155. Darius aber hielt es fast nicht aus, den ehrenhaftesten Mann so schmählig verstümmelt zu sehen, und sprang von seinem Throne mit einem Schrei und der Frage auf, Wer ihn so verstümmelt habe, und warum? Da sprach er: "kein Mensch, außer dir, hat solche Macht, um mich also zuzurichten; auch hat keine fremde Hand, mein König, Dieses an mir gethan, sondern ich selbst: so arg war mir's, daß die Assyrier den Perser lachen sollen." Darius antwortete: "du entsetzlicher Mensch, der schändlichsten That gibst du den edelsten Namen; daß du nämlich um der Belagerten willen dich so heillos zugerichtet hast! Und werden nun, du Thor, da du verstümmelt bist, die Feinde um so schneller zu Paaren gehen? Hast da nicht vielmehr den Verstand aufgegeben, daß du dich so verunstalten konntest?" Da sprach er: "wenn ich mein Vorhaben dir erst vorgelegt hatte, so hättest du mir's nicht zugelassen; nun habe ich auf meine eigene Faust gehandelt. Und wofern es auf deiner Seite nicht fehlt, so nehmen wir jetzt Babylon ein. Ich nämlich will, wie ich da bin, in die Feste überlaufen, wo ich aussagen werde, du habest mich so gemißhandelt, und sofort hoffe ich auf den Glauben hin, daß dem also sey, ihr Heer in die Hand zu bekommen. Du aber stelle von dem Tage, da ich in die Feste - gehe von da am zehnten Tage stelle von demjenigen Theile deines Heeres, um den es nicht eben schade ist, tausend Mann an das sogenannte Thor der Semiramis, und nach diesem zehnten Tage wieder am siebenten stelle mir andere Zweitausend an das sogenannte Ninische Thor; und nach diesem siebenten laß zwanzig Tage aus: dann schicke mir wieder vor das sogenannte Chaldäische Thor Biertausend hin. Doch sollen weder die Frühern, noch Diese, eine Wehr haben, außer ihren Messern, welche man ihnen lassen mag. Nach dem zwanzigsten Tage aber befiehl geradezu dem ganzen Heere, die Feste ringsum zu berennen: nur die Perser stelle mir an das sogenannte Belische und Cissische Thor. Denn ich halte dafür, nach solcher Ausführung von großen Thaten werden die Babylonier mir Alles anvertrauen, und namentlich auch die Schlüssel der Thore. Alsdann aber will ich mit den Persern dafür sorgen, Was weiter zu thun ist."
156. Nach diesem Auftrage ging er unter häufigem Umwenden auf's Thor los, als wie ein rechter Ueberläufer. Da nun die dazu Aufgestellten ihn von den Thürmen herab erblickten, liefen sie hinunter, machten den einen Thorflügel ein wenig auf, und fragten, Wer er sey und Was er wolle? Er gab ihnen den Bescheid, daß er Zopyrus sey und als Ueberläufer zu ihnen komme. Auf diese Antwort führten ihn die Thorhüter vor die Obrigkeiten von Babylon. Und als er vor diesen stand, ergoß er sich in Klagen, und gab an, daß ihm Darius Das gethan hätte, was er sich selbst gethan hatte; und zwar darum, weil er ihm den Abzug des Heeres ans gerathen hätte, da ja kein Weg zur Eroberung zu sehen sey. "Und nun," sprach sofort, "komme ich euch, ihr Babylonier, zum größten Vortheile, dem Darius aber und seinem Heere und den Persern zum größten Schaden. Denn wahrlich, diese Vierschändung meiner soll ihm nicht so hingehen, und ich kenne alle seine Anschläge rechts und links."
157. So sprach er; und die Babylonier, die den ehrenhaftesten Perser an Ohren und Nase verstümmelt und mit Blutstriemen bedeckt sahen, glaubten zuversichtlich, er sage die Wahrheit und komme zu ihnen als Mitstreiter, und was sey bereit, ihm, Was er verlangte, anzuvertrauen. Und er verlangte ein Heer. Und als er dieses von ihnen bekommen, machte er's so, wie er's mit Darius verabredet hatte. Er führte nämlich am zehnten Tage das Heer der Babylonier hinaus, umzingelte die Tausend, welche zuerst zu stellen er dem Darius aufgegeben hatte, und hieb sie zusammen. Nun waren die Babylonier von ihm überzeugt, daß er seinen Worten mit den Thaten nachkomme, und in der größten Freude vollends bereit, ihm Alles nach Willen zu thun. Nach Auslassung der bestimmten Tage führte er dann wieder eine erlesene Schaar der Babylonier hinaus, und hieb die Zweitausend vom Kriegsvolke des Darius zusammen. Und nun hatten die Babylonier, auf diese neue That hin, den Zopyrus mit beständigem Lobe auf der Zunge. Und wiederum nach Auslassung der bestimmten Tage führte er sie auf den vorbesprochenen Platz hinaus, wo er auch die Biertausend umzingelte und zusammenhieb. Wie er nun auch Dieses ausgeführt hatte, da war Zopyrus Alles in Babylon, und wurde zu ihrem Heerführer und Befehlshaber ihrer Feste ernannt.
