Wissen die Menschen aus deinem Umfeld, dass du stickerst?
Ja, die meisten in meinem Freundeskreis stickern selbst. Und meine Familie weiß es auch. Die haben damit mittlerweile auch nicht mehr so ’n großes Problem, wobei die das nie krass gestört hat, weil sie wussten, dass ich vorsichtig bin und das nicht offensichtlich mache.
Wie war die Reaktion, als sie mitbekommen haben, dass du das machst?
Dadurch, dass ich mittlerweile in einem Freundeskreis bin, wo das normal ist, weiß ich gar nicht mehr, wie das am Anfang war. Meine Schwester beispielsweise hat das parallel angefangen. Als wir im Freundeskreis darüber gesprochen haben, dann meinten die so: »Wenn du noch Sticker hast, dann kannst du mir ja welche geben, dann können wir zusammen stickern.« Das war eigentlich eher ein offener Umgang damit, von Anfang an.
Hattest du deshalb auch schon mal Diskussionen?
Ja, mit einem Kumpel, der aber eigentlich alles hinterfragt. Der hat mich dann in die Enge getrieben sozusagen. Der meinte: »Das muss ja dann auch wieder jemand wegmachen«, und warum ich das unbedingt machen muss. Er wollte mich damit auch zum Nachdenken anregen, ob das wirklich sein muss. Aber sonst krasse Diskussionen eigentlich nicht.
Und wie war die Situation in der Diskussion mit dem Kumpel für dich?
Stressig, weil ich das Gefühl hatte, dass ich mich rechtfertigen muss, warum ich das mache. Davor musste ich noch nie darüber mit jemandem diskutieren, auch nicht mit meinen Eltern. Ich bin aber auch nicht zu denen hingerannt und hab gesagt: »Hey, ich sticker jetzt, was haltet ihr davon?« Sondern die haben die Sticker bei mir liegen sehen und dann auch welche im Ort. Aber das ist ja eher ein stiller Protest. Deshalb war das für die nicht so das Problem. Ich glaube, für sie wars besser, als wenn ich schon mit 17 auf krasse Demos gegangen wäre.
Was glaubst du, wäre ihr Problem mit den krassen Demos gewesen?
Wahrscheinlich, dass mir was passiert. Dadurch, dass ich aus einem kleinen Dorf komme, das über eine Stunde von Stuttgart weit weg ist. Irgendwann hab ich auch angefangen, auf Demos zu gehen, und bin dann nach Stuttgart reingefahren. Da haben meine Eltern schon gesagt: »Muss das wirklich sein? Pass auf dich auf!« Man kriegt halt in den Medien oft mit, dass Demos eskalieren können, dass es dann Polizeikessel gibt und man in Gewahrsam genommen wird. Und nachdem ich auf meiner ersten großen Demo war – da war ein AfD-Parteitag 2016 –, da gings schon morgens um 7 Uhr los, dass Straßenbarrikaden auf der Autobahn errichtet wurden. Meine Freundin und ich sind erst um 11.30 Uhr hin, da war dann das Größte schon vorbei. Aber als ich erzählt habe, dass wir auch in einem Polizeikessel gelandet sind und dass uns gedroht wurde, dass wir alle in Gewahrsam genommen werden, wenn wir jetzt nicht den Platz verlassen, da haben sie dann schon gesagt: »Oh Gott, nicht dass das passiert!«, und: »Nicht, dass du später Stress bekommst im Beruf!« Da haben sie sich schon Sorgen gemacht, aber so weit kam es zum Glück nie. Klar, Personenkontrollen vor den Demos, aber nicht, dass ich in Gewahrsam genommen wurde. Da hatte ich immer Glück.
Was hat für dich das Stickern mit Politik zu tun?
Das ist eine Art, seine politische Meinung zu äußern, denn auf den Stickern sind ja Aussagen drauf. Wenn man die verteilt, ist das im Prinzip, wie wenn man seine politische Meinung äußert, aber halt ein bisschen anonymer, als wenn ich auf Facebook poste.
Das ist eine Art, seine politische Meinung zu äußern, denn auf den Stickern sind ja Aussagen drauf. Wenn man die verteilt, ist das im Prinzip, wie wenn man seine politische Meinung äußert, aber halt ein bisschen anonymer.
Stellt das für dich eine spezielle Art von Politik dar? Und fällt dir ein Wort ein, wie du diese Form von Politik bezeichnen könntest?
