„Baby, komm mit zu mir“, sagte Kenny. „Ich hab nach den Gigs immer total Hunger. Lass uns was kochen.“
Der Kerl hatte echt Nerven! Erst machte er mit dieser rothaarigen Schlampe rum und nun wollte er von Edwina auch noch seine geliebten Baked Beans mit Hash Browns vorgesetzt bekommen. Dabei hatte er sich noch nicht mal entschuldigt für die Knutscherei auf der Party.
„Träum weiter“, fuhr sie ihn an. „Kochen heißt bei dir, dass du zwei Gläser hinstellst und dir einen Joint drehst, während ich die Drecksarbeit mache. Such dir eine andere Blöde, die das tut.“
„Hey, was soll das?“ Kenny kam auf sie zu. „Was zickst du jetzt plötzlich rum? Komm schon, wir kuscheln danach gemütlich, dann ist alles wieder gut.“
Das war ja wieder typisch. Er baute Mist, und wenn sie daraus Konsequenzen zog, nannte er sie zickig. Und Sex wollte er trotzdem. So kam er garantiert nicht bei ihr durch.
Kenny machte Anstalten, seinen Arm um sie zu legen. Edwina wich vor ihm zurück und sah ihm direkt in die Augen. „Lass das, ich hab heute keinen Bock auf dich“, zischte sie.
„Stell dich nicht so an. Wir gehören doch zusammen, Baby, das weißt du. Ich hatte was intus auf der Party, das war nichts Ernstes mit Angie. Wir gehen jetzt zu mir!“ Als wäre das eine beschlossene Sache, packte er sie am Ellbogen und wollte sie mit sich fortziehen. Der hatte wohl einen Knall! Edwina riss sich gerade von ihm los, da stand Paul mit einem Mal neben ihr.
„Ich glaube, Edwina hat klar gesagt, was sie will. Du solltest sie in Ruhe lassen“, forderte er Kenny nachdrücklich auf.
Der war so baff, dass er tatsächlich von ihr abließ. „Ich glaub‘s ja nicht! Der Herr Organist spielt Robin Hood!“ Wütend sah er ihn an. „Du hast hier gar nichts zu melden“, fauchte er. „So ’ne Niete wie dich können wir in der Band nicht gebrauchen. Misch dich nicht ein und verpiss dich!“
Paul wich keinen Zentimeter zurück. „Das hat mit der Band überhaupt nichts zu tun“, erklärte er in so ruhigem Ton, dass Edwina nicht anders konnte, als ihn für seine Gelassenheit zu bewundern. „Sie ist ein freier Mensch und kann ihren Abend so verbringen, wie sie will. Das hast du zu respektieren.“
„Ich zeig dir gleich, was ich respektieren muss, du Witzfigur!“, rief Kenny und riss die Fäuste nach oben.
„Verdammt, hör auf mit dem Scheiß!“ Edwina stellte sich ihm in den Weg. Sie hasste es, wenn Kenny sich benahm wie ein Schlägertyp aus der Gosse. „Paul hat völlig recht, ich kann tun und lassen, was ich will. Aber wir spielen hier in einer Band, also vertragt euch gefälligst.“
Kenny ließ die Arme sinken. „Ich kann diesen Kerl mit seinem elitären Gehabe nicht leiden“, moserte er. „Der passt nicht hier rein.“
„Das hast du nicht zu entscheiden“, konterte Edwina. „Du hast keinen Finger gerührt, nachdem Mike gegangen war. Hast dich total auf mich verlassen und nicht einen einzigen Zettel verteilt oder an eine Hauswand geklebt. Aber jetzt dumm daherreden, wenn ich einen neuen Orgelspieler gefunden habe! So brauchst du mir wirklich nicht zu kommen!“
„Leute, ich hau ab“, mischte Brian sich ein. „Wenn’s nach mir geht, kann Paul ruhig bleiben, der hat einen geilen Sound drauf. Bis dann!“
Na, bitte! Edwina sah Kenny triumphierend an. Der verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Sie war sich trotzdem sicher, dass er Paul Ärger machen würde, wo es nur ging.
„Mir doch scheißegal, wenn du heute nichts zu essen kriegst“, verkündete er. „Ich hole mir jetzt was aus dem Pub. Mach du doch, was du willst.“ Er schulterte seine Gitarrentasche und stapfte nach draußen. Edwina musste an ein bockiges Kleinkind denken. Manchmal fragte sie sich wirklich, wieso Kenny sie immer wieder rumbekam. Aber er war der Einzige gewesen, der in ihrer Anfangszeit als Sängerin an sie geglaubt hatte. Nächtelang hatte er mit ihr Songs geübt und schließlich seine beiden Kumpels dazu überredet, mit ihr als Frontfrau eine Band zu gründen. Ohne ihn hätte es Heaven’s Nighmare niemals gegeben und das würde sie ihm nie vergessen.