158. Als aber Darius die Feste verabredetermaßen ringsum berennen ließ, da zeigte Zopyrus erst seine ganze Lift. Denn während die Babylonier auf die Mauern stiegen und das ernennende Heer des Darius abwehrten, öffnete Zopyrus das sogenannte Cissische und Belische Thor, und ließ die Perser ein in die Feste. Diejenigen Babylonier nun, die den Streich sahen, flohen in das Heiligthum des Zeus Belos; die es aber nicht sahen, blieben überall auf ihren Posten, bis auch sie inne wurden, wie sie verrathen waren.
(Darius erobert Babylon 516 v. Chr.)
159. So also wurde Babylon zum Zweitenmal eingenommen. Darius aber ließ, sobald er der Babylonier Herr war, erstlich ihre Mauern einreißen und alle Thore abbrechen; da Cyrus bei der frühern Eroberung von Babylon deren Keines gethan hatte; sodann ließ Darius vom Volke an Dreitausend ihrer Häuptlinge auf Pfähle spießen, und den übrigen Babyloniern gab er die Stadt wieder zur Wohnung. Daß aber die Babylonier Weiber hätten, damit sie eine Nachkommenschaft bekämen, dafür sah Darius folgendermaßen vor. Weil nämlich die Babylonier ihre eigenen, wie gleich von Anfang ist angezeigt worden, erwürgt hatten, so legte er den umwohnenden Völkerschaften auf Weiber nach Babylon zu liefern, und zwar den Einzelgen in verschiedenen Lieferungen so viel, daß die Gesamtzahl der Weiber fünfzigtausend ausmachte. Und von diesen Weibern kommen die jetzigen Babylonier her.
160. Zopyrus aber ist an Thatenverdienst, nach dem Urtheile des Darius, von keinem Perser übertroffen worden, weder nach ihm, noch vor ihm, außer von Cyrus allein; welchem sich nämlich kein Perser jemals zu vergleichen erlaubt. Und oft soll Darius die Aeußerung gethan haben, er wollte lieber den Zopyrus frei von seiner Verunstaltung, als noch zwanzig andere Babylon haben. Auch ehrte er ihn hoch, indem er ihm die Geschenke, welche bei den Persern die ehrenvollsten sind, alljährlich schenkte, und ihm für sein ganzes Leben Babylon ohne Zins zu verwalten gab. Dieses Zopyrus Sohn ist Megabyzus, 146der in Aegypten gegen die Athener und ihre Bundesgenossen Feldherr war; und dieses Megabyzus Sohn ist Zopyrus, welcher aus Persien als Ueberläufer nach Athen kam. 147
88462 vor Chr. unter König Artaxerxes.
89457 oder 456 v. Ch. unter Artaxerxes.
90408 v. Ch. unter Darius Nothus.
91Herodot gebraucht das Wort, welches nachmals Glas bezeichnete. Das Glas war zwar dem Herodot wahrscheinlich auch schon bekannt, wenn der Ausdruck: "gegossener Stein, Gußstein," welcher II, 69. vorkommt, mit Recht auf Glas gedeutet wird. Aber dann folgt eben daraus, daß an unserer Stelle nicht Glas gemeint seyn kann, da sich hier Herodot eines andern Ausdrucks bedient, welcher, ehe er die Bedeutung "Glas" erhielt, jede durchsichtige Masse, wie Steinsalz, Bernstein, Harz u. s. w. bezeichnete.
92Man will, nach andern Angaben, lieber lesen: Dreieck.
93Auch hier ändern Einige: unter der Zunge.
94Herodot dachte vielleicht an Apoll.
95Eines Fäustlings-, oder richtiger Halbellenmännleins (denn Pygme war ein Längenmaß von der Ellenbogenspitze bis zur gebauten Faust). Von den Pygmäen spricht Homer in der Iliade (III, 2. ff.), die Schlachtmusik der Troer habe gelautet, Wie der Kraniche rauschender Klang vom Himmel herabtönt, Welche, so oft sie dem Winter entfloh'n und unendlichen Schauern, Zu des Oceanos Strömen im Flug mit rauschendem Klang zieh'n, Dem Pygmäengeschlecht Mord bringend und Todesverhängniß. Duftige Frühzeit ist es, wenn schlimmen Streit sie beginnen.
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