Die Sache mit der Perücke hat sie Tessy anscheinend nicht übelgenommen, denn sie jubelte sofort, als wir in der Tür auftauchten: »Ja, da ist ja mein süßer kleiner Racker! Und einen Freund hat sie auch mitgebracht, wie ent-zük-kend!«
Dann hat sie uns beiden Kekse geschenkt.
Eine Redaktion besteht aus lauter kleinen Glaskästen, in denen die Leute sitzen und die Zeitung machen. So heißt das nämlich in der Fachsprache.
Meist arbeiten sie zu zweit in solch einem Glaskasten, nur Michael und der Chefredakteur haben jeder einen für sich.
Michael ist, wie Du weißt, Roman- und Serienchef, deshalb muß er viel lesen und braucht Ruhe.
Der Chefredakteur hat nie Ruhe, sondern wird dauernd von jemandem gestört. Deshalb wäre es eine Zumutung, einen zweiten Mitarbeiter in sein Büro zu setzen – der käme nämlich nicht zum Arbeiten.
Der Chefredakteur – er heißt Herr Halberstein – hat einen Ledersessel mit breiten Armlehnen und den größten Schreibtisch in der Redaktion. Den braucht er auch, weil die Platte mit Manuskripten, Bildern, Briefen, Telefonen und allem möglichen Krimskrams so vollgepackt ist, daß der bedauernswerte Herr Halberstein ununterbrochen etwas sucht.
Als wir kamen, stöberte er gerade nach einer schlecht geschriebenen Reportage von Frau Müller-Küppers über König Konstantin von Griechenland.
Frau Müller-Küppers war bei ihm. Da sich Michaels Büro nebenan befindet und außerdem noch eine gläserne Verbindungstür hat, konnten wir alles mithören und sehen.
Herr Halberstein war ganz schön geladen, aber Frau Müller Küppers öffenbar nicht so beeindruckt, wie sie sollte. Sie ist ein intellektueller Typ mit dunkelgetönter Brille und einem glatten Pagenkopf. Den schmächtigen Herrn Halberstein überragte sie um mindestens fünfzehn Zentimeter.
»Sie haben den Trend unseres Blattes offenbar immer noch nicht begriffen«, sagte Herr Halberstein, während er die Stapel auf seinem Schreibtisch durchwühlte. »Allein die Überschrift... Verdammt, wo ist das Ding denn nur! Ach, hier! ›Wie ein König sich das Exil versüßt!‹«
Anklagend wedelte er mit ein paar Schreibmaschinenseiten vor Frau Müller-Küppers’ Nase herum.
»Das ist doch kein Thema für ›Blickpunkt der Frau‹. Wir bringen Schicksale, die zu Tränen rühren! Das Außergewöhnliche, das, wovon Agathe Hasenohr nur zu träumen wagt und was sie nie erlebt. Verstehen Sie? Sie müssen sich in Agathe Hasenohr hineinversetzen – was sage ich, Sie müssen sie lieben. Dann erst können Sie schreiben, was ihr ans Herz greift.«
Ich wollte von Tessy wissen, wer denn Agathe Hasenohr sei, weil ich den Namen noch nie gehört hatte, aber sie schüttelte nur den Kopf.
Drinnen bei Herrn Halberstein erwiderte Frau Müller-Küppers: »Aber das steht doch alles in dem Artikel.«
»Unsinn!« schnaubte Herr Halberstein. »Da stehen lauter miese Sachen drin von Eheschwierigkeiten, angeblichen ›ständigen Begleiterinnen‹ des Königs und nächtlichem Dolce vita.«
»Ja und? Wenn es doch wahr ist...«
»Wahr, wahr! Kommen Sie mir bloß nicht damit. Es gibt viele Wahrheiten. Für unser Blatt muß das anders aufgezäumt werden. Machen Sie sich mal ein paar Notizen. Schlagzeile: Ruhelos irrt ein König durch die Nacht. Darunter in halbfett: Konstantin von Griechenland ist ein gebrochener Mann. Ein König ohne Krone. Ein Mensch ohne Heimat. Seit Jahren kämpft er um Vergessen. Die Frau an seiner Seite kämpft mit ihm – und leidet mit ihm. Aber die Wunden der Vergangenheit wollen nicht heilen.«
Herr Halberstein holte tief Atem.
