Ganz klar weisen wir darauf hin, dass gegenüber impfbaren Krankheiten mit Gemmomazeraten keine spezifische Prophylaxe, geschweige denn Immunität erreicht werden kann!
Wir werden in diesem Buch zugunsten des Leseflusses verallgemeinernd die männliche Form verwenden, schließen damit jedoch alle Frauen mit ein. Wenn wir von Eltern sprechen, sind damit immer auch andere Erziehungsberechtigte und alle Bezugspersonen der Kinder gemeint: Mütter und Väter sowieso, Stief- und Pflegeeltern, Großmütter und -väter, Wahlgroßeltern, Lehrer, Kinderbetreuer und so weiter.
Ihnen allen wünschen wir nun ein inspirierendes Eintauchen in die Welt der Kinder und die Kraft der Knospenauszüge.
Chrischta Ganz und Louis Hutter
EINFÜHRUNG
Dr. Pol Henry und die Gemmotherapie
Der belgische Arzt, Homöopath und Naturforscher Dr. Pol Henry (1918–1988) forschte mit embryonalem Pflanzengewebe (Knospen, Trieb- und Wurzelspitzen), das er in Glycerin und Alkohol auszog, und untersuchte dessen Wirkung auf den Menschen. Die erste vertiefte Knospenanwendung erfolgte mit der Moorbirkenknospe (Betula pubescens), bei der Dr. Henry eine anregende Wirkung auf die Kupffer’schen Sternzellen der Leber entdeckte und somit ein in der Heilpflanzenkunde bisher unbekanntes Anwendungsgebiet für die Moorbirkenknospen erschloss.
Die Erfahrungen mit den Knospenauszügen übertrafen die Erwartungen von Dr. Henry bei Weitem. Dr. Max Tétau (1927–2012), ein langjähriger Mitarbeiter und Freund Dr. Henrys, gab dieser Heilmethode den bis heute üblichen Namen »Gemmotherapie«. Im Jahr 1982 erschien Dr. Henrys Buch Gemmothérapie thérapeutique par les extraits embryonnaires végétaux, 1965 wurde die Arzneimittelherstellung von Gemmotherapeutika in die Pharmacopée française aufgenommen und bekam damit offizielle Anerkennung. Und 2011 hielt das Herstellungsverfahren schließlich Einzug ins Europäische Arzneibuch, die Pharmacopoeia Europaea , und wurde den homöopathischen Arzneimitteln zugeordnet. Heute sind Gemmotherapeutika in allen europäischen Ländern, in den USA, in Australien und Neuseeland erhältlich. Die größte Verbreitung haben sie in den frankophonen Ländern. Im deutschsprachigen Raum gewinnt die Gemmotherapie immer mehr Anhänger und ist mittlerweile gut bekannt.
Aber ist die Anwendung von embryonalem Pflanzengewebe, vor allem der Knospen, innerhalb der Heilkunde wirklich etwas so Neues? – Ganz sicher nicht! Die ländliche Bevölkerung nutzt seit jeher die stoffwechselanregenden und »verjüngenden« Kräfte frischer Pflanzentriebe. Ein herausragender Vertreter der naturverbundenen Volksheilkunde, der Schweizer »Kräuterpfarrer« Johann Künzle (1857–1945), empfahl in seinem Buch Chrut und Uchrut das Sammeln von jungen Schossen (Trieben) von allen Dornenarten, um sie in wässriger Abkochung kurmäßig einzunehmen. Es darf sicher davon ausgegangen werden, dass er mit seiner auf Naturbeobachtung basierenden Empfehlung nicht allein dasteht. Historische Zeugnisse von Knospenanwendungen zu Heilzwecken reichen bis ins alte Ägypten. Auch die heilige Hildegard von Bingen (1098–1179), eine wichtige Vertreterin der frühmittelalterlichen Heilkunde, gibt detaillierte Informationen zur Anwendung von Birken-, Schwarzen-Johannisbeer-, Edelkastanien-, Heckenrosen-, Eschen-, Pappel-, Apfelbaum- und Lindenknospen.
Es ist Dr. Pol Henry, Dr. Max Tétau und ihrem Team zu verdanken, dass die Kraft der Knospen heute für die naturheilkundliche Therapie wieder zur Verfügung steht.
