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Ein „Internet-Gesetzbuch“, in dem alle rechtlichen Regelungen im Hinblick auf das Internet zusammengefasst sind, gibt es nicht. Vielmehr ist das Internetrecht eine typische Querschnittsmaterie. Die gesetzlichen Regelungen, die auf Sachverhalte mit Bezug zum Internet und Social Media sowie den dortigen Geschäftsmodellen im E-Commerce anwendbar sind, sind verstreut in verschiedenen Gesetzen zu finden. Zum Teil sind es allgemeine Gesetze – wie beispielsweise das Urheberrecht, das Namensrecht, das Wettbewerbsrecht oder das Haftungsrecht –, die auch für Internetsachverhalte bedeutsam sind, zum Teil sind es aber auch normative Regelungen, die spezifisch auf Internetsachverhalte zugeschnitten sind.
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Hierzu ein Beispiel als Einführung:
Ein Verbraucher bestellt im Internet über die Website eines Buchhändlers ein Buch. Dieses wird ihm nach einer Woche geliefert. Der Kaufpreis wird per SEPA-Lastschrift eingezogen.
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Für die juristische Beurteilung dieses Falles sind verschiedene Normen bedeutsam. Für den Vertragsschluss über den Buchkauf gelten zunächst die allgemeinen, technikneutralen Regeln des BGB über Willenserklärungen bei Vertragsschlüssen aller Art, sei es am Telefon, per Fax oder eben über das Internet (Allgemeiner Teil, §§ 145ff. BGB). Die sich aus diesem Vertrag ergebenden Pflichten richten sich ebenfalls nach den Vorschriften des BGB über Kaufverträge (Besonderes Schuldrecht, §§ 433ff. BGB): Bei einem formlosen Rechtsgeschäft wie dem Kauf beweglicher Sachen ist es unerheblich, ob ein Kauf per Internet oder auf sonstigem Wege getätigt wird. Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Sachkaufs und die sich aus einem Kaufvertrag ergebenden Pflichten sind immer dieselben: die Vertragsparteien müssen sich über die wesentlichen Grundlagen des Vertrags geeinigt haben („essentialia negotii“), der Verkäufer muss das Eigentum an der Ware dem Käufer mangelfrei übertragen und der Käufer den vereinbarten Kaufpreis an den Verkäufer zahlen.
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Allerdings sieht der Gesetzgeber bei einem elektronischen Vertragsschluss im sog. Fernabsatz auf Seiten des Kunden, insbesondere bei Verbrauchern, ein besonderes Schutzbedürfnis. Deshalb hat er – auch einem Gesetzgebungsbefehl von EU-Richtlinien zum elektronischen Geschäftsverkehr folgend – spezielle Regelungen für Fernabsatzgeschäfte i.S.d. § 312c Abs. 1 BGB geschaffen, die für alle Absatzgeschäfte gelten, bei denen sog. Fernkommunikationsmittel i.S.d. § 312c Abs. 2 BGB wie Kataloge, Prospekte, Fax, Telefon oder eben das Internet eingesetzt werden. Für Fernabsatzgeschäfte sind beispielsweise über § 312d BGB besondere Informationspflichten – mit Bezugnahme auf Art. 246a, Art. 246b EGBGB1 – und ein Widerrufsrecht gemäß § 312g Abs. 1 BGB2 vorgesehen, ferner eine Vertragsbestätigung gemäß § 312f Abs. 2, Abs. 3 BGB. Diese verbraucherschützenden Regelungen für Verträge im Fernabsatz sind neben den allgemeinen Vorschriften einschlägig. Aber es gibt noch weitere, speziell auf Sachverhalte im elektronischen Geschäftsverkehr zugeschnittene Regelungen wie die §§ 312i und bei Verbraucherverträgen 312j BGB, die gegenüber den Kunden Rechtspflichten wie die Möglichkeit zur Korrektur von Eingaben, besondere Informationspflichten, Empfangsbestätigung der eingegangenen Willenserklärung, speicherbare Übermittlung der AGB und anderes mehr vorsehen.
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Schließlich soll noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass der Gesetzgeber in § 125 BGB grundsätzlich von der Formfreiheit des Vertragsschlusses ausgeht und nur in besonders gelagerten Situationen zum Schutz der Vertragsparteien Formerfordernisse wie die Schriftform gemäß § 126 BGB, die Textform gemäß § 126b BGB oder die notarielle Beurkundung gemäß § 128 BGB vorschreibt.3 Soweit die Schriftform verlangt wird, kann sie durch die elektronische Form substituiert werden (§ 126 Abs. 3 BGB i.V.m. § 126a BGB), wenn nicht das Gesetz etwas anderes bestimmt.
