Anna Croissant-Rust
Die alte Wirtin
Saga
Viel zu wenig bekannt ist noch immer die kräftige, eigenwillige Erzählungskunst von Anna Croissant-Rust. Unsere Geschichte von der alten Wirtin, die in der Todesstunde ihres letzten Enkels mit dem düsteren Gleichmut einer Norne aus den in ihr Gebetbuch eingelegten „Totenbildern“ die Geschichte ihrer vernichteten Familie abliest, zeigt, bis zu welcher männlichen Wucht die knappe Erzählweise der Dichterin sich steigern kann. Es wäre aber grundfalsch zu glauben, dass sie nur über diese Töne verfüge. Anna Croissant-Rust hat selbst einmal in einer Plauderei über ihre dichterische Entwicklung gesagt, das überströmende Gefühl, „dass die Welt so reich, so vielfältig, so wechsel- und deutungsreich sei“, habe sie zum Schreiben gedrängt. Alle ihre Werke, besonders der Erzählungsband „Arche Noah“, dem unsere Skizze entnommen ist, zeigen, dass ihre Kunst stark genug ist, dieses Gefühl auch auf ihre Leser zu übertragen. Besonders hervorgehoben zu werden verdient ihr Humor, der von einer ganz eigenartigen, herben Kraft ist. Er kommt vor allem in ihren Skizzen — zur Zeit unserer Grossväter hätte man sie Charakterstudien genannt — durch die vielsagende Kürze der Handlung zu seiner besten Wirkung. Wie meisterhaft die Dichterin es versteht, die Stimmung ihrer Porträts durch landschaftlichen Hintergrund zu vertiefen, kann der Leser gerade aus der vorliegenden Geschichte sehen.
Erwin Ackerknecht.
Der Erzählungsband „Arche Noah“ von Anna Croissant-Rust ist bei Georg Müller in München erschienen und kostet gebunden 5 Mark.
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