Die Quallen benötigten also eine rudimentäre Intelligenz und ein einfaches Nervensystem, um eine ganz grundlegende Art von Bewusstsein herzustellen. Folglich entwickelten sie die ersten sensorischen und motorischen Nervenzellen.
Da der einfache neurologische Mechanismus der Quallen und anderer primitiver Organismen sehr erfolgreich war, wurde er zur evolutionären Norm. Alle Nervenzellen – ob von Quallen, Tieren oder Menschen – übertragen Informationen auf der Basis derselben elektrochemischen Prinzipien. Auch heute begegnen wir Menschen unserer Umgebung mithilfe desselben Prozesses, wie er vor Jahrmillionen in den Quallen seinen Anfang genommen hat.
Wie hat die Natur den Quantensprung von diesen primitiven Nervensystemen zum menschlichen Gehirn geschafft? Um ein immer komplexeres, den Anforderungen besser angepasstes Verhalten zu entwickeln, musste ein Organismus nur immer mehr dieser Nervenzellen auf die verschiedensten Weisen miteinander verknüpfen.
Wenn Neuronen sich zu immer komplexeren neurologischen Netzwerken verbinden, nimmt die Kommunikation zwischen ihnen exponentiell zu. Es ist eine einfache Gleichung: Im selben Maß, wie sich die Kommunikation zwischen den Neuronen vervielfältigt, erweitert sich die Intelligenz, und die Organismen können sich auf eine fortgeschrittene, ihrer Umgebung besser angepasste Weise verhalten. Kurz gesagt, wir verdanken es unseren großen Gehirnen, dass wir schneller lernen, erinnern, erschaffen, erfinden und unser Verhalten ändern können als andere Organismen. Der Mensch steht an der Spitze der Kommandokette, weil die unglaubliche Menge miteinander verbundener Nervenzellen unser Gehirn sehr groß und unvergleichlich komplex werden ließ.
Chemische Botenstoffe erzeugen eine Verbindung
Betrachten wir einmal aus der Nähe, wie Nervenimpulse sich von einem Neuron zum anderen bewegen. Wie überwinden sie den synaptischen Spalt?
Wandert ein Nervenimpuls ein Neuron entlang, kommt er über das Axon der sendenden Seite zur präsynaptischen Membran. Dort sitzen winzige synaptische Vesikel, in denen chemische Botenstoffe gespeichert sind, die sogenannten Neurotransmitter. Neurotransmitter übertragen Informationen über den synaptischen Spalt hinweg zu anderen Nervenzellen (und Körperteilen) und steuern so spezifische Funktionen. Auf Abbildung 3.5 weist Punkt A auf diese mit Neurotransmittern gefüllten Vesikel hin.

Abbildung 3.5
Die Funktion der Neurotransmitter am synaptischen Spalt
Neurotransmitter wie Serotonin oder Dopamin verursachen die Stimmungen, die unsere Erfahrungen prägen. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass wir uns bei derselben Aktivität manchmal glücklich und manchmal unwohl fühlen. Die verschiedenen Stimmungen, die Sie und die meisten Menschen im Lauf eines Tages durchleben – von freudiger Erwartung oder Fröhlichkeit bis zu Reizbarkeit oder Erschöpfung –, gehen auf das Konto der Neurotransmitter. Unser Fühlen wird von der Chemie bestimmt, die wir durch unsere Gedanken in unserem Gehirn produzieren.
Sie können sich die Vesikel am Ende des Axons als winzige, mit Flüssigkeit gefüllte Ballons vorstellen, und die Neurotransmitter sind die Flüssigkeit darin. Verschiedene Endknöpfchen enthalten verschiedene Botenstoffe. Die elektrochemische Aktivität eines Nervenimpulses bringt, gleich einem Blitzschlag, eines oder mehrere Vesikel zum Platzen, die damit Tausende von Neurotransmitter-Molekülen freisetzen. Jeder Impuls lässt bestimmte Vesikel aufspringen und andere nicht, was bedeutet, dass bestimmte Neurotransmitter ausgeschüttet werden und andere nicht.
Was bestimmt, welche Neurotransmitter freigesetzt werden? Die Frequenz oder Ladung des elektrischen Impulses. Nicht alle Nervenimpulse sind gleich, und die verschiedenen Neurotransmitter reagieren auf unterschiedliche Frequenzen. So kann ein bestimmter elektrochemischer Impuls ein bestimmtes Vesikel zum Platzen bringen und dessen spezifischen Neurotransmitter freisetzen.
