Eines Tages tat er etwas, das mich arg in Verlegenheit brachte. Die Hausfrau stellte mich zur Rede, weil ihr aufgefallen war, dass am Abend weniger Eier ins Regal eingeordnet waren als üblich. »Den dritten Abend beobachte ich das nun schon. Beim ersten Mal dachte ich, das kann ja schon mal vorkommen, dass die Hühner weniger legen. Aber jetzt glaube ich nicht mehr daran.«
»Darüber habe ich mich auch schon gewundert, dass die Eier weniger werden«, erklärte ich dazu.
»Tu nicht so scheinheilig! Gib zu, dass du die Eier beiseite geschafft hast.«
»Warum sollte ich das tun? Bei euch bekomme ich doch satt zu essen, sodass ich es nicht nötig habe, mir zusätzlich etwas zu beschaffen.«
Sie glaubte mir aber nicht, das sah ich ihr an. Der Makel blieb also an mir hängen und ich befürchtete, sie würde mir wieder was vom Lohn abziehen. Also musste ich den Eierdieb ausfindig machen. Von den Dienstboten kam eigentlich niemand infrage, die waren den ganzen Tag über beschäftigt. Es musste jemand sein, der Zeit hatte. Die Kinder waren noch zu klein, um in die Nester langen zu können, außerdem wurden sie ständig vom Kindermädchen überwacht. Ob sie es vielleicht war? Nein, ausgeschlossen. Am Nachmittag hätte sie sich nicht in den Stall begeben können, weil sie die Kinder am Rockzipfel hatte, und die Kleinen waren bereits in dem Alter, in dem sie sie verpetzt hätten.
Ob sich vielleicht ein Marder an den Nestern bediente? Als ich nach dem Gespräch mit der Bäuerin am Abend meine Eier einsammelte, fand ich in der Nähe des Hühnerstalles drei leere Eier, von denen jedes oben und unten ein Loch aufwies. Offensichtlich waren sie ausgetrunken worden. So etwas machte bestimmt kein Marder.
Plötzlich stieg siedend heiß ein Verdacht in mir auf. Giselher! Der hatte doch den ganzen Tag nichts zu tun und lungerte nur herum. Aber wie sollte ich ihn überführen? Die Zeit, um mich am Nachmittag auf die Lauer zu legen, hatte ich nicht. Die ausgetrunkenen Eier legte ich als Beweisstücke oben in meinen Eierkorb. In der Speisekammer versteckte ich sie so, dass niemand sie finden konnte. Ausgeblasene Eier allein genügen aber nicht, um einen Täter zu überführen, die konnten von jedem stammen, nur nicht vom Marder. Spontan kam mir eine Idee. Während noch alle beim Nachtessen saßen, verließ ich kurz die Küche, um mir die Schuhe unseres Feriengastes anzuschauen. Es war nämlich Sitte, dass jeder, bevor er zu Tisch ging, seine Stall- oder Straßenschuhe im Hausgang ins Regal stellte. Nach dem Nachtmahl musste dann entweder ich oder die Brigitte die Schuhe putzen. Eine Woche lang war sie dran, in der nächsten Woche ich. Unter den Schuhen meines Verehrers klebte eindeutig Hühnermist, und es gab nur eine Möglichkeit, wie der dorthin gelangt sein konnte. An diesem Abend hatte die Kindsmagd Schuhputzdienst. Bevor sie mit ihrer Arbeit begann, brachte ich die Beweisstücke eilig auf mein Zimmer, das ich mir mit Brigitte teilte, und schob sie weit hinten unter mein Bett. Dann gesellte ich mich wieder zur »Tischrunde«, als ob nichts gewesen wäre.
»Wieso riecht es hier nach Hühnerkacke?«, fragte mich meine Zimmergenossin naserümpfend, als wir uns zu Bett begaben. »Hast du dich nach deiner anrüchigen Arbeit vielleicht nicht richtig gewaschen?«
Indem ich schnupperte, tat ich scheinheilig: »Ich weiß nicht, was du hast, ich rieche nichts.« Trotz des unangenehmen Geruchs waren wir bald ins Land der Träume hinübergeglitten.
