Hast du eine Idee, wie man junge Menschen mehr für Politik begeistern kann?
Eine politische Meinung zu äußern muss nicht immer über große Worte, eine große Plattform oder eine große Bühne passieren. Das kann auch im Hintergrund passieren, das kann auch anonym passieren. Du musst nicht immer irgendwo stehen und mit dem perfekten Wording deine Meinung äußern, weil Politik auch über Musik und andere Mittel vermittelt werden kann. Musik und Kunst sind popkulturell sehr wichtig, gerade für jüngere Menschen, um politische Inhalte zu vermitteln.
Würdest du sagen, dass solche Möglichkeiten besonders für Menschen, die nicht vom Gymnasium kommen oder nicht studiert haben, wichtig sind?
Ja, absolut. Als ich jünger war, war ich aktiv in Frauengruppen und habe mich da sehr schnell immer unwohl gefühlt, weil ich ein falsches Wort benutzt habe und es dann immer hieß: »Lies mal das! Bilde dich mal, so geht das nicht!« Ich konnte erst dazugehören, wenn ich das tue. Anstatt dass sie mir die Zeit lassen, das irgendwie anders zu lernen, oder dass sie es mir beibringen. Das hat mich dann auch wütend gemacht. Es gab aber auch andere Personen, die mir geholfen haben. Das ist total wichtig, denn sonst wäre ich nie da, wo ich jetzt bin, wenn die mir das nicht erklärt hätten, wie ich diese Texte verstehen kann, welches Wort was bedeutet und so. Wer möchte schon in einer Frauengruppe sitzen und über Themen reden, und dann heißt es sofort: »Hey, setz dich erst mal daheim hin und lies das, bevor du hier mitreden kannst!« Da geht man dann natürlich nicht mehr hin.
Wann fing denn bei dir das Interesse für Feminismus an?
Das müsste so vor zehn Jahren gewesen sein, als ich meine ersten Konzerte veranstaltet habe, wo dann auch viele Personen, Bands oder auch das Publikum sich mit diesen Themen befasst haben. Wo irgendwelche Vorfälle und Übergriffe passiert sind, die man dann auch als Außenstehende mitbekommt und hinterfragt, wie das passieren konnte. Als ich die Reaktionen von Opfern gesehen habe, habe ich viele gesellschaftliche Strukturen hinterfragt. Das Interesse an Feminismus war vielleicht schon früher da, aber ich habe es nicht so benennen können. Das war das erste Mal, dass ich eins und eins zusammengezählt habe, was ich so an Erfahrungen hatte, und dann, so vor acht Jahren, konnte ich es auch benennen.
Musik und Kunst sind popkulturell sehr wichtig, gerade für jüngere Menschen, um politische Inhalte zu vermitteln.
Was wäre deine Wunschvorstellung für die Zukunft?
Also am schönsten fände ichs, wenn solche Themen gesellschaftlich so verankert sind, dass man davon weiß und auch danach handelt. Also wenn ich merke, dass die Person neben mir was Blödes gesagt hat, dass ich mich dann auch traue, einzugreifen. Das machen jetzt schon ganz viele Personen, aber gesellschaftlich sind es immer noch so wenige, dass das Gefahren birgt. Da wünsche ich mir, dass jeder reflektiert, welche Aussagen und welche Taten welche Auswirkungen auf andere Personen haben. Natürlich ist ein Problem, dass man nie alle Themen auf dem Schirm haben kann, aber eine Grundhaltung sollte da sein, um zu erkennen, wo man handeln muss. Dann kann ich mir schon vorstellen, dass unsere Welt besser werden könnte. Wir hatten auf einem Konzert mal einen Vorfall, wo sich ein Mann nicht gut benommen hat. Da hat dann die Band und der ganze Raum aufgehört, dieses Konzert wahrzunehmen, und dann wurde gesagt: »Hey, entweder du entschuldigst dich jetzt oder du gehst.« Ich finde, es ist ein Fortschritt, zu sagen: »Hey, da sind unsere Grenzen oder da werden die Grenzen von anderen überschritten, das dulden wir nicht.« Wenn das gesellschaftlich ankommen würde, fände ich das sehr schön.
Was, denkst du, muss passieren, damit das ankommt in der Gesellschaft?