„Er sollte dich nicht so behandeln“, sagte Paul.
Ärgerlich fuhr Edwina zu ihm herum. Die Sache zwischen ihr und Kenny war ihre Privatsache, da brauchte sie keinen Rat von jemandem, der rein gar nichts über sie wusste.
„Ich komme durchaus alleine klar“, erwiderte sie barsch. „Ein Kindermädchen brauche ich weiß Gott nicht. Ich schlage mich seit fast zehn Jahren selber durch.“
Er zuckte sichtlich zusammen. „Tut mir leid.“ Sein Blick senkte sich auf den Boden. „Es war keinesfalls meine Absicht, dich zu bevormunden. Ich habe es einfach selbst zu oft erlebt, dass ein Mensch dem anderen seinen Willen aufdrängt. Und irgendwie reagiere ich da wohl empfindlich – vor allem, wenn es um andere Menschen geht.“
Seine Entschuldigung kam von Herzen, das spürte sie. Edwina ärgerte sich ein wenig, dass sie ihn so angefahren hatte.
„Hast du Hunger?“, fragte sie als Friedensangebot.
Er sah auf. „Sag bitte nicht, dass du jetzt für mich Bohnen und Bratkartoffeln zubereiten willst.“ Das Lachen stand ihm gut.
„Um Himmels willen“, rief sie und grinste. „Sicher nicht. Aber ich habe ein Lieblingslokal in London. Was hältst du von Persisch?“
„Kenne ich nicht, aber ich versuche es gerne. Offenbar bin ich ja neuerdings ein Abenteurer.“ Sie wusste nicht recht, worauf er das bezog, hatte aber plötzlich Lust, das alles herauszufinden. Paul war anders als die Männer, denen sie sonst begegnete. Irgendwie weicher. Aufmerksamer. Selbst seine Musik klang völlig anders als alles, was sie bisher gehört hatte.
„Komm mit, wir gehen zur U-Bahn“, schlug sie vor. „Wir müssen ins West End.“
Kurze Zeit später saß sie neben ihm im Zug. Wieder stieg dieser eigenartige Geruch in ihre Nase. Das musste wirklich ein tolles Aftershave sein, wenn der Duft selbst nach einem schweißtreibenden Auftritt noch so präsent war.
„Sag mal, was hat dich eigentlich nach London verschlagen?“, fragte sie.
„Ich bin beruflich hier.“ Er wirkte so, als wolle er nicht gerne darüber sprechen. Das reizte sie erst recht, mehr über ihn herauszufinden.
„Geht es etwas genauer?“
Er überlegte einen Augenblick. „Ich bin im Überwachungsgewerbe“, sagte er schließlich.
„Du meinst Kameras und so ein Zeug? Was Banken installieren, um Räuber zu filmen?“
„Nein, ich kümmere mich eher um Privatpersonen.“
Das konnte sie sich gut vorstellen. Luxusvillen, von dicken Mauern umgeben, hinter denen sich die Beckhams oder gar irgendwelche Adlige verschanzten, um sich vom gemeinen Volk fernzuhalten. In dieses Umfeld passten sicher auch seine vornehme Sprache und die klassische Musik. Er trieb sich also genau bei den privilegierten Leuten herum, auf die sie einen Hass hatte.
„Und jetzt haben sie dich von Deutschland hierher versetzt, damit du die Reichen von London mit Kameras und Selbstschussanlagen ausstattest?“ Okay, das war übertrieben, aber sie hatte Lust, ihn ein bisschen zu provozieren.
Er lachte leise. „Nein, es ist völlig anders. Ich bin eher im direkten Personenschutz tätig.“
„Ein Bodyguard?“ Sie traute ihren Ohren nicht. Das passte zu Paul ungefähr so wie ein Ballettröckchen zu Rocco. „Hey, normalerweise sind das bullige Typen mit Knopf im Ohr und einer Knarre im Hosenbund.“
Ihr Blick glitt über seinen Körper, der trotzdem gar nicht mal übel aussah. Paul war groß und schlank, ohne schlaksig zu wirken. Rocco würde ihn wohl als „halbe Portion“ bezeichnen, aber Edwina mochte das lieber als die übermäßigen Muskelberge des Türstehers. Pauls ruhige, elegante Art, sich zu bewegen, gefiel ihr gut und seine Figur auch. Sich Paul mit Pistolenhalfter vorzustellen, bereitete ihr dennoch Schwierigkeiten.
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