Anderntags, als nach dem Frühstück alle in ihre frisch geputzten Schuhe schlüpften, stand Giselher unschlüssig dabei. Schließlich fragte er: »Hat vielleicht jemand versehentlich meine Schuhe angezogen?«
Der Rossknecht lachte: »Meinst vielleicht, wir mit unseren groben Landfüßen passen in deine zierlichen Stadtschühchen?«
Die Küchenmagd kicherte: »Wir Madln können mit deinen Schuhen auch nichts anfangen. Den Knechten mögen sie zu klein sein, für uns aber sind sie zu groß.«
»Wahrscheinlich hast du sie gestern Abend nicht hier abgestellt?«, vermutete eine andere, während ich still in mich hineingrinste. In Gegenwart der Dienstboten wollte ich kein Aufheben machen, deshalb hielt ich den Mund. Missgelaunt begab sich der Jüngling auf sein Zimmer und kam mit einem anderen Paar Schuhe herunter. Das war für mich der Zeitpunkt, ein ernstes Wörtchen mit ihm zu reden. Mit meinen Beweisen in der Hinterhand sagte ich ihm auf den Kopf zu: »Warum trinkst du heimlich Eier aus? Kriegst du hier vielleicht nicht genug zu essen?«
Sogleich bekam er einen puterroten Kopf. Da war es für mich eindeutig, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. Doch er stammelte: »Ich? Nein! Wie kommst du denn darauf?«
»Du brauchst gar nicht zu leugnen. Mir liegen eindeutige Beweise vor.«
»Was sollen denn das für Beweise sein?«
»Gestern Abend fand ich drei ausgetrunkene Eier. Wenn du dich schon als Eierdieb betätigst, solltest du wenigstens so gescheit sein, die Schalen nicht herumliegen zu lassen.«
»Wieso sollen die von mir sein?«, gab er noch immer nicht klein bei. »Die kann genauso gut jeder andere neben dem Hühnerstall verloren haben.«
»Aha, ein weiterer Beweis, dass du der Täter bist. Wie sonst solltest du wissen, wo ich sie gefunden habe?«
»Das beweist gar nichts! Das war lediglich eine Vermutung von mir, dass sie neben dem Hühnerstall lagen.«
»Gut, dann wollen wir diese Beweise nicht gelten lassen«, spielte ich die Großzügige und fuhr in meinem Verhör fort: »Wie aber willst du mir erklären, dass Hühnerkacke unter deinen Schuhen klebt?«
In dem Moment sah er sich überführt: »Also gut, ich bekenne mich schuldig. Du bist ja der reinste Sherlock Holmes.«
»Wer ist denn das?«
»Das ist der erfolgreiche Detektiv aus den Romanen eines berühmten englischen Schriftstellers, der die schwierigsten Kriminalfälle löst.«
»Aha!«, antwortete ich nachdenklich. Seine Äußerung brachte mich auf eine Idee: »Vielleicht könnte ich Detektiv werden. Mir ist eh noch nicht klar, welchen Beruf ich wählen soll.«
Giselher lachte schallend auf: »Ein Mädchen als Detektiv? So etwas gibt es nicht.«
»Dann eben nicht. Aber du musst zugeben, dass ich diesen Fall einwandfrei gelöst habe.«
»Das hast du. Du warst es also, die meine Schuhe genommen hat?«
Mit triumphierendem Lächeln gab ich das zu, bombardierte ihn aber mit weiteren Fragen: »Warum schleichst du dich ins Hühnerhaus? Warum trinkst du heimlich Eier aus? Musst du hier Hunger leiden?«
Verlegen lächelnd antwortete er: »Vor einiger Zeit habe ich gelesen, dass rohe Eier die Manneskraft stärken.«
»Ach, wozu willst du die stärken? Im ganzen Haus wüsste ich keine, der etwas daran gelegen wäre, und mir am allerwenigsten.«
Unbeirrt erklärte er weiter: »Die ersten drei Eier habe ich getrunken, um das auszuprobieren.«
»Und, hat es gewirkt?«
»Zu meiner Enttäuschung leider nicht. Inzwischen war ich aber auf den Geschmack gekommen, deshalb habe ich mich weiterhin an der Eiertheke bedient.«
»Hast du dir keine Gedanken darüber gemacht, dass das auffallen könnte?«
»I wo! Die braven Hennen legen doch so viele Eier, da habe ich gedacht, die Bäuerin wird es schon nicht merken, wenn einige fehlen«, erklärte er leichthin.
»Ihr ist es aber aufgefallen.«
»Ach was, die soll nicht so kleinlich sein. Als ob es auf die paar Eier ankommt!«
»War dir nicht bewusst, dass du Diebstahl begehst?«
»Keineswegs. Mein Vater zahlt genug für meinen Aufenthalt. Da sind die paar Eier leicht drin.«
»Du magst das so sehen. Doch anständiger wäre es gewesen, wenn du die Sofie um ein paar Eier gebeten hättest. Sie hätte sie dir gewiss gerne gegeben.«
»Darin sehe ich keinen Unterschied. Es ist egal, ob sie mir die Eier gibt oder ob ich sie mir selbst nehme.«
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