Embryonales Pflanzengewebe – Ort der gespeicherten Lebenskraft
In der Gemmotherapie wird das Kostbarste und Lebendigste jeder Pflanze verwendet, um es dem Menschen zur Verfügung stellen zu können: embryonales Pflanzengewebe aus Knospen, Keimlingen, Wurzel- und Sprosstrieben, das sich in hoher Zellteilungsaktivität befindet. Das Potenzial dieses pflanzlichen Gewebes, wofür die Knospe im konkreten wie auch im übertragenen Sinne steht, manifestiert sich in der ausgezeichneten Heil- und Regenerationskraft der sogenannten Gemmomazerate (Alkohol-Glycerin-Lösungen; vom lateinischen macerare für »einweichen«). Diese Kraft lässt sich sinnbildlich mit dem Aufbrechen einer Knospe oder dem Durchbrechen von Asphalt durch einen jungen Pflanzentrieb veranschaulichen. Die Kraft dieses jungen Gewebes bewährt sich auch deshalb in besonderem Maß in der Kinderheilkunde.
Querschnitt einer Eschenknospe
Querschnitt einer Fliederknospe
Die Bedeutung der Pflanzensoziologie innerhalb der Gemmotherapie
Dr. Pol Henry wies immer wieder darauf hin, sich bei der Kombination von Heilmitteln von natürlichen Pflanzengesellschaften inspirieren zu lassen. Damit beschritt er einen von vielen Naturheilkundigen empfohlenen Weg, der Natur als wichtigstem Lehrer zu folgen. Dieser Lehrer offenbart sich in einer Sprache, die den alten Heilkundigen als »Signaturenlehre« geläufig war. Ein Teil der Heilpflanzen-Signaturenlehre gründet darauf, zu beobachten, welche Pflanzen sich gern vergesellschaften. Eine wiederkehrende Pflanzenvergesellschaftung wird sinnvoll für die einzelnen Pflanzen sein, sie werden gegenseitig voneinander profitieren. Genauso wird man gut daran tun, sie in der Therapie zu kombinieren. Ihre Heilwirkungen werden dadurch verstärkt (Synergismus) und abgerundet.
Am Beispiel des natürlichen Biotops des Erlenbruchwaldes mit der entsprechenden Pflanzengesellschaft möchten wir dies verdeutlichen. Der Erlenbruchwald ist ein in Mitteleuropa einst häufiges, heute durch Trockenlegung gefährdetes Biotop. Er ist gekennzeichnet durch einen anhaltend nassen, sumpfigen Grund ohne starke Wasserströmungen. Überschwemmungen finden in der Zeit der Schneeschmelze statt und können mehrere Wochen bis Monate andauern. Der Nährstoffgehalt des Bodens ist im Vergleich zu einem Moor relativ hoch, der Boden ist leicht sauer (pH 5,3 bis 6,5). In diesem Biotop typisch sind die Schwarzerle (Alnus glutinosa), die Gewöhnliche Esche (Fraxinus excelsior), die Moorbirke (Betula pubescens) und die Schwarze Johannisbeere (Ribes nigrum). Gemmomazerate dieser vier Bäume und Sträucher lassen sich also vorteilhaft miteinander verbinden, sie wirken synergistisch. Dieses Biotop findet seine Entsprechung beim exsudativen Stadium einer Entzündung.
Bäume und Menschen – Bäume und Kinder
Knospen entstehen, ruhen und treiben aus. Der Zyklus einer Knospe verbindet Herbst, Winter, Frühling und Sommer und lässt den Menschen am Jahreskreis teilhaben. Das Leben eines Baums und eines Strauchs erzählt vom Werden und Vergehen, Wachsen und Sterben, von einer Welt von Samen, aufbrechenden Knospen, von Saft und Holz, wachsenden und fallenden Blättern. Bäume und Sträucher bieten Insekten, Vögeln, Pilzen und vielen anderen Lebewesen Nahrung und Schutz. Und ihre Wurzeln greifen tief in die Ahnenwelt, wo das Wasser des Lebens sorgsam gehütet wird.
Mit der Gemmotherapie eröffnet sich uns eine neue Form, die alte Baumheilkunde wiederaufleben zu lassen und weiterzuentwickeln. Bäume richten ihre Aufmerksamkeit durch die Wurzeln auf den Boden und sind tief verankert und verbunden mit Mutter Erde. Über ihre Blätter und Äste kommunizieren sie mit der Luft und dem Himmel. Die Bewegungen der Bäume und Sträucher sind abhängig von Licht, Wind und Regen. Sie wenden sich der Sonne, dem Mond und allen Sternen zu. Oft haben Bäume ein hohes Alter und strahlen Größe, Erhabenheit, Güte und Weisheit aus. Seit Menschengedenken sind wir bei ihnen willkommen – sie scheinen uns zu rufen, damit wir zu ihnen gehen.
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