(Helena 1290.)
3. Im zweiten Geschlechte darauf, sagen sie, habe Alexander, des Priamus Sohn, Solches gehört, und sey Willens geworden , aus Hellas durch Raub zu einem Weibe zu kommen, ganz überzeugt, daß er keine Buße geben werde: gäben doch Jene auch keine. Da er also wirklich die Helena raubte, hätten die Hellenen erachtet, zuvorderst durch Abgesandte die Helena zurückzufordern und Buße zu fordern für den Raub. Die Andern aber, als man Dieses vortrug, hätten ihnen den Raub der Medea vorgerückt: wie sie, welche selbst keine Buße gegeben und auf Rückforderung Nichts ausgeliefert hätten, wollen könnten, ihnen solle von Andern Buße erstattet werden?
4. Bis dahin also seyen Das bloße Raubstücke auf beiden Seiten; aber von da an trügen die Hellenen die Hauptschuld. Denn es hätten Dieselben eher angefangen, nach Asien Krieg zu führen, als sie (die Perser) nach Europa. Zwar Die, welche Weiber rauben, halten sie für frevelhafte Menschen, Die aber, welche wegen der Geraubten eifern um Rache, für Thoren; Die hingegen, welche keine Rücksicht nehmen auf die Geraubten, für Kluge. Denn offenbar, wo: fern sie nicht selbst gewollt hätten, wären sie wohl nicht geraubt worden. Sie einmal, die Asiaten, sagen die Perser, hätten nach den geraubten Weibern Nichts gefragt; die Hellenen aber hätten um eines Lacedämonischen Weibes willen ein großes Schiffsheer zusammengebracht, seyen darauf nach Asien gezogen und hätten des Priamus Macht zu Grunde gerichtet. Seit Diesem hätten sie immer, was Hellenisch ist, für ihren Feind angesehen. Asien nämlich und die inwohnenden Barbaren-Völker rechnen die Perser zu sich, Europa aber mit dem Hellenischen sehen sie für abgesondert an.
(Troja zerstört 1270.)
5. So sagen denn die Perser, daß es ergangen sey, und finden in der Eroberung Ilium's den Anfangsgrund ihrer Feindschaft gegen die Hellenen. Ueber die Io aber stimmen mit den Persern die Phönizier nicht überein. Denn nicht auf dem Wege des Raubes hätten sie Dieselbe nach Aegypten geführt; sondern in Argos, sagen sie, habe sie Umgang mit dem Herrn jenes Schiffes gepflogen, und, weil sie inne geworden, daß sie schwanger war, vor den Eltern sich gefürchtet, und so sey sie freiwillig mit den Phöniziern weggeschifft, auf daß sie nicht offenbar würde. - Dieß ist es denn, was die Perser und die Phönizier sagen; ich aber lasse mich hier nicht darauf ein, ob Dieses so oder anders geschah; aber er, nach meinem eignen Wissen, den ersten Anfang gemacht hat mit Beleidigungen gegen die Hellenen, der soll von mir an: gezeigt werden: dann will ich weiter in der Geschichte vorschreiten, und gleichermaßen kleine und große Städte der Menschen durchgehen. Denn Was ehemals groß war, das ist meist klein geworden, und Was groß war zu meiner Zeit, war vorher klein. In Erkenntniß also des menschlichen Glückes, wie es nirgends in seinem Stande verbleibt, will ich Beider in Gleichem gedenken.
(Krösus von Lydien 560.)
6. Krösus war ein Lydier von Geschlecht, Sohn des Alyattes und Herr der Völker diesseits des Halysstromes, 17welcher von Mittag fließt zwischen den Syriern und Paphlagoniern, und ausströmt gegen den Nord in den sogenannten Pontus Euxinus (schwarze Meer). Dieser Krösus hat zuerst unter den Barbaren, von denen ich weiß, einen Theil der Hellenen unterworfen zur Zinsentrichtung, Andere zu Freunden gewonnen: unterworfen nämlich die Ionier, Aeolier und Dorier in Asien, zu Freunden gewonnen die Lacedämonier. Bor Krösus Herrschaft aber waren die Hellenen Alle frei. Denn der Cimmerier Heereszug, der über Ionien gekommen und älter als Krösus ist, war keine Unterwerfung der Städte, sondern räuberischer Ueberfall.
(Herakliden, Könige Lydiens 1221-716.)
7. Die Regierung war aber von den Herakliden, den frühern Herren, folgendermaßen auf das Geschlecht des Krösus, die sogenannten Mermnaden, übergegangen. Kandaules, den die Hellenen Myrsilus nennen, war ein Herr zu Sardes und Enkel des Alcäus, Sohnes von Herakles. Agron nämlich, Sohn des Ninus, Sohnes von Bel, Sohnes von Alcäus, war, der erste von den Herakliden, König zu Sardis; Kandaules, des Myrsus Sohn, der lebte. Vor Agron aber waren Könige über dieß Land die Abkömmlinge von Lydus, des Atys Sohn, von welchem dieses ganze Volk, zuvor das Mäonische genannt, das Lydische genannt wurde. Durch Uebertragung von Diesen kam die Herrschaft nach einem Götterspruch an die Herakliden, Nachkommen des Herakles und einer Sklavin des Iardanus; und Diese herrschten zweiundzwanzig Menschenalter lang, fünfhundert und fünf Jahre, da die Herrschaft immer vom Vater auf den Sohn überging, bis auf Kandaules, Myrsus Sohn.
