Sie sitzt herum wie ihr eigenes Denkmal und wird nur ein bißchen lebhaft, wenn sie sich die Haare kämmt, ihr Make-up erneuert oder die Fingernägel lackiert. Wenn sie ißt, kaut sie mit halboffenem Mund, um, wie sie ihrer Kollegin erklärte, sich die Lippenschminke nicht zu verschmieren.
Die Kollegin heißt Biggy, und als sie mich sah, näselte sie: »Ach, du lieber Gott, der ist aber schon wacklig!«
Von Tessy rückte sie ab und sagte: »Mach mir bloß meinen Rock nicht schmutzig. Der kommt frisch aus der Reinigung.«
Hinterher hat sie ihn sich mit Joghurt bekleckert, und das hat uns sehr gefreut.
Die Hauptarbeit der Sekretärinnen besteht im Kaffeekochen und am Telefon zu sagen: »Herr Sowieso ist leider nicht im Hause (oder in einer Besprechung). Er wird Sie zurückrufen.«
Maschineschreiben müssen sie nicht viel, weil die meisten Redakteure ihre Texte selbst tippen. Kommt aber mal einer ins Sekretariat und bittet: »Schreib mir das rasch ab«, wirken beide ziemlich beleidigt.
Einmal hat Herr Halberstein einen Vertrag gebraucht, weil er etwas nachsehen wollte, den haben sie zwei Stunden lang gesucht. In der Ablage war er nicht, in den Vertragsordnern auch nicht. Unbegreiflicherweise fand er sich dann in der Speisekarte eines nahe gelegenen Feinschmeckerrestaurants wieder, in dem die beiden Damen gern ihre Mittagspause überziehen.
Michael allerdings ist mittags mit Tessy und mir nur Gassi gegangen und hat sich von Fräulein Lütjenbrink Currywurst mit Pommes frites mitbringen lassen, weil Sabine abends warm kocht. Tessy und ich bekamen Hundekuchen.
Und dann tauchte Fred Havasy in der Redaktion auf.
Aus dem Gespräch zwischen Michael und dem Verleger wußten wir ja schon, daß er ein Erfolgsschriftsteller ist. Deshalb waren wir ziemlich neugierig auf ihn. Er muß auch wirklich ein sehr berühmter Mann sein, denn sogar Fräulein Lydia bewegte ihre langen Beine schneller als sonst, als sie ihn in Michaels Büro brachte.
Bei seinem Anblick waren Tessy und ich zuerst bitter enttäuscht. Wir hatten uns einen bekannten und bestimmt sehr gut verdienenden Schriftsteller ganz anders vorgestellt, elegant, von imposanter Statur und von einem gewissen Nimbus umgeben.
Herr Havasy wirkt eher unbedeutend, klein, dürr, mit einem melancholischen Schnauzbart. Er trug einen zerknautschten Cordanzug und ein blau-grün-rot gestreiftes Hemd.
Das Netteste an ihm ist seine Sprechweise. Er ist nämlich gebürtiger Ungar und in Wien aufgewachsen.
Uns hat er »scheene Hunderln« genannt und zu Michael »Küß die Hand« gesagt. Aber diese Höflichkeit bedeutet nicht viel, denn Herr Havasy weiß genau, was er will, und ist kaum davon abzubringen.
Zuerst hat er lang und breit von seinen Romanen erzählt, an denen er gerade arbeitet. Es sind zwei gleichzeitig – an einem schreibt er vormittags, an dem anderen nachmittags.
»Der Vormittagsroman ist die Geschieht’ von einem Zigeunerprimas aus den zwanziger Jahren. Ich sag’ Ihnen, Herr Dr. Bernhold, ein Thema, das die Leut’ von den Stühlen reißt. Da ist einfach alles drin, was der Mensch braucht: Abenteuer, Leidenschaft, Kokainsucht, die große weite Welt und die unglückliche Lieb’ zu einer schwindsüchtigen Wiener Baroneß. Und der Nachmittagsroman ist wieder ganz was anderes. Der Ungarnaufstand 1956, wo sich ein russischer Abwehroffizier in eine Budapester Widerstandskämpferin verliebt – ein blutjunges Madl noch, das seinen einzigen Bruder erschießt, weil er ihre Freunde verraten will.«
Man merkte, daß Herr Havasy seine eigenen Romane liebte; wenn er von ihnen sprach, geriet er regelrecht in Feuer.
»Schad’, das wär’ auch eine Geschicht’ für Ihre Zeitung gewesen. Aber ich hab’ ein paar Kurzexposés mitgebracht. Was sag’ ich – Exposés? Heuler sind das, Romanheuler, schon von der Idee her.«
»Wie ich Sie kenne, Herr Havasy, bestimmt«, sagte Michael. »Ich habe vorhin noch mit Herrn Rombach gesprochen, und wir sind beide der Meinung, daß wir mal etwas ganz anderes von Ihnen bringen möchten – einen ganz neuen Havasy gewissermaßen, den die Leute noch gar nicht kennen.«
Herrn Havasys Schnauzbart wurde wieder melancholisch. »Verzeihen S’, aber das könnt’ ins Auge gehen. Die Leser wollen nix Neues von mir, nur was anderes. Ich bin der Havasy, jeder weiß, was ich schreib’ und wie ich’s schreib’, und darin liegt mein Erfolg.«
»Gewiß, gewiß, aber ...«
Herr Havasy blätterte in seiner Mappe.
