. 13.1, Rn. 63ff. 8Teilweise wird mit Blick auf die Vertragsautonomie aus Art. 2 I GG der Vertragsschluss durch nicht (erklärungs-)willensgetragenes, fahrlässiges Verhalten konzeptionell abgelehnt; einen Überblick dazu bietet Armbrüster, in: MüKo-BGB, 2018, § 119 Rn. 97. 9Zu den Besonderheiten im elektronischen Geschäftsverkehr gemäß § 312j BGB Kap. 5 Rn. 188ff. 10Zu Formvorschriften ausführlich Kap. 4. 11Noack/Kremer, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 2016, § 126 Rn. 52. 12Weitere ausdrückliche Ausschlüsse der Ersetzung finden sich in §§ 623 Hs. 2, 630 S. 3 (ggf. i.V.m. § 109 Abs. 3 GewO), 761 S. 2, 766 S. 2, 780 S. 2, 781 S. 2 BGB. 13Zur Zulässigkeit der gewillkürten Schriftform und deren Anforderungen vgl. Noack/Kremer, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 2016, § 127 Rn. 1ff. 14BGH, Urt. v. 14.7.2016 – III ZR 387/15, K&R 2016, 596f. m. Anm. Kremer/Garsztecki, jurisPR-ITR 20/2016 Anm. 5. 15Ausführlich dazu Kap. 5 und Kap. 6.
II. Vertragsschluss im Internet
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In rechtlicher Hinsicht ist zu klären, ob bereits durch die Bestellung des Kunden im Internet oder mittels App ein rechtswirksamer Vertrag zustande gekommen ist. Ein Vertrag setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus, den Antrag (umgangssprachlich oft als Angebot bezeichnet) und die Annahme des Antrags (§§ 145ff. BGB).
1. Website oder App als Antrag oder invitatio ad offerendum
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Die Anpreisung einer Ware oder Dienstleistung auf einer Website oder in einer App, häufig verbunden mit der Möglichkeit, einen Warenkorb zu füllen und eine Bestellung elektronisch abzuschicken, könnte ein verbindlicher Antrag im Rechtssinne (§ 145 BGB) und die Bestellung des Interessenten die Annahme (§ 151 BGB) sein. Dann wäre ein Vertrag durch die Bestellung zustande gekommen.
a) Grundregel: Websites oder Apps als invitatio ad offerendum
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Ob es sich bei der Anpreisung einer Leistung auf einer Website oder in einer App tatsächlich um einen Antrag im Rechtssinn oder lediglich um eine sog. invitatio ad offerendum handelt, muss durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB ermittelt werden. Entscheidend ist, wie der Erklärungsempfänger, also der Nutzer von Website oder App, deren Inhalt nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen muss (sog. objektiver Empfängerhorizont).16
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Werden zum Beispiel Waren angeboten, die der Anbieter nur in einem beschränkten Umfang (Beispiel: 50 Exemplare eines Bestsellers) oder gar nur einmal (Beispiel: Antiquität) vorrätig hat, wird deutlich, dass es nicht im Interesse des Anbieters liegt, bereits mit dem „Angebot“ auf der Website einen rechtsverbindlichen Antrag abzugeben, welcher von jedem Kunden angenommen werden kann.17 Anderenfalls wäre er in der Folge verpflichtet, gegenüber allen Kunden, die sich auf sein Angebot hin melden und es durch eine Bestellung annehmen, auch die versprochene Leistung zu erbringen.18 Um das vorgenannte Beispiel aufzugreifen, wäre er auch verpflichtet, das Buch an den 51. und alle weiteren Besteller zu liefern. Kann er dies nicht, so muss er mit Schadensersatzansprüchen der Kunden gem. §§ 280ff. BGB rechnen.
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Würde in dieser Weise ein Vertrag mit einem Kunden abgeschlossen, wäre auch die Prüfung der Bonität oder die Auswahl einer für den jeweiligen Kunden geeigneten Zahlungsart für den Vertrag (z.B. Rechnung, Kreditkarte, SEPA-Lastschrift oder PayPal) nicht möglich. Erweist sich der Kunde als zahlungsunfähig und war keine Vorkasse vereinbart, würde sich eine Forderung des Verkäufers dann nicht realisieren lassen.
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Da somit ein Vertragsschluss nicht im Interesse des Anbieters liegt und es deshalb schon am Bindungswillen fehlt, ist im „Angebot“ auf einer Website grundsätzlich kein verbindlicher Antrag im Rechtssinne zu verstehen, sondern bloß eine invitatio ad offerendum, also mangels Rechtsbindungswillen des Anbieters eine Aufforderung an potenzielle Kunden, einen Antrag abzugeben, wie dies z.B. bei der Warenpräsentation in einem Katalog oder Schaufenster der Fall ist.19 Der Antrag, den der Interessent seinerseits auf die invitatio ad offerendum hin mit seiner Bestellung abgibt, ist dann rechtsverbindlich.
b) Ausnahme: Website oder App als Antrag
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Von der Regel, dass ein Angebot von Waren, Dienstleistungen oder digitalen Inhalten im Internet nur eine invitatio ad offerendum darstellt, kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn der Anbieter die jeweilige Leistung direkt über das Internet abwickeln kann und die Gegenleistung des Interessenten durch ein elektronisches Bezahlverfahren (sog. „eCash“ oder „electronic cash“, z.B. Apple Pay,20 Google Pay21 oder Paydirekt22) oder eine Zahlungsgarantie etwa einer Kreditkartenorganisation sichergestellt ist. Beispiele sind der Download von Software oder Apps oder die Online-Nutzung von Datenbanken als sog. digitale Inhalte.
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