1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Bevor ich mich dazu entschlossen hatte zu gehen, brachte eine Gruppe von Sczarni-Frauen einen kleinen, runden Tisch und zwei Hocker, bevor sie sich wieder zurückzogen, und ließen Malena und mich auf den Teppichen allein. Der Geiger drückte sich in der Nähe herum, vielleicht weil er sich für eine Anstandsdame hielt.
Alles geschah im Freien, mitten in Caliphas, und es gab noch immer genügend Tageslicht. Ach, zur Hölle! Ich nahm gegenüber von Malena Platz.
Sie ließ das einführende Brimborium weg, das ich schon einmal gesehen hatte, und gab mir einfach die Turmkarten. Die Karten waren alt, aber ihre Ränder waren noch immer so glatt, dass ich die Markierungen eines Falschspielers nicht sofort bemerkte. Ich drehte sie um und betrachtete die Vorderseiten: Der Jongleur, Der Pfau, Die Königinmutter, Der Paladin. Ich hatte sie alle schon einmal gesehen, von anderen Künstlern gemalt. Wer auch immer diese Karten bemalt hatte, hatte eine gruselige Art von Talent, oder die Bilder erschienen mir unter den gegebenen Umständen einfach unheilvoller.
Zufrieden, dass ich ihren Karten den nötigen Respekt oder sonst irgendwas entgegengebracht hatte, nahm Malena sie wieder an sich. „Warum du gekommen bist“, sagte sie, während sie die Karten mischte. Sie tat es wie ein Glücksspieler in einer Hafenkneipe und legte die Karten, anstatt sie zurück in die bekannte Schachtel zu tun, mit der Vorderseite nach oben in einem halbmondförmigen Muster aus, dessen Spitzen auf mich zeigten. „Was du finden wirst.“
Schließlich, ohne Kommentar, legte sie eine einzelne Karte mit der Vorderseite nach unten zwischen die Spitzen des Halbmondes.
Sie begann in der Mitte mit dem Teufel. „Dies zeigt, wo du herkommst“, sagte sie. „Von einem Ort der Stärke.“
„Unglaublich“, sagte ich. Sie ignorierte meinen Sarkasmus. Wenn ihre Finger so geschickt waren, wie ich es mir vorstellte, war es kein großer Trick für sie, die Karten dort zu platzieren, wo sie sie haben wollte, und nachdem sie mein breites Grinsen gesehen hatte, gab es keine andere Möglichkeit mehr: Sie musste verstanden haben, dass meine Vorfahren aus einem wärmeren Klima stammten.
„Dies sind die Mächte, die dich antreiben.“ Sie zeigte auf die Karten, die daneben lagen. Den Tyrannen und den Wanderer. Sie sprach dichterisch über die Aspekte des Geistes und der Persönlichkeit, und ich nickte, ohne richtig zuzuhören. Ihre Augen waren grüner, als ich es zuvor bemerkt hatte, und sie hatte mehrere Ringe in ihren Ohrläppchen. Eine tätowierte Schlange wand sich über ihren Hals und eine Schulter hinab. Ich wollte ihr folgen, doch da fiel mein Blick auf den Geiger. Würde ich einen neuen Streit anfangen, wenn ich eine Haarlocke von dieser freiliegenden, gebräunten Schulter strich?
„Dies sind die Mächte, die sich dir entgegenstellen“, sagte sie. Der Narr und Der Verrat – gute Wahl. „Und diese könnten dich unterstützen oder irreleiten.“ Die Stumme Vettel und Der Tanz. Dies erschien mir einigermaßen in Ordnung, wenn man die derzeitige Gesellschaft in Betracht zog, und ich wurde langsam nervös. Ich sah mich um und bemerkte dass niemand mehr in Sichtweite war.
Sie hatte die Spitzen des Halbmondes erreicht und beschrieb den Zwilling und den Leeren Thron als Schatten meines Schicksals. Perfekt, dachte ich. Als Nächstes wird sie mir erzählen, dass ich die Reichtümer eines lange verloren geglaubten Bruders erben werde, und dann wird mir der Geiger eine Landbesitzurkunde zum Kauf anbieten.
Ich erhob mich. Sie sah mit einem rätselhaften Blick zu mir auf. Wartete sie jetzt darauf, dass ich eine Frage stellte? Dass ich ihr Geld anbot? Ich tastete nach meiner Börse, um sicherzugehen, dass sie noch da war, doch dann bemerkte ich, dass sie die letzte Karte nicht angerührt hatte. Ich drehte sie um.
Die Karte zeigte einen Mann, der auf einem vom Mondlicht beschienenen Hügel stand, mit einem Zepter in der Hand und einer Krone zu seinen Füßen. Unter ihm blickten Dutzende glühender Augen aus den Schatten heraus, als warteten sie auf einen Befehl von oben.
„Nein!“, schrie der Geiger. Er trat den Tisch um, und die Karten segelten davon.
Etwas in seinem Ton erschreckte mich. Ich war mehrere Schritte zurückgetreten, bevor ich es richtig begriffen hatte. Malena bückte sich, um die Karten aufzuheben, und der Geiger schalt sie heftig auf Varisisch. Ich schnappte nur ein paar Worte auf, doch ihre Körpersprache sagte mir alles, was ich wissen musste. Sie hatte etwas falsch gemacht, und er war zornig.
„Wo liegt das Problem?“, fragte ich.
„Schnell“, sagte Malena. Sie drückte mir etwas in die Hand. „Hier ist deine Münze. Jetzt geh!“
Der Geiger zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger und kleinem Finger auf mich; irgendwie eine umgedrehte Form des Zinkens. „Halt dich von meiner Familie fern, Teufel“, sagte er. „Du bist verflucht!“
„Na, von mir aus“, war die schlagfertigste Antwort, die ich herausbrachte. Dennoch, ich verstand mein Stichwort, wenn ich es hörte. Ich nahm Abstand von der Mystikergasse. Erst nachdem ich um die Ecke gebogen war, schaute ich mir an, was Malena mir gegeben hatte.
Ein Kupferstück, und nicht einmal ein glänzendes neues. Der Kopf des uralten Fürsten darauf hob sich spangrün von dem schwarzen Dreck der Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte, ab. Vielleicht sogar mehr. Er war ein hübscher Kerl, aber mit einem sauertöpfischen Ausdruck auf dem Gesicht, als hätte er gerade etwas gekostet, von dem er erwartet hatte, dass es ihm schmecken würde, was er stattdessen aber hatte ausspucken müssen.
„Du und ich, wir beide“, sagte ich zu ihm.
Kapitel drei
Die Lepidstadtnarbe
Als ich meine Hand ausstreckte, um der Herrin Tara in die Kutsche zu helfen, ging ihr Begleiter so abrupt dazwischen, dass ich mich genötigt sah, einen Schritt zurückzutreten, um nicht seine Schulter in meine Brust gerammt zu bekommen. Meine Bekanntschaft mit Kasomir Galdana war weniger als eine Stunde alt, doch ich bereute bereits mein Versprechen, ihn heimzubegleiten.
Durch jemandem aus ihrem weitreichenden Netzwerk von Bewunderern, Rivalen und Speichelleckern hatte Carmilla von Deinem Vorhaben erfahren, das Anwesen Graf Lucinean Galdanas zu besuchen in der Hoffnung, Zutritt zu seiner Familienbibliothek zu erhalten. Ich hatte zunächst Bedenken, dass ein Herrscher von Ustalav seine privaten Besitztümer einem Kundschafter gegenüber öffnet, doch hätte ich nicht überrascht sein dürfen zu erfahren, dass Deine Überredungskünste der Eloquenz Deiner schriftlichen Berichte gleichkommen. Carmilla hörte außerdem, Du hättest Galdana genügend beeindruckt, sodass Du im vergangenen Frühling mehrere Tage auf seinem Anwesen bei Weidenweh verbringen konntest. Und es ist in der Tat wahr, dass die Abneigung gegenüber unserer Gesellschaft nicht notwendigerweise von allen Adligen in Ustalav geteilt wird.
Den derzeitigen Grafen Galdana habe ich nie kennengelernt, doch bei seinem Vorgänger erinnere ich mich an ein fröhliches Gemüt und eine Neigung zu deftigem Humor und Prahlereien über jüngste Jagdausflüge. Die Gerüchte, die ich seit meiner Ankunft zusammentragen konnte, sprachen von dem jetzigen Grafen von Amaans als einem begeisterten Jägersmann, der so häufig im Feld war, dass die Adligen von Caliphas es mehr gewohnt waren, einen seiner näheren Verwandten zu empfangen – dieses Mal Kasomir, den Sohn seiner Schwester. Als Gegenleistung für ihre Informationen bat Carmilla mich lediglich darum, Kasomir und seine Base, Tara, nach Weidenweh zu begleiten.
Es entging meiner Aufmerksamkeit nicht, dass Carmillas Bitte sich perfekt mit meinen eigenen Plänen deckte. Noch bin ich taub gegenüber dem Gemunkel über ihr Verlangen, die Stellung des Hauses Ordranto zu unterlaufen. Sicherlich hätte Kasomir eigene Wachen und eine eigene Kutsche anheuern können, doch Carmilla bestand darauf, dass wir die Vorzüge meines Gefährts teilen sollten. Dies würde einen vorteilhaften Eindruck machen, der mir sehr dabei helfen könnte, Zugang zur Familienbibliothek der Galdanas zu erhalten. Unter anderen Umständen hätte ich gezögert, bevor ich es zugelassen hätte, mich auf derartige Weise manipulieren zu lassen, doch als ich die Wahrscheinlichkeit, dass Carmilla meinen Besuch ausnutzte um einen Verdacht auf Graf Galdana fallen zu lassen, gegen die Aussicht abwog, Dich zu finden, war es meines Erachtens nach diesen Preis wert.
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