»Hier, zum Beispiel, die Story hab’ ich schon vor ein paar Wochen für Sie reserviert. Ein österreichischer Erzherzog liebt die Tochter eines ungarischen Revolutionärs. Sie fliehen, leben unerkannt bei Zigeunern ...«
»Ich weiß nicht recht«, unterbrach Michael ihn. »Eigentlich hatte ich an ein anderes Milieu gedacht. Wie wäre es denn mit einem modernen Frauenschicksal? Ein Eheroman, sagen wir, wo die Frau plötzlich erfährt, daß ihr Mann ein ganz und gar unverständliches Doppelleben führt?«
»Ja, da hätt’ ich was«, sagte Herr Havasy lebhaft. »Nur net grad modern. Es ist die authentische Geschicht’ der ungarischen Gräfin Ilona von Földes. Der Rittmeister von Földes war ein Spieler, ein Defraudant, der sich erschossen hat. Die Gräfin Ilona ist dann bettelarm nach Wien gekommen und als Tänzerin in gewissen Etablissements aufgetreten. Ich sag’ Ihnen, das ist ein atemberaubendes Leben, durch alle Höhen und Tiefen.«
»Hm ...« Tessy und ich merkten, daß Michael nicht besonders glücklich war. »Die Story ist sicher gut. Aber sagen Sie, kann man sie nicht in die Gegenwart und nach Deutschland verlegen?«
»Gehn S’, das ist doch fad! Dann müßt’ die Gräfin ja Stripteasetänzerin werden – und heutzutag’ hat so ein Beruf keinen Flair mehr. In der Donaumonarchie war das was anderes, wo der Kronprinz Rudolf und der Johann Salvator und wie sie alle hießen, selbst eine Bordellbesitzerin noch wie eine Dame behandelt haben. Heut’ ist das doch primitiv, ohne Differenzierungen. Naa, damit tät’ ich mir die ganze Geschicht’ kaputtmachen. Dann nehm’ ich schon lieber die Story vom Erzherzog. Die kann man modernisieren.«
Herr Havasy machte sich ein paar Notizen.
»Passen S’ auf: Der Erzherzog ist kein Erzherzog, sondern ein deutscher Tourist, einziger Sohn eines Stahlmagnaten, der in Ungarn Urlaub macht. Er verliebt sich in eine kleine Budapester Studentin, deren Väter politische Schwierigkeiten hat. Er will sie heiraten, aber sie darf net in die Bundesrepublik, Aus Liebe zu ihr bleibt er deshalb in Ungarn, illegal natürlich. Eines Tages kommt die Geschicht’ heraus, er soll verhaftet werden, und da fliehen sie alle drei, wie gehabt, und leben bei einem Zigeunerstamm in der Pußta. Natürlich verliebt sich ein Zigeuner in das Madl, und der Deutsche muß mit ihm nach alter Zigeunersitte kämpfen. Zum Schluß ist es dann der Zigeuner, der die drei über die Grenze nach Österreich bringt und dabei erschossen wird.«
Er holte tief Atem.
»Na, ist das jetzt ein modernes Frauenschicksal? Und ein echter Havasy obendrein.«
»Das bestimmt«, sagte Michael. Er wirkte etwas erschöpft.
»Gut. Und nun sagen S’ selbst, bin ich riet ein Autor, mit dem man reden kann? Wann brauchen S’ denn die erste Folge?«
Michael blätterte in seinem Terminkalender. »Ende August etwa, Herr Havasy. Geht das?«
»Momenterl.« Herr Havasy hatte ein Notizbuch hervorgeholt. »Schön, dann nehm’ ich den als Vormittagsroman. Da bin ich eh noch frischer. Akkurat am 28. 8. haben S’ die ersten fünfzehn Seiten auf dem Tisch.«
Michael wagte noch einen letzten Vorstoß. »Wie wäre es denn, wenn wir die ganze Story nicht in Ungarn, sondern im – sagen wir, Iran spielen ließen? Und statt der Zigeuner wäre es ein Beduinenstamm, bei dem die Helden Unterschlupf suchen.«
»Nein«, sagte Herr Havasy plötzlich auf hochdeutsch und sehr entschieden. »Iran und Beduinen – da habe ich kein Hintergrundmaterial. Und für neue Recherchen fehlt mir die Zeit, das werden Sie doch einsehen, Herr Doktor Bernhold. Außerdem – was sind Beduinen schon gegen Zigeuner? Ich bin Ihnen wirklich entgegengekommen, noch mehr kann ich net verantworten. Sie wollen doch einen Bestseller von mir und keinen Schmarrn. – So, und jetzt muß ich schau’n, daß ich weiterkomm’. Es war reizend, daß wir uns wieder mal gesehen haben, Herr Doktor Bernhold. Meine Empfehlung an den Herrn Rombach.«
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