1Zu Informationspflichten für Anbieter im Internet und E-Commerce ausführlich Kap. 5. 2Zum Widerrufsrecht bei Fernabsatzgeschäften ausführlich Kap. 6. 3Zu Formvorschriften im Internet und E-Commerce ausführlich Kap. 4.
II. Rechtsquellen für das Recht im E-Commerce und Internet
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Die relevanten Normen für das Recht im E-Commerce und Internet lassen sich in zwei Kategorien einordnen. Differenziert werden kann einerseits nach dem gesetzgebenden Organ (EU, Bund, im Einzelfall auch ein Bundesland), andererseits nach dem spezifischen, internetrechtlichen Gehalt der jeweiligen Norm (allgemeine oder internetspezifische Regelung).
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EU-Recht umfasst das gesamte Primär- und Sekundärrecht der Europäischen Union. Insbesondere von Interesse sind dabei die EU-Richtlinien und Verordnungen. Das sind Rechtsakte der Europäischen Union, die auf Vorlage der EU-Kommission vom Rat unter abgestufter Mitwirkung des Europäischen Parlaments verabschiedet werden (vgl. Art. 288 AEUV).
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Richtlinien haben keine unmittelbare Gesetzesqualität, sondern müssen von den Mitgliedstaaten der EU in nationales Recht umgesetzt werden. Beispiele für Richtlinien, die besonderen Bezug zum Internet haben, sind die Fernabsatzrichtlinie,4 die E-Commerce-Richtlinie5 und die E-Privacy-Richtlinie.6 Werden EU-Richtlinien nicht oder nicht vollständig in nationales Recht von den Mitgliedstaaten umgesetzt, sind die nicht umgesetzten Richtlinien bei der Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigen,7 und im Einzelfall sogar unmittelbar anzuwenden.8
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Demgegenüber sind EU-Verordnungen auch ohne nationalen Umsetzungsakt ab dem in der Verordnung hierfür benannten Zeitpunkt in jedem Mitgliedstaat unmittelbar anzuwenden und haben Gesetzesqualität. Ein bedeutsames Beispiel für eine solche für das Internet und den E-Commerce relevante EU-Verordnung ist die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO), die am 24.5.2016 in Kraft getreten und am 25.5.2018 wirksam geworden ist.9 Ein weiteres Beispiel ist die sog. P2B-Verordnung, die das Verhältnis zwischen Plattformen und deren gewerblichen Nutzern regelt.10
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Das Bundesrecht gliedert sich im Wesentlichen in Gesetze und Verordnungen. Bundesgesetze sind Gesetze, die durch den Bundestag als gesetzgebendes Organ des Bundes verabschiedet werden. Verordnungen können durch die Regierung erlassen werden, sofern der Bundestag durch ein Gesetz eine korrespondierende Verordnungsermächtigung schafft. Mit Verordnungen können Teilbereiche ohne Beteiligung des Bundestages geregelt und flexibel geändert werden. Beispiele für Bundesgesetze mit Bezug zum Internet sind das BGB, das Telemediengesetz (TMG), das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) oder das Urheberrechtsgesetz (UrhG).
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Landesrecht hat für den hier interessierenden Bereich wegen der überwiegenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nur eingeschränkte Relevanz. Bedeutsam ist insbesondere der am 7.11.2020 in Kraft getretene Medienstaatsvertrag der Länder.11 Dieser enthält neben Regelungen zum Rundfunk auch das TMG ergänzende Regelungen zu Telemedien und zu sog. „Video-Sharing-Diensten“. Dieser ist erforderlich, da das Medien- und Presserecht nach der im Grundgesetz festgelegten Kompetenzverteilung grundsätzlich Landessache ist (Art. 70 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 75 Abs. 1 Nr. 2 GG a.F.), in der der Bundesgesetzgeber nur eine Rahmenkompetenz hat.
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Das Internet stellt keinen eigenen Rechtsraum dar, in dem, losgelöst vom realen Raum, keine oder eigene Regeln gelten. So gesehen gibt es kein „Cyberlaw“, sondern allenfalls gesonderte Regelungen für den Bereich Internet. Grundsätzlich gelten alle Regelungen der realen Welt auch im Internet, und es ist kein Sachverhalt denkbar, der sich nicht – wenn auch nur im Wege der Analogie – normativ beurteilen lässt.
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