Stiller Protest. Das trifft es ganz gut, weil man ja nichts sagen muss. Man kann nachts durch die Straßen laufen und die Sticker kleben, und am nächsten Morgen kommt vielleicht ein Bericht in der Zeitung. Ich weiß nicht, wie viele Leute, die selbst nicht stickern, auf diese Sticker achten, aber ich finde schon, dass man damit Menschen erreicht.
Es gibt ja auch Partei- oder Gremienarbeit. Wie unterscheidet sich das Stickern davon?
Zum einen bestehen Parteien und Gremien aus mehreren Menschen, das kann man nicht einfach allein machen. Und man macht sich in Parteien und Gremien auch angreifbar, wenn man eine andere Meinung hat als die Mehrheit. Man muss sich dann rechtfertigen für die eigene Meinung. Und wenn man stickert, kann man seiner Meinung Ausdruck verleihen, ohne dass man was dazu sagen muss.
Seit wann interessierst du dich überhaupt für Politik?
Das war Ende 2014, als diese Pegida-Bewegung so stark wurde. Da war meine damalige Lieblingsband auf Tour mit einer anderen Band. Diese andere Band hat dann ein Video veröffentlicht, auf dem sie ein Statement rausgehauen haben, dass sie das total scheiße finden, was Pegida macht, dass es menschenverachtend ist. Meine damalige Lieblingsband hat das geteilt, und dann habe ich mir das angeschaut. Ich habe das zwar schon in den Medien mitbekommen, auch meine Eltern schauen jeden Abend die Nachrichten, aber ich habe da nie so richtig zugehört. Aber nachdem ich dieses Video gesehen habe, habe ich gedacht: Okay, es ist schon nicht so cool, und habe mich dann mehr damit beschäftigt, was da eigentlich so abgeht, und habe dann auch vermehrt angefangen, Deutschpunk zu hören, wo es ja in den Texten oft um solche Strukturen geht, um das dann aufzudecken und zu kritisieren. Anfang 2015 bin ich das erste Mal auf eine Anti-Pegida-Demo gegangen. Da waren die ganze Zeit im Fernsehen die krassen Aufmärsche in Dresden und so zu sehen, da hatte ich das Gefühl, dass ich was machen und meinem Protest Ausdruck verleihen will.
Wie informierst du dich normalerweise über Politik?
Hauptsächlich übers Internet. Ich habe das Antifaschistische Aktionsbündnis (AABS) auf Facebook abonniert. Die halten einen immer auf dem Laufenden, was Demos und Aktionen angeht. Die veranstalten auch einmal im Monat ein Treffen. Da war ich, als ich nach Stuttgart gezogen bin, am Anfang drei, vier Mal. Da bekommt man auch immer viele Infos, und es gibt auch Arbeitsgruppen zu bestimmten Themen. Da war ich zwar nie dabei, aber so kriegt man trotzdem immer mit, was passiert. Z. B. wenn sich die Identitäre Bewegung Samstag morgens auf dem Schlossplatz versammelt oder so.
Setzt du selbst auch politische Beiträge ins Internet?
Ja, schon. Hauptsächlich über Instagram . In meiner Story teile ich viel, aber auch in meinem Beitragsfeed habe ich ein paar politische Sachen drin. Auf Facebook bin ich nicht so krass aktiv, aber manchmal teile ich da Sachen, aber eher musikbasierte Dinge, z. B. wenn ein Lied gerade über ein aktuelles Thema geschrieben wurde.
Machst du neben dem Stickern und Demos besuchen noch andere politische Sachen? Bist du beispielsweise in einer Gruppe?
Nee, das nicht. Wir haben bei uns im Landkreis versucht, was aufzubauen, das ist jetzt aber auch schon zwei bis drei Jahre her. Das war mit meinem Freundeskreis und noch ein paar Freunden von Freunden. Wir wollten eine Gruppierung aufbauen, um Strukturen in und um unsere Kreisstadt herum aufzudecken oder auch mal eine Demo zu organisieren. Es wurde dann auch eine organisiert, als die AfD mal da war. Aber dadurch, dass viele weggezogen sind, ist das dann leider im Sande verlaufen. Aber ansonsten: So richtig in einer Gruppe bin ich nicht. Wie gesagt, beim Antifaschistischen Aktionsbündnis war ich ein paar Mal, aber auch nicht regelmäßig.
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