Erst mal Verständnis. Natürlich haben Typen nicht immer das große Interesse, femtrail zu lesen, weil es sie nicht interessiert. Aber dann muss einfach das Interesse so aufgebaut werden, indem die Thematik in den Alltag einfließt. Man muss halt manchmal einfach die Leute nerven, damit verstanden wird, warum man wütend ist.
Glaubst du, du kannst was dafür tun, dass sich da was ändert?
Ich glaube schon, dass ich eine recht gute Reichweite habe, um etwas zu ändern. Ich habe auch schon sehr viel Feedback bekommen von Männern, die zumindest angefangen haben, das Thema zu hinterfragen und zu reflektieren. Aber ich spezifiziere mich doch sehr auf Musik- und Queer-Themen, die natürlich nicht jeden ansprechen. Da gibt es für mich schon noch eine Hürde, so eine Relevanz zu haben, aber das ist auch völlig in Ordnung. Ich hoffe, dass ich mehr Leute motivieren kann, die eine Relevanz haben. Ich sehe nicht meine Rolle darin, die Arbeit komplett zu leisten. Aber mir ist es wichtig, Themen weiterzugeben, von denen ich Ahnung habe. Wenn weiße Menschen über Rassismus schreiben, denke ich mir: Du kannst als weiße Person nicht darüber reden, weil du diese Erfahrung nicht gesammelt hast. Bevor du was tust, überlege noch mal, ob du genug eigenes Wissen und Erfahrungen mitgebracht hast. In der Politik reden oft Personen, denen die persönliche Erfahrung fehlt. Die starten dann mit Informationen aus dritter Hand politische Aktionen. Allerdings: Politik ist kein leichtes Thema, weil man da mit Wissen rangehen muss. Erfahrungen und Wissen sind zwei unterschiedliche Dinge. Erfahrungen kann man sammeln, aber wie man am Ende damit umgeht, ist was anderes. Ob du das Geschehene durchdenkst oder nur oberflächlich berichtest. Es wären zwei unterschiedliche Texte, wenn zwei Personen über ein Erlebnis berichten würden und die eine Person einfach nur impulsiv berichten würde und die andere Person würde noch mal durchdenken, wie es dazu kommen konnte, wie sich die Person dabei gefühlt haben könnte. Das sind zwei unterschiedliche Messages, und da ist die impulsive Message oftmals gefährlicher, denke ich. Emotionale Aspekte sind oft schwierig, weil sie keine gute Grundlage sind, um eine politische Message rauszubringen. Da muss man checken, ob man zu emotional ist, um etwas auf einer neutralen Ebene zu betrachten.
In der Politik reden oft Personen, denen die persönliche Erfahrung fehlt.
Wobei ich mir schon vorstellen kann, dass gerade feministische Themen mit Emotionen verbunden sind. Viele Sachen, die da passieren, können ja wütend machen.
Ja, auf jeden Fall. Damit fangen sie ja an, aber sie so weiterzugeben, ist schwierig. Natürlich sind Demos und Aufstände das Wichtigste für mich, weil sie auch in der Vergangenheit gezeigt haben, dass sie Dinge verändert haben, die bis heute wichtig sind. Das sind alles emotionale Geschehnisse, aber man sieht auch in der Gesellschaft, wie emotionale und impulsive Geschehnisse aufgefasst werden und dass sie nicht mehr ernstgenommen werden. Deswegen habe ich schon Texte bis zu 20 Mal umgeschrieben, weil ich gemerkt habe, dass ich zu viel ausgeufert bin in meinen Gefühlen.
Link zum Blog: http://femtrail.blogsport.de/
»Was ist Deutschland für dich?«
Carolin (17)
Schülerin eines Gymnasiums, spielt Theater im Spielclub JES Open 1 in Stuttgart und ist Mitglied bei den Jungen Grünen
Du bist im Spielclub JES Open 1 des Jungen Ensembles Stuttgart. Wie bist du dazu gekommen?
Meine Schule hat verschiedene Austauschprogramme mit Partnerschulen. Das ist sehr breit ausgefächert: in Südafrika, Australien, Hongkong … Ich wollte mir diese Möglichkeit nicht entgehen lassen, in so einem geschützten Rahmen ins Ausland zu gehen und dort die Schule zu besuchen über die Sommerferien. Deswegen war ich sechseinhalb Wochen in Sydney in den letzten Sommerferien, und eins der Schulfächer dort war »Drama«.
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