»So, und nun weiter im Text. Schreiben Sie, daß der König jeden Abend im Radio den Wetterbericht aus Athen hört. Aus Heimweh! Schreiben Sie, daß die Königin mit den Kindern währenddessen das Nachtgebet auf griechisch spricht. Und eine Ehekrise? Quatsch. Anne-Marie von Griechenland ermuntert ihren Gemahl, manchmal ein wenig aus sich herauszugehen, etwas zu unternehmen, damit er sich nicht in seinem Kummer vergräbt. Sie selbst möchte wie jede gute Mutter die Kinder nicht allein lassen, deshalb bleibt sie daheim.«
»Aber das stimmt doch nicht«, wandte Frau Müller-Küppers ein. »Die Kinder werden vom Personal betreut.«
»Sagen Sie!« donnerte Herr Halberstein. »Und wie soll Agathe Hasenohr das unter einen Hut bringen? Eine Frau, die abends mit ihren Kindern griechische Nachtgebete spricht und sie anschließend der Obhut bezahlter Dienstboten überläßt, um sich zu amüsieren – das paßt nicht zusammen. Wir müssen den Leserinnen klarmachen, daß die Königin ganz in ihren Mütterpflichten aufgeht, daß sie sich aber gleichzeitig der Liebe ihres Gatten so sicher ist, daß er ruhig mal einen Abend in Darhengesellschaft verbringen kann. Ein Schuft, wer Schlechtes dabei denkt! Die Königin bekommt täglich einen Strauß weißer Rosen aus Athen von ihm, eigens eingeflogen. Und die stellt sie dann in ihrem Salon neben die Silberschachtel, in der sich griechische Erde befindet – das einzige, was das Königspaar seinerzeit bei seiner Abreise ins Exil mitgenommen hat.«
»Guter Gott«, sagte Frau Müller-Küppers erschüttert. »Das glaubt uns doch kein Mensch.«
»Nicht? Ich sage Ihnen, über solch einem Bericht werden die Frauen ihren Kuchen im Herd verbrennen lassen. Außerdem – woher wollen Sie wissen, ob der König nicht jeden Abend den Athener Wetterbericht hört, um zu erfahren, ob in Griechenland die Sonne scheint, und ob die Königin nicht mit ihren Kindern zur Nacht betet – in der Heimatsprache? Es wäre doch menschlich. Und menschlich müssen wir sein, Frau Müller-Küppers. Das erwarten unsere Leser von uns, und darauf haben sie ein Anrecht.«
Ich muß sagen, liebes Frauchen, ich war sehr beeindruckt von Herrn Halberstein, wie er so mir nichts, dir nichts einen Artikel aus dem Ärmel schüttelte.
Zwar interessiere ich mich nicht besonders für Könige und Königinnen, aber schließlich ist »Blickpunkt der Frau« ja auch keine Hundezeitschrift.
Und die Sache mit der griechischen Erde fand ich geradezu rührend. Sollten wir einmal umziehen, möchte ich auch ein bißchen Erde aus unserem Vorgarten mitnehmen. Vielleicht von den Tulpenbeeten, in denen ich immer so gerne kratze.
Tessy allerdings rümpfte die Nase.
»Dieser Halberstein ist verkitscht, deshalb macht er auch eine verkitschte Zeitung. Besser wäre es, den Leuten einen gesellschaftskritischen Spiegel vorzuhalten. Phhh, wie kann man in der heutigen Zeit abgedankte Könige verherrlichen?«
»Aber wenn manche das gern lesen?« fragte ich zaghaft. »Wir leben doch in einer Demokratie. Da hat meines Wissens jeder das Recht, sich nach seinem Geschmack zu informieren oder zu unterhalten.«
»Es gibt gute und schlechte Geschmäcker«, entgegnete Tessy kühl. »Die schlechten darf man nicht unterstützen.«
»Aha. Und wer bestimmt, was schlecht ist?«
»Na, ganz einfach. Die Leute mit dem guten Geschmack.«
»Hör mal, Tessy«, sagte ich. »Das ist doch alles relativ. Du zum Beispiel siehst im Fernsehen die Hitparade gern. Anderen geht sie auf die Nerven. Wer hat nun recht mit seiner. Beurteilung?«
»Ich natürlich«, erwiderte Tessy und sprang auf den Besuchersessel, wo sie sich zusammenrollte.
Du siehst, liebes Frauchen, man kann mit Tessy nicht sachlich diskutieren. Deshalb ließ ich es auch bleiben und wollte gerade unter Michaels Schreibtisch ein Nickerchen machen, als die Tür zum Büro aufging und der Verleger hereinkam.
Ein Verleger ist, wie Du weißt, der Boß eines Verlages.
Mit verlegen allerdings im Sinne von verschusseln und nicht mehr wiederfinden hat seine Tätigkeit nichts zu tun. Herr Rombach verlegt die Zeitschrift »Blickpunkt der Frau«, und das bedeutet, daß er alle Rechnungen und Gehälter bezahlt und seine Unkosten hinterher von den Käufern zurückholt.
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