Stellen Sie sich diese chemischen Botenstoffe einfach vor wie winzige Fähren, die einen Kanal überqueren und am anderen Ufer an den passenden Stellen andocken. Für jeden Neurotransmitter gibt es auf der empfangenden Seite des Dendriten einen spezifischen chemischen Rezeptor, in den er passt wie der richtige Schlüssel ins Schloss. Die molekulare Form des Neurotransmitters muss der molekularen Form des Rezeptors entsprechen. Abbildung 3.5 zeigt an den Punkten B und C dieses Schlüssel-Schloss-Prinzip.
An ihrer »Anlegestelle« auf der anderen Seite setzen die Neurotransmitter »Passagiere« frei, die dann verschiedenen Aufgaben nachgehen. Zwar verlassen Sie das Dock alle auf demselben Weg, doch mit unterschiedlichen Zielen: Manche schlendern nach Hause und ruhen sich dort aus, andere gehen zur Arbeit, wieder andere sind möglicherweise im Urlaub und einige gehören vielleicht zum Fährpersonal.
Bei den Neurotransmittern verhält es sich ähnlich: Sie überqueren den Spalt zwischen dem Neuron, das sie freigesetzt hat, und der benachbarten Nervenzelle. Auf der Empfängerseite bewirken sie die Freisetzung bestimmter Chemikalien, die Einfluss auf die Aktivität der empfangenden Zelle nehmen. Dies wiederum wirkt auf das nächste Neuron, und so weiter.
Chemisch-elektrisches Hin und Her
Nervenimpulse fangen also elektrisch an, werden dann chemisch und anschließend wieder elektrisch. Anders ausgedrückt: Die von einem Neuron erzeugten elektrischen Impulse werden an der Synapse durch Neurotransmitter in chemische Impulse umgewandelt. Diese chemischen Botenstoffe stimulieren eine komplexe molekulare Interaktion und einen Ionenfluss, der am benachbarten Neuron wiederum einen elektrischen Impuls auslöst. Wenn dadurch eine bestimmte elektrische Schwelle erreicht ist, wird beim benachbarten Neuron ein Aktionspotenzial ausgelöst und die Botschaft weitergegeben.
Nicht jede Nervenzelle gibt die Botschaften weiter, die sie empfängt. Zur Veranschaulichung stellen Sie sich einfach Folgendes vor: Sie wollen einen Freund mit Liebeskummer aufheitern. Der Arme steckt in seinen Gefühlen fest und denkt an nichts anderes als an sein Herzeleid. Ihnen ist klar, dass er seinen Kummer vergessen muss, weshalb Sie ihn auf unterschiedliche Weisen abzulenken versuchen. Sie laden ihn zum Abendessen in ein neues Restaurant ein, Sie gehen mit ihm auf der Promenade spazieren, schleppen ihn gemeinsam mit Freunden ins Kino, in einen Nachtklub und in eine Komödie. Irgendwann im Verlauf all dieser Aktivitäten gelangt Ihr Freund im Idealfall an einen Punkt, wo er angeregt genug ist, um seine trübselige Stimmung zu vergessen.
Nervenzellen wechseln auf ganz ähnliche Weise aus der Ruhe in einen Erregungszustand. Manchmal mag eine Form der Stimulation nicht ausreichen, doch ist der Reiz stark genug, wird die Nervenzelle aktiviert und damit von einem Informations-Empfänger zu einem Informations-Sender: Sie gibt ihre Erregung weiter.
Werden auf der Seite der präsynaptischen Membran Neurotransmitter freigesetzt, dann erzeugen sie eine elektrische Reaktion auf der postsynaptischen Seite. Dieser elektrische Impuls wandert vom empfangenden Dendriten zum Zellkörper und das Axon hinunter. Sie können sich Neurotransmitter als diejenigen Chemikalien denken, welche die Kommunikationslücke zwischen den Neuronen schließen, sodass eine Botschaft durch das ganze Gehirn gesendet werden kann.
In der Regel braucht es auf der postsynaptischen Seite eine Menge Neurotransmitter-Aktivität als Stimulus, um die nächste Nervenzelle stark genug zu erregen. Kleine Neurotransmitter-Mengen aus einzelnen Nervenzellendungen reichen meistens nicht, um die Schwelle zu erreichen, an der ein Aktionspotenzial ausgelöst wird. Es ist, wie gesagt, ein Alles-oder-nichts-Phänomen, ähnlich wie beim morgendlichen Weckerklingeln: Entweder Sie steigen aus dem Bett oder Sie tun es nicht; beides gleichzeitig geht nicht. Ob eine Nervenzelle erregt wird oder nicht, hängt jedoch auch von der Art des Neurotransmitters ab.
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