8. Dieser Kandaules nun war sehr in seine Frau verliebt, und in dieser Liebe meinte er, er habe bei weitem die allerschönste Frau. Dieser Meinung zufolge pflegte er dem Gyges, Daskylus Sohne, einem seiner Trabanten, der nämlich sein Liebling war, und dem er die wichtigsten Geschäfte auftrug, besonders auch die Schönheit seiner Frau über die Maßen zu preisen. Es dauerte nicht lange (denn es sollte dem Kandaules übel gehen), so sagte er zu Gyges Folgendes: "Gyges, weil es mir vorkommt, ich überzeuge dich nicht mit Worten über die Schönheit meiner Frau (denn die Ohren der Menschen sind einmal ungläubiger, als die Augen): mach' daß du sie nackend schauen kannst." Der aber schrie hoc, auf und sprach: "Herr, was sagst du da für ein verkehrtes Wort, und heißest mich meine Herrin nackend Schauen? Denn wie ein Weib das Kleid auszieht, so ziehet sie zugleich die Scham ans. Längst aber haben die Menschen, was wohl ansteht, gefunden, woraus man Lehre nehmen soll. Eines darunter ist: Das zu betrachten, was Einem zukommt. Ich glaube nun, daß Jene unter Allen Frauen die schönste ist; und von dir begehr' ich, daß du nichts ungebührlidies begehrest."
9. Dieser also stritt mit solchen Worten dagegen, aus Furcht, es möchte ihm daraus ein Uebel entstehen. Jener aber antwortete darauf: "Sey getrost," Gyges, und fürchte dich nicht, weder vor mir, als versuch' ich dich mit dieser Rede, noch vor meiner Frau, daß dir von ihr ein Leid geschehen möchte. Denn von Anfang will ich es so einrichten, daß sie nicht einmal merkt, von dir gesehen zu seyn. Ich will dich nämlich in das Gemach, worin wir schlafen, hinter die geöffnete Thüre stellen. Bin ich eingetreten, so wird sich auch meine Frau einfinden, um zu Bette zu gehen. Nun steht neben dem Eingang ein Sessel; auf diesen wird sie von den Gewanden eines nach dem andern beim Ausziehen hinlegen, und in voller Ruhe dir gewähren, sie zu schauen. Wenn sie aber vom Sessel hinweg schlafen geht, und du ihr in den Rücken zu stehen kommst, so hast du alsdann dafür zu sorgen, daß du ungesehen von ihr durch die Thüre kommst."
10. Gyges ließ sich denn, da er nicht ausweichen konnte, bereit finden, und Kandaules führte ihn, als es ihm Schlafenszeit dünkte, in das Gemach, worauf sich auch seine Frau alsbald einfand. Wie sie herein kam, und die Kleider ablegte, schaute sie Gyges. Als er aber der Frau, da sie zu Bette ging, in den Rücken kam, schlüpfte er durch und hinaus. Da erblickte ihn die Frau im Hinausgehen. Sie merkte, Das sey von ihrem Manne angelegt, that aber keinen Schrei vor Scham, noch schien sie's zu merken; entschlossen, sich an Kandaules zu rächen. Denn bei den Lydiern, und fast bei allen Barbaren, gilt selbst einem Manne, nackend gesehen zu werden, für große Schande.
11. Für jetzt also äußerte sie Nichts, und hielt sich ruhig; sobald es aber Tag geworden war, nahm sie von den Hausdienern, welche sie für ihre getreuesten erkannt hatte, ließ sie bereit seyn, und den Gyges rufen. Dieser in der Meinung, sie wisse Nichts von dem Geschehenen, folgte dem Ruf. Denn er war früher schon gewohnt, die Königin, wenn sie ihn rufen ließ, zu besuchen. Als aber Gyges kam, sagte die Frau Dieses: "Siehe, unter zwei vorliegenden Wegen, Gyges, geb' ich dir nun die Wahl, zu welchem von beiden du dich, wenden willst: entweder tödtest du den Kandaules und erhältst mich und das Königreich, der Lydier; oder du selbst mußt alsbald, wie du bist, sterben, auf daß du nicht, in Allem dem Kandaules zu Willen, noch künstighin sehest, was du nicht sollst. Ja, entweder muß Jener, der Soldes angelegt, umkommen, oder du, der mich nackend geschaut und gethan hat, was sich, nicht gebühret."
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