Martin Flesch
Seelische Leiden durch Migration
– Anmerkungen eines Psychiaters –
Martin Flesch
Seelische Leiden durch Migration
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1. Auflage 2021
© 2021 Echter Verlag GmbH, Würzburg
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Der Umwelt zuliebe verzichten wir bei diesem Buch auf die Folienverpackung.
Cover: Vogelsang Design, Jens Vogelsang, Aachen (Foto: Magsi|Shutterstock)
Satz: Satzsystem metiTec, me-ti GmbH, Berlin
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
ISBN 978-3-429-05663-6 (Print)
ISBN 978-3-429-05174-7 (PDF)
ISBN 978-3-429-06540-9 (ePub)
dem großen Menschenanwalt
Dr. phil. Rupert Neudeck 1
–Gründer des KOMITEE CAP ANAMUR / Deutsche Notärzte e. V., dem Verein für ärztlichen Dienst in Übersee –
Missionsärztliches Institut Würzburg 1
der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen(Médecins Sans Frontières) 1
e. V., dem Träger des Friedensnobelpreises
sowie:
Abbas aus Syrien– Abdi aus Somalia– Amamji aus dem Irak– Abdulshekur aus Äthiopien– Abdulmonir aus Afghanistan– Abjandaze aus Georgien– Abu aus Palästina– Rumisa aus Tschetschenien– Arman aus Armenien– Ahmad Pour aus dem Iran– Gjiusefan aus Mazedonien– Sami aus Jordanien– Malika aus Aserbaidschan– Edo aus Russland– David aus Kuba– Amin aus Pakistan– Sara aus Eritrea– Omar aus Mali– Sifia aus Kasachstan– Chen aus China– Cherif von der Elfenbeinküste– Nerdivana aus dem Kosovo– Fofana aus Sierra Leone– Diop aus dem Senegal– Egiauruoyi aus Nigeria– Abdi aus Simbabwe– Mayam aus Dschibuti– Elvira aus der Ukraine– Sandin aus Bosnien– Komilov aus Tadschikistan– Olga aus Slowenien– Elvis aus Serbien– Mossein aus der West-Sahara– Saine aus Gambia– Waziri aus Kamerun
– stellvertretend für die vielen weiteren geflüchteten und asylsuchenden
Frauen, Männer und Jugendlichen, vor deren
Überlebenswillen und deren Lebenszugewandtheit
wir uns tief verneigen – 2
Vorwort
Breathing under water – „Unter Wasser atmen“
I.PROLOG – Das Grenzsyndrom
II.Kasuistik 1: Im Sinkflug (Alik & Nure) – Ukraine
III.Plattform – Seelentröstung
IV.Intermezzo – Perspektivenwechsel
V.Kasuistik 2: Folter (Moussa) – Syrien
VI.Plattform – Vorhölle
VII.Intermezzo – Kinderseelen
VIII.Kasuistik 3: Tumor (Helena & Svetlana) – Armenien
IX.Plattform – Todesursache: Flucht
X.Intermezzo – Das Meer
XI.Kasuistik 4: Ohnmacht (Zekri) – Afghanistan
XII.Plattform – Bewertung seelischen Leidens
XIII.Intermezzo – Petition
XIV.Kasuistik 5: Beschneidung (Diu) – Elfenbeinküste
XV.Plattform – TRAUMA I: Die seelische Verletzung
XVI.Intermezzo – Appelle an die Menschheit I
XVII.Kasuistik 6: Widerstand (Maryam) – Bosnien
XVIII.Plattform – TRAUMA II: Fassen des Unfasslichen
XIX.Intermezzo – Appelle an die Menschheit II
XX.Kasuistik 7: Nur eine Nummer (Fathma) – Somalia
XXI.Plattform – TRAUMA III: Posttraumatische Störung
XXII.EPILOG – Die seelischen Leiden durch Migration
Ausklang
Statt eines Nachwortes: Interview
LITERATUR & ANMERKUNGEN
BILDNACHWEIS
RECHTENACHWEIS
Das vorliegende Buch will den vielfachen seelischen und teils kaum zu ermessenden Leidensstrukturen der im Zusammenhang mit unserem psychiatrischen Versorgungsangebot gesehenen Migranten, Flüchtenden und Asylsuchenden eine Stimme geben und aus ärztlich-psychiatrischer Sicht auf diese politisch und gesellschaftlich immer noch viel zu wenig beachteten und mitunter dramatisch-existenziell auftretenden Phänomene hinweisen.
Namenloses Leid und „stumme“, also lautlose Schreie, begegnen uns vielfach in Statistiken und übersichtsartigen Berichtsstilen aus einer weit entfernten Vogelperspektive.
In dem Augenblick jedoch, indem diese Leidensgeschichten, Verletzungen, Kämpfe, persönlichen Niederlagen und Bewältigungsversuche eine Stimme und ein Gesicht erhalten, werden sie für uns alle erfahrbar. Die Möglichkeit eines Mitleidens bleibt dann nicht mehr auf den diffusen und ungefähren Raum begrenzt. Jetzt haben wir die Gelegenheit, Empathie ganz konkret wirksam werden zu lassen, im Gegenüber, durch ärztliche, pflegerische, heilpädagogische und sonstige jedwede ehrenamtliche Hilfe und Zuwendung.
Im November 2014, zum damaligen Zeitpunkt als selbstständiger forensisch-psychiatrischer Gutachter in Gerichts- und Prognoseverfahren in eigener Gutachtenpraxis tätig, beschloss ich, in Zusammenarbeit mit dem Team Migrantenmedizin des Missionsärztlichen Instituts Würzburg in einer größeren Gemeinschaftsunterkunft für Migranten in Würzburg auf ehrenamtlicher Basis eine wöchentliche (sogenannte) akutpsychiatrische Sprechstunde zur Akutversorgung psychiatrischer Erkrankungen bei Asylsuchenden anzubieten.
Zu Beginn dieses Projektes konnte man zunächst nur erahnen, dass dieses Angebot von den Betroffenen hochfrequentiert wahrgenommen werden würde.
Im Laufe der zurückliegenden sechs Jahre entwickelte sich aus einer einfach strukturierten ärztlichen Sprechstunde eine sich mittlerweile stetig vergrößernde Struktur einer Sozialpsychiatrischen Migrationsambulanz.
Im Rahmen der stetigen Veränderungen von Qualitätsanforderungen an ärztliche Zeugnisse, Atteste und Gutachten im Asylrecht entwickelte sich die immer spezifischer eingeforderte psychiatrische Beurteilung von psychischen Erkrankungen im Sinne von kurzfristig erstellten und einfach strukturierten ärztlichen Attesten über psychiatrische Kurzgutachten hin zu einer nun regelmäßiger vorgenommenen psychiatrischen Gutachtertätigkeit im Asylrechtsverfahren.
Die Inhalte dieser psychiatrischen Gutachten verliehen den betroffenen Migrantinnen und Migranten eine konkrete individuelle Stimme und Sprache ihrer seelischen Leiden. In diesem Kontext kam somit nicht nur die Genese ihres Störungsbildes zum Ausdruck, sondern auch ihre ganz persönliche Entwicklung und Biografie, somit also die strukturellen und phänomenologischen Ursachen, die zu diesen Krankheitsbildern geführt hatten. Das immense psychische und seelische Leidenspotenzial, welches bei den Asylsuchenden im Zusammenhang mit ihrer Migrations- und Fluchtgeschichte ausgelöst wurde, fortbestand und zum Untersuchungszeitpunkt immer noch andauerte, wurde somit transparent, erfahrbar und bekam letztlich einen Namen.
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