Die Lebenskräfte sind in sich gegliedert, Rudolf Steiner sprach von sieben Lebensstufen, die das eigentliche Leben ausmachen. 18Die siebte und letzte beschreibt das Reproduktionsleben, die Fähigkeit, selber neues Leben hervorzurufen. Das zeigt sich zum Abschluss des 2. Jahrsiebts in der Geschlechtsreife.
Individualisierung des Empfindungsleibes
Im 3. Jahrsiebt individualisiert sich dann der Empfindungsleib, der zum Seelenträger wird. Und wieder durchdringt die eigene Empfindungsorganisation die elterlich vorgegebene. Dabei geht es weniger »freundschaftlich« zu als bei der Begegnung der beiden Lebensorganisationen. Jetzt kommt es zu oft recht heftigen Auseinandersetzungen. Das wird Pubertät genannt. Der Empfindungsleib birgt ja alles schon Genannte wie Leidenschaften, Begierden, Triebe und Instinkte in sich, Lust und Unlust, auch Hunger und Durst, alle Quellorte, die wir heute Emotionen nennen. Und da ist das »Fremde«, von den Eltern Gegebene, nicht mehr akzeptabel, da will man selbst die Quelle des emotionalen Lebens werden.
Egoismus
Nun bekommt auch der Egoismus eine ganz andere Intensität. Jedes Kind ist egoistisch, muss es auch sein, es sucht ja – durchaus mit Hilfe – seinen Weg ins Leben, will seinen Leib, will entdecken, welchen Lebensplan es in langen vorgeburtlichen Zeitläufen zusammen mit dem begleitenden Engel erarbeitet hat, den es mit der Geburt »vergessen« hat. Vergessen aber nur insoweit, als der Plan vollständig in uns existiert, doch in tiefe Schichten des Bewusstseins hinabgesunken ist, aus denen er nur allmählich und durch Übung wieder bewusst gemacht werden kann.
Die Intensivierung des Egoismus im 3. Jahrsiebt hängt mit der Intendierung aller nun erfolgenden Veränderungen unmittelbar aus dem Ich zusammen. Steiner hat diese Gesetzmäßigkeit der Leibentwicklung so formuliert: Immer das nächsthöhere Wesens- oder Leibesglied übernimmt die Führung und Verantwortung für die Individuation des nächstniedrigeren, die Lebensorganisation die des Stoffleibs, die Empfindungsorganisation (die eben noch nicht Leib ist und aus dem Vorgeburtlichen stammt) die des Lebensleibs (Ätherleibs) und schließlich die Ich-Organisation die des Empfindungsleibs. 19
Leibesentwicklung der ersten vier Jahrsiebte
Ich-Leib
Wir werden darauf aufmerksam, dass es noch ein viertes Glied des Leiblichen gibt, ganz im Verborgenen, von Beginn an wirksam, alles überblickend, letztlich auch steuernd. Wir können vom Ich-Leib oder einer Ich-Organisation sprechen, die sich überhaupt nicht mehr stofflich manifestiert, auch nicht feinststofflich wie der Empfindungsleib. Sie ist rein geistiger Natur und wählt sich als ihr Trägerelement, durch das sie ihre Wirkungen in die Leiber vermittelt, ausschließlich die Wärme. Das tiefe Geheimnis unserer Leibeswärme ist hiermit verbunden.
das 28. Lebensjahr
Die Ich-Organisation befreit sich vom Gebundensein an den Leib im 4. Lebensjahrsiebt und wendet sich damit der Seelenentwicklung zu. Und doch ist ein Teil der Ich-Organisation auch der Individuation dieser Wärmeorganisation als Ich-Träger gewidmet, die erst mit dem 28. Lebensjahr ganz abgeschlossen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt wirkt der ganze Kosmos mit seiner Wesensfülle an der Menschenentwicklung mit. Dann gibt er den Menschen frei, er soll ja unabhängig werden. Viele erleben diese Zeit auch als ein Alleingelassenwerden.
Aus all dem lässt sich vielleicht eine weitere Aussage Steiners an gleicher Stelle verstehen: dass erst jetzt der Mensch in die eigene Verantwortlichkeit eintritt. 20In vergangenen Zeiten war das der Zeitpunkt, zu dem man frühestens Parlamentarier werden konnte. Doch ich bin vorausgeeilt. Zur Beschreibung des 3. Jahrsiebts und der Individuation des Empfindungsleibs lässt sich noch hinzufügen, dass diese einen Abschluss in der Mündigkeit findet, die früher mit dem 21. Lebensjahr verbunden wurde. Dass diese heute in Deutschland auf das 18. Lebensjahr vorverlegt wurde, hat mit Kräften der Verfrühung zu tun, die schon erwähnt wurden (siehe Seite 27).
Die Entwicklung der Seele (4. bis 6. Jahrsiebt)
drei Seelenglieder
Auch die menschliche Seele ist eine gegliederte Einheit. So wie wir berechtigt von dem Leib sprechen können, obwohl es drei »Leiber« oder Leibesglieder mit durchaus eigenen Gesetzmäßigkeiten gibt und wir auch ein viertes Glied (Ich-Leib) ansprachen, so ist die Seele eine Einheit von drei Seelengliedern: der Empfindungsseele, der Verstandes- oder Gemütsseele und der Bewusstseinsseele. Sie wurden menschheitlich in großen Zeitepochen ausgebildet, die Empfindungsseele in der ägyptisch-babylonischen Kulturepoche und die Verstandes-oder Gemütsseele in der griechisch-römischen, die bis in das 15. Jahrhundert n.Chr. andauerte. Seither entwickelt die Menschheit das höchste und geistnächste Seelenglied, die Bewusstseinsseele. Ihre Entwicklung dauert bis weit in das 4. Jahrtausend. Wir stehen menschheitlich also noch ziemlich am Anfang ihrer Bildung.
Diese menschheitlich vorgebildeten Seelenglieder bzw. ihre Anlagen werden jedem Menschen von der Empfängnis bzw. Geburt an aus dem Strom seiner Vorfahren mitgegeben. Wir haben alle eine gemeinsame seelische Anlage, allerdings schon familien- oder stammmäßig vorgeprägt, am unmittelbarsten von Eltern und Großeltern. Diese Anlage wird nun vom Einzelmenschen in seinem mittleren Zeitabschnitt des Lebenslaufs individualisiert, im 4. Jahrsiebt die Empfindungsseele, im 5. dann die Verstandes- oder Gemütsseele und im 6., also vom 35. bis zum 42. Lebensjahr, die Bewusstseinsseele.
zeitliche Richtung
Hierfür beschreibt Rudolf Steiner eine Gesetzmäßigkeit und zeitliche Richtung, die überraschen kann. Das gestaltende Individual-Ich wendet sich zeitlich gesprochen zurück und durchläuft das 3. Jahrsiebt vom 21. zum 14. Lebensjahr, um aus dem bereits individualisierten Empfindungsleib die nun auch immer stärker individuelle Empfindungsseele herauszuarbeiten. Gleiches gilt für die Verstandes- oder Gemütsseele vom 14. bis zum 7. Lebensjahr, wo nun der individualisierte Lebensleib die Grundlage bildet für die individuelle Seelengestaltung. Schließlich arbeitet das Ich dann im 6. Lebensjahrsiebt an der Gestaltung der Bewusstseinsseele aus dem Stoff- oder physischen Leib heraus. Um das 42. Lebensjahr steht unser Ich dann erneut an dem Tor der Geburt als Schnittstelle oder auch Anfang der Geistentwicklung, die wir Alter nennen.
Empfindungsseele
Die Empfindungsseele ist voller Spontaneität. Ihr eigentliches Element ist die Bewegung. Alle spontanen Bewegungen stammen aus ihr, auch die Einatmung, durch die sie sich dem Empfindungsleib verbindet. Ein weiteres Empfindungsseelenelement ist Dualität, auch das Entweder-Oder. »Himmelhochjauchzend – zu Tode betrübt« nennt es der Volksmund; »Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust«, lässt Goethe es seinen Doktor Faust sagen, 21wobei das Einschiebsel »ach« so charakteristisch für die Empfindungsseele ist. Zu ihr gehört auch das Seufzen. Ihre Dualität spiegelt sich in den großen Empfindungen von Sympathie und Antipathie, die wir auch Nähe und Distanz nennen können, in Lust und Unlust, Freude und Kummer und vielen Empfindungen mehr, bei denen die eine immer ihr Gegenüber hat und sucht.
Verstandes- oder Gemütsseele
Die Verstandes- oder Gemütsseele zeigt uns eine Besonderheit. Ist sie eine oder zwei, Verstand oder Gemüt? Gelegentlich ersetzte Steiner das Wörtchen »oder« durch ein »und«. Das kann uns auf die Spur führen: Sie ist das Seelenglied des Sowohl-als-Auch. Sie überwindet das Entweder-Oder der Empfindungsseele und verwandelt es zur Wirklichkeit des Miteinanders der Polaritäten oder Gegensätze, eben: Frau und Mann, Nacht und Tag, Oben